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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.12.2002
Aktenzeichen: 2 StE 8/96
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 363 Abs. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
20. Dezember 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Völkermordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. Dezember 2002 beschlossen:
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 3. Juli 2002 aufgehoben, soweit der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Ermordung von 22 Einwohnern des Dorfes Grabska (Fall A II 8 h der Gründe des Urteils vom 26. September 1997) als unzulässig verworfen worden ist.
In diesem Umfang ist die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig.
2. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
Gründe:
Der Beschwerdeführer begehrt die Wiederaufnahme des gegen ihn geführten Strafverfahrens wegen Völkermordes, das durch Urteil des Senats vom 30. April 1999 (BGHSt 45, 65) rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Das Oberlandesgericht hat den Antrag als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg.
I.
Mit Urteil vom 26. September 1997 hat das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer wegen Völkermordes (§ 220 a StGB aF) in elf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit "Mord an 22 Menschen" (Fall A II 8 h der Urteilsgründe), in einem Fall in Tateinheit mit "Mord an sieben Menschen" (Fall A II 8 j), in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Mord (Fall A II 8 k) sowie in mehreren Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung bzw. Freiheitsberaubung, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt, wobei es hinsichtlich jeder einzelnen Tat die besondere Schwere der Schuld festgestellt hat. Auf die Revision des Beschwerdeführers hat der Senat nach Beschränkung der Verfolgung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO das Urteil dahin abgeändert, daß der Beschwerdeführer wegen Völkermordes in Tateinheit mit Mord in 30 Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt ist.
Der Beschwerdeführer hat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt und den Antrag hilfsweise auf den Vorwurf des Völkermordes in Tateinheit mit Mord in 22 Fällen (Fall A II 8 h) beschränkt. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen erschoß der Beschwerdeführer an einem Tag zwischen dem 12. und dem 16. Juni 1992 in dem Dorf Grabska 22 Angehörige der muslimischen Bevölkerungsgruppe. Diese Feststellungen beruhen allein auf der Aussage des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen "Mirsad H. ", der seinen Angaben zufolge das Geschehen vom Fenster eines Nachbarhauses aus beobachtet hatte (UA S. 141 ff.).
Zur Begründung seines Wiederaufnahmeantrags hat der Beschwerdeführer vorgetragen, bei dem Belastungszeugen "Mirsad H. " habe es sich in Wahrheit um dessen Bruder Enes H. gehandelt. Dieser habe nicht nur unter Eid falsche Personalien angegeben, vielmehr hätten sich weder Mirsad noch Enes H. zum angeblichen Tatzeitpunkt in Grabska aufgehalten. Keiner der beiden Brüder habe somit die Vorgänge beobachten können, die der Zeuge "Mirsad H. " in der Hauptverhandlung geschildert habe. Der Beschwerdeführer verweist darauf, daß die Staatsanwaltschaft Düsseldorf deshalb gegen Enes H. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Meineids eingeleitet hat (810 Js 32/01), welches mit Verfügung vom 4. Februar 2002 wegen unbekannten Aufenthalts des Beschuldigten vorläufig eingestellt worden ist. Zum Beweis seiner Behauptungen hat er mehrere Zeugen benannt.
Das Oberlandesgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß vom 3. Juli 2002 den auf § 359 Nr. 2 und Nr. 5 StPO gestützten Wiederaufnahmeantrag als unzulässig verworfen (§ 368 Abs. 1 StPO). Der Wiederaufnahme des Verfahrens stehe § 363 Abs. 1 StPO entgegen. Denn auch beim Wegfall des dem Fall A II 8 h zugrundeliegenden Tatgeschehens (der Ermordung von 22 Menschen in Grabska) verbliebe es bei der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Völkermordes in Tateinheit mit Mord in acht Fällen, so daß es nicht zu einer Strafbemessung aufgrund eines anderen Strafgesetzes käme.
II.
Das gemäß §§ 372, 304 ff. StPO zulässige Rechtsmittel hat Erfolg, soweit der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich seiner Verurteilung wegen der Ermordung von 22 Angehörigen der muslimischen Bevölkerungsgruppe in dem Dorf Grabska Mitte Juni 1992 (Fall A II 8 h der Urteilsgründe) beantragt. Der weitergehende Wiederaufnahmeantrag ist dagegen unzulässig, weil die Urteilsfeststellungen zu den übrigen Tatkomplexen von dem geltend gemachten Wiederaufnahmegrund nicht berührt werden.
1. Nach dem unter Zeugenbeweis gestellten Vorbringen des Beschwerdeführers ist der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 2 StPO gegeben. Danach besteht der konkrete Verdacht, daß der einzige Belastungszeuge "Mirsad H. " einen Meineid geleistet hat. Da die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den angeblichen Tatzeugen wegen dessen unbekannten Aufenthalts derzeit nicht möglich ist, steht das Fehlen der nach § 364 Satz 1 1. Halbs. StPO grundsätzlich erforderlichen rechtskräftigen Verurteilung des Zeugen der Zulässigkeit der Wiederaufnahme nicht entgegen (§ 364 Satz 1 2. Halbs.; vgl. BGHSt 39, 75, 86; OLG Düsseldorf GA 1980, 393, 396).
2. Der Wiederaufnahmeantrag scheitert auch nicht an § 363 Abs. 1 StPO. Der Beschwerdeführer strebt nicht lediglich eine mildere Bestrafung an, sondern wendet sich gegen seine Verurteilung wegen Mordes in 22 Fällen.
a) Inwieweit § 363 Abs. 1 StPO einem Wiederaufnahmeantrag entgegensteht, der bei einer Verurteilung wegen mehrerer tateinheitlich begangener Straftaten nur einen Teil des Schuldspruchs angreift, ist in der Literatur umstritten.
Überwiegend wird die Wiederaufnahme nur für zulässig erachtet, wenn sich der Antrag gegen die Anwendung derjenigen Strafnorm richtet, der nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB die Strafe entnommen worden ist, oder wenn - wie im vorliegenden Fall - alle angewandten Vorschriften die gleiche Strafdrohung enthalten (Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 363 Rdn. 7; Schmidt in KK 4. Aufl. § 363 Rdn. 10; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 363 Rdn. 3; Paulus in KMR 8. Aufl. § 363 Rdn. 1). Diese Auffassung begegnet schon deshalb Bedenken, weil sie in sich nicht stimmig ist: Daß bei einer Verurteilung wegen mehrerer in Tateinheit stehender Delikte die Wiederaufnahme des Verfahrens unzulässig sein soll, wenn sich der Antrag nicht (auch) gegen die Anwendung des den Strafrahmen bestimmenden Strafgesetzes richtet, beruht offensichtlich auf der Erwägung, daß anderenfalls lediglich eine "andere Strafbemessung auf Grund desselben Strafgesetzes" in Betracht käme. Hängt aber nach § 363 Abs. 1 StPO die Zulässigkeit der Wiederaufnahme davon ab, daß die Strafe einem anderen Strafrahmen zu entnehmen wäre, wenn sich das Vorbringen des Antragstellers in der erneuten Hauptverhandlung bestätigen sollte, dann steht diese Vorschrift einem auf einzelne Gesetzesverletzungen beschränkten Wiederaufnahmeantrag auch dann entgegen, wenn alle angewandten Strafvorschriften dieselbe Strafdrohung aufweisen (aA ohne Angabe von Gründen Gössel, Schmidt, Meyer-Goßner und Paulus, jeweils aaO). Denn gerade dann kann sich der Wegfall eines der tateinheitlich verwirklichten Straftatbestände nicht auf die Bestimmung des maßgeblichen Strafrahmens auswirken.
Zum Teil wird die Wiederaufnahme nur dann für zulässig gehalten, wenn bei Fortfall der Verurteilung nach dem minderschweren Delikt mit einer wesentlich milderen Bestrafung des Verurteilten zu rechnen ist (Marxen/Tiemann StV 1992, 534, 536; Loos in AK-StPO § 363 Rdn. 7). Von der Möglichkeit einer milderen Bestrafung kann die Zulässigkeit der Wiederaufnahme aber nicht abhängen. Wäre der Beschwerdeführer nämlich wegen Mordes in 30 (tatmehrheitlichen) Fällen verurteilt worden, dann könnte er unstreitig hinsichtlich einzelner Taten die Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Ziel eines Teilfreispruchs betreiben, obwohl auch in diesem Fall wegen der absoluten Strafe für Mord eine mildere Strafe von vornherein ausgeschlossen wäre.
b) Von den dargestellten Bedenken abgesehen, kann beiden Auffassungen auch mit Blick auf den Gesetzeswortlaut und die Entstehungsgeschichte sowie aus systematischen Erwägungen nicht gefolgt werden. Vielmehr findet § 363 Abs. 1 StPO auf einen Wiederaufnahmeantrag, der eine Änderung des Schuldspruchs zum Ziel hat, keine Anwendung.
aa) § 363 Abs. 1 StPO stellt ausdrücklich auf den mit der Wiederaufnahme verfolgten Zweck ab: Unzulässig ist danach ein Wiederaufnahmeantrag, mit dem lediglich eine "andere Strafbemessung auf Grund desselben Strafgesetzes" herbeigeführt werden soll. Besteht dagegen - wie hier - das Wiederaufnahmeziel darin, einen unrichtigen Schuldspruch zu beseitigen, in dem für den Verurteilten eine eigenständige Beschwer liegt, greift die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nicht ein. Dies gilt auch dann, wenn ein wegen mehrfacher tateinheitlicher Verletzung desselben Strafgesetzes Verurteilter sich nur gegen die Anzahl der ihm zur Last gelegten Gesetzesverletzungen wendet. Im Verhältnis zur Verurteilung wegen Völkermordes in Tateinheit mit Mord in 30 Fällen ist die Verurteilung wegen Völkermordes in Tateinheit mit Mord in acht Fällen keine Verurteilung auf Grund desselben Strafgesetzes i. S. v. § 363 Abs. 1 StPO.
In diesem Sinne hat bereits der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik entschieden. Unter Berufung auf den Wortlaut des damaligen § 403 StPO (der dem heutigen § 363 StPO entspricht) erklärte er einen Wiederaufnahmeantrag für zulässig, mit dem der Verurteilte die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Totschlags bezweckt, dabei aber die den Strafrahmen bestimmende Verurteilung wegen des mit dem Totschlag in Tateinheit stehenden Hochverrats nicht angegriffen hatte (Beschluß vom 26. Februar 1923, teilweise wiedergegeben in RG JW 1930, 3422). Daß nach dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes bei den besonderen Wiederaufnahmegründen des § 359 Nr. 1 bis 4 StPO aF bereits die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung im Schuldspruch die Wiederaufnahme rechtfertigen könne, fand auch im zeitgenössischen Schrifttum Zustimmung (Arndt GA 73 (1925), 166; aA Alsberg, Justizirrtum und Wiederaufnahme (1913), S. 60).
bb) Eine eng am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung hat auch die Gesetzgebungsgeschichte für sich. § 403 StPO in der Fassung vom 1. Februar 1877 (RGBl 1877, 253, 325) geht auf den von der Justizkommission des Reichstages während der Ersten Lesung in den Entwurf eingefügten "§ 323 a" zurück. Dem unzulässigen Wiederaufnahmeziel einer Änderung allein in der Strafzumessung stellten die Befürworter der Vorschrift den eine Wiederaufnahme rechtfertigenden Fall gegenüber, daß sich nach Rechtskraft des Urteils herausstelle, daß jemand eine schwerere oder geringere Tat begangen habe als die Tat, deretwegen er verurteilt worden war (vgl. Hahn, Materialien Bd. 3 Abt. 2, 2. Aufl. S. 1055). Der Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Ziel einer Schuldspruchänderung sollte die Vorschrift demnach gerade nicht entgegenstehen.
cc) Aus der eingeschränkten Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 Nr. 5 StPO läßt sich kein systematisches Argument für ein anderes Verständnis des § 363 StPO ableiten.
Der (allgemeine) Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO setzt voraus, daß die beigebrachten neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet sind, "die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung" zu begründen. Gerade diese Einschränkung fehlt jedoch bei den (speziellen) Wiederaufnahmegründen des § 359 Nr. 1 bis 4 und 6 StPO. Sie wäre im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO auch überflüssig, wenn die gleiche Rechtsfolge bereits dem für alle Wiederaufnahmegründe geltenden § 363 Abs. 1 StPO zu entnehmen wäre. Dem kann nicht überzeugend entgegengehalten werden, daß § 363 StPO neben § 359 Nr. 5 StPO keine eigenständige Bedeutung zukomme (so Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 363 Rdn. 2; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 363 Rdn. 1). Dieser Versuch, die beiden Vorschriften sachlich in Einklang zu bringen, läßt die durch die Gesetzessystematik belegte Entscheidung des Gesetzgebers außer acht, die verschiedenen Wiederaufnahmegründe an unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen zu binden.
Die Ungleichbehandlung der verschiedenen Wiederaufnahmegründe erscheint auch sachgerecht. § 359 Nr. 2 und Nr. 3 StPO haben zwingend, § 359 Nr. 1 StPO hat regelmäßig eine Straftat zum Nachteil des Verurteilten zur Voraussetzung. § 359 Nr. 6 StPO betrifft den vergleichbaren Fall, daß das Urteil auf einer Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten beruht. Diese besonders schwerwiegenden und im allgemeinen offenkundigen (vgl. §§ 359 Nr. 6, 364 StPO) Rechtsverstöße zum Nachteil des Verurteilten rechtfertigen die erleichterte Abänderbarkeit einer darauf beruhenden Entscheidung, zumal der Gesetzgeber die Wiederaufnahmegründe des § 359 Nr. 1 und Nr. 2 StPO darüber hinaus auch in anderer Hinsicht privilegiert hat: Gemäß § 370 Abs. 1 StPO wird der ursächliche Zusammenhang zwischen den dort näher bezeichneten Handlungen und dem Urteil widerlegbar vermutet (BGHSt 19, 365). Es wäre deshalb systemwidrig, durch eine weite Auslegung des § 363 Abs. 1 StPO die speziellen Wiederaufnahmegründe denselben Einschränkungen zu unterwerfen, wie sie für § 359 Nr. 5 StPO gelten.
dd) Nicht zuletzt gebietet die Gerechtigkeit, daß in Fällen wie dem vorliegenden die Beseitigung eines unrichtigen, den Verurteilten schwer belastenden Schuldspruchs auch dann möglich sein muß, wenn wegen der verbleibenden Straftaten eine ihm günstigere Rechtsfolgenentscheidung ausgeschlossen ist. Die §§ 359 ff. StPO dienen der Lösung des Konflikts zwischen den Grundsätzen der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit, die sich beide aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten (BVerfG MDR 1975, 468, 469). Innerhalb der durch den Gesetzeswortlaut gezogenen Grenzen verdient deshalb diejenige Auslegung des § 363 Abs. 1 StPO den Vorzug, welche die Korrektur einer Fehlentscheidung ermöglicht, deren Aufrechterhaltung derart dem Gebot der Gerechtigkeit widerspräche, daß das allgemeine Interesse am Fortbestand einer rechtskräftigen Entscheidung zurücktreten muß. Angesichts des mit einer Verurteilung wegen Mordes verbundenen gravierenden ethischen Unwerturteils, darf der "zu Unrecht erhobene Vorwurf, 22 Menschenleben kaltblütig ausgelöscht zu haben" (so der Beschwerdeführer in seinem Wiederaufnahmeantrag), keinen Bestand haben, wenn dieser Schuldspruch, wie vom Beschwerdeführer vorgetragen, auf der vorsätzlichen Falschaussage eines Zeugen beruht.
ee) Die hier vertretene Auslegung des § 363 Abs. 1 StPO führt im Ergebnis nicht zu einer wesentlichen Erweiterung der auf Ausnahmefälle zu beschränkenden Möglichkeit, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren wiederaufzunehmen.
Betroffen sind - entsprechend den Darlegungen unter cc) - ausschließlich die speziellen Wiederaufnahmegründe des § 359 Nr. 1 bis Nr. 4 und Nr. 6 StPO, deren Voraussetzungen nur in seltenen Fällen vorliegen. Auf die Behauptung einer Straftat (§ 359 Nr. 2 und Nr. 3 StPO) kann ein Wiederaufnahmeverlangen in der Regel nur gegründet werden, wenn diese durch eine rechtskräftige Verurteilung nachgewiesen ist (§ 364 StPO). Die Aufhebung eines zivilgerichtlichen Urteils (§ 359 Nr. 4 StPO) setzt die vorherige Durchführung eines förmlichen Verfahrens voraus; gleiches gilt gemäß § 359 Nr. 6 StPO für die Feststellung einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Für die große Masse der Wiederaufnahmeanträge, die auf den weit gefaßten Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO gestützt werden, ordnet das Gesetz dagegen ausdrücklich an, daß ihre Zulässigkeit an die Möglichkeit einer günstigeren Rechtsfolgenentscheidung geknüpft ist.
Im übrigen ist auch nicht in jedem Fall, in dem ein Verurteilter zulässigerweise die Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem beschränkten Ziel betreibt, den Schuldspruch wegen eines tateinheitlich verwirklichten, aber nicht den Strafrahmen bestimmenden Delikts zu beseitigen, eine vollständige Überprüfung dieses Schuldspruchs im Rahmen der erneuten Hauptverhandlung geboten. Fällt der in Zweifel gezogene weitere Tatvorwurf innerhalb der Tat nicht entscheidend ins Gewicht, so kann - wenn das Vorbringen des Antragstellers im Probationsverfahren genügende Bestätigung gefunden hat und deshalb gemäß § 370 Abs. 2 StPO die Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen ist - einer unökonomischen Durchführung einer aufwendigen Hauptverhandlung dadurch begegnet werden, daß die Strafverfolgung gemäß § 154 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auf die vom Wiederaufnahmegrund nicht berührten Teile der Tat beschränkt wird.
3. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist nur hinsichtlich des Geschehens in Grabska (Fall A II 8 h der Urteilsgründe) zulässig, weil sich eine Falschaussage des Zeugen "Mirsad H. " nur auf diesen Teil der Tat ausgewirkt haben kann.
Rechtskräftige Urteile sind grundsätzlich unabänderlich. Lediglich in eng umrissenen Ausnahmefällen sieht das Gesetz die Wiederaufnahme des Verfahrens vor. Daraus folgt, daß die Durchführung der Wiederaufnahme auf den Teil des Schuldspruchs zu beschränken ist, der durch den Wiederaufnahmegrund in Frage gestellt wird (vgl. BGHSt 11, 361, 364).
Eine Wiederaufnahme des gesamten Verfahrens wird hier auch nicht dadurch erzwungen, daß sämtliche vom Beschwerdeführer begangenen Morde durch den tateinheitlich verwirklichten Straftatbestand des Völkermordes (§ 220 a StGB aF) sachlichrechtlich zu einer Tat verklammert werden (BGHSt 45, 65, 89 ff.). Zwar ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens grundsätzlich unzulässig, wenn sie nur einen Teil einer einheitlichen Tat erfassen soll (BGHSt 14, 65, 88; BGHR OWiG § 85 Abs. 1 Zulässigkeit 1). Das gilt aber nicht, wenn trotz sachlichrechtlicher Tateinheit ausnahmsweise mehrere prozessuale Taten anzunehmen sind.
Regelmäßig bildet eine sachlichrechtlich einheitliche Tat auch eine Tat im Sinne des § 264 StPO (BGHSt 13, 21, 23). Andererseits können aber sachlichrechtliche Tateinheit und prozessuale Tatidentität nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden, weil sie verschiedene Funktionen erfüllen (vgl. BVerfGE 56, 22 f.): Regelungsgegenstand des § 52 StGB ist die Bestimmung des maßgeblichen Strafrahmens, während § 264 StPO den Gegenstand der Urteilsfindung umreißt (vgl. BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 1 Organisationsdelikt 1). Im Einzelfall, insbesondere dann, wenn untereinander an sich in Tatmehrheit stehende Straftaten durch ein jeweils tateinheitlich verwirklichtes Delikt zur Tateinheit verklammert werden, kann eine Tat im materiellrechtlichen Sinn prozessual in mehrere Taten zerfallen (vgl. BGHSt 29, 288, 295 f.).
So verhält es sich hier: Die Ermordung von 22 Angehörigen der muslimischen Bevölkerungsgruppe in Grabska Mitte Juni 1992 bildet einen in sich abgeschlossenen Lebenssachverhalt und damit - bezogen auf den Tatbestand des § 211 StGB - eine selbständige Tat im Sinne von § 264 StPO. Der Wegfall dieser Tat ließe die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Völkermordes in Tateinheit mit Mord in acht Fällen wegen des in den Fällen A II 8 j und k der Urteilsgründe näher beschriebenen Geschehens unberührt. Die Frage, ob der Beschwerdeführer darüber hinaus zu recht wegen weiterer 22 tateinheitlich begangener Fälle des Mordes schuldig gesprochen worden ist, kann deshalb für sich genommen Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens sein.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, daß der Rechtsfolgenausspruch von der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht berührt wird. Das gleiche gilt für die Feststellung, daß die Schuld des Beschwerdeführers besonders schwer wiegt. Das Oberlandesgericht, das Tatmehrheit angenommen hatte, hat diese Feststellung bereits für jeden Fall der Urteilsgründe gesondert getroffen. Der neue Tatrichter hat Gelegenheit, die Möglichkeit einer Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 StPO auf die vom Wiederaufnahmegrund nicht betroffenen Tatkomplexe zu prüfen, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers in dem sich nun anschließenden Probationsverfahren genügende Bestätigung finden sollte.
Ende der Entscheidung
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