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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.01.2005
Aktenzeichen: 2 StR 138/04
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 20
StGB § 21
StPO § 274
StPO § 258 Abs. 2
StPO § 258 Abs. 2 2. Halbsatz
StPO § 258 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 138/04

vom 12. Januar 2005

gegen

wegen Betruges u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Januar 2005, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter, Dr. Bode, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten, der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß,

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einem Monat verurteilt. Es hat ihn - unter Zurückweisung im übrigen - weiter verurteilt, an den Adhäsionsantragsteller 3,9 Mio. DM und 100.000 US-Dollar zu einem Kurs von 1 US-Dollar zu DM 2,10 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins ab 25. September 2003 zu zahlen.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten und - zuungunsten des Angeklagten - der Staatsanwaltschaft.

Der Angeklagte erhebt eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge.

Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrem wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechtes, insbesondere die Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB beim Angeklagten zur Zeit der Tat.

Beide Rechtsmittel haben in vollem Umfang Erfolg.

II.

Die Revision des Angeklagten greift mit der Verfahrensrüge durch.

Der Beschwerdeführer beanstandet unter Mitteilung der entsprechenden Passage des Hauptverhandlungsprotokolls mit der Verfahrensrüge, daß "ausweislich ... dieses Hauptverhandlungsprotokolls ... das Gericht den Angeklagten weder auf sein Recht zum letzten Wort hingewiesen noch ihm insoweit das Rederecht erteilt" habe. "Damit liege ein Verstoß gegen § 258 Abs. 2 2. Halbsatz, Abs. 3 StPO vor."

1. Der Beschwerdeführer hat keine unzulässige Protokollrüge erhoben, bei der lediglich behauptet wird, daß ein bestimmter Verfahrensvorgang in der Sitzungsniederschrift nicht vermerkt worden ist (BGHSt 7, 162; 10, 145, 146; OLG Saarbrücken MDR 1986, 1050; OLG Düsseldorf Rechtspflege 1993, 460, 461; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 86). Er behauptet konkret ein Nichtgewähren des letzten Wortes, welches durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werde. Die verwendete Formulierung "ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls" steht dem nicht entgegen, weil sie lediglich ein Hinweis auf das geeignete Beweismittel ist, ohne daß die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptung damit in Frage gestellt wird (BGH StV 1982, 4, 5; 1997, 515).

2. Durch das Hauptverhandlungsprotokoll ist bewiesen (§ 274 StPO), daß dem Angeklagten das letzte Wort nicht erteilt wurde. Das Protokoll ist insoweit eindeutig.

Der Vorsitzende hat allerdings hierzu dienstlich erklärt: "Tatsächlich wurde - wie die Protokollführerin bestätigt - das letzte Wort erteilt. Eine Korrektur ist mir nun verwehrt."

Die Protokollführerin hat sich dienstlich dahin geäußert, daß in dem von ihr abgegebenen Protokoll die Angabe fehlt: "Der Angeklagte hatte das letzte Wort." In den ihr noch vorliegenden Protokollnotizen sei auf Blatt 5 diese Angabe vorhanden und nur aus Versehen nicht in das abzugebene Protokoll übertragen worden.

Die dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin dürfen nach bisheriger Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH, Beschluß vom 1. März 2004 - 5 StR 53/04 m.w.N.) nicht herangezogen werden, wenn sie einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge den Boden entziehen. Der Senat neigt jedoch unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung der Auffassung zu, daß ein ordnungsgemäß berichtigtes Protokoll auch dann zugrunde zu legen ist, wenn dadurch einer erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen würde (offengelassen im Senatsurteil vom 8. August 2001 - 2 StR 504/00 = NStZ 2002, 270, 272). Danach könnte berücksichtigt werden, daß ursprünglich nur ein Mangel des Protokolls vorlag und kein Verfahrensfehler gegeben ist. Hierdurch würden zur Verzögerung führende unnötige Aufhebungen vermieden und gerechtere Ergebnisse erzielt. Die in der Literatur (vgl. u.a. Detter StraFo 2004, 329, 330; Park StraFo 2004, 335, 338, 340; Fezer Anm. zu 2 StR 504/00 in NStZ 2002, 272, 273) umstrittene Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls könnte eingeschränkt werden. Ebenso würde sich die Beantwortung der Frage erübrigen, ob "unwahre Verfahrensrügen" von Verteidigern zulässig sind (vgl. hierzu auch Tepperwien in Festschrift Meyer-Goßner S. 595 ff.).

Da das Revisionsgericht keine Tatsacheninstanz ist und das Freibeweisverfahren vor dem Revisionsgericht keine Ausweitung erfahren soll, ist der Senat jedoch der Auffassung, daß nicht bereits nachträgliche übereinstimmende dienstliche Erklärungen der Urkundsbeamten ausreichen, um einer erhobenen Verfahrensrüge des Angeklagten den Boden zu entziehen, - ein Umstand, der aber zu seinen Gunsten bereits ausreicht (vgl. hierzu auch BGHSt 4, 364, 365; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 1; BGH StV 1988, 45 = NStZ 1988, 85) - sondern nur ein entsprechend berichtigtes Protokoll. Maßgebend ist dann für das Revisionsgericht das (berichtigte) Protokoll, das von den Unterschriften der Urkundsbeamten gedeckt ist. Im vorliegenden Fall liegt aber kein berichtigtes Hauptverhandlungsprotokoll vor, da der Vorsitzende meint, eine Korrektur sei ihnen verwehrt. Dies trifft nicht zu. Die Rechtsprechung erachtet eine Protokollberichtigung grundsätzlich für zulässig; sie hält diese lediglich dann für unbeachtlich, wenn damit einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen würde (vgl. u.a. BGHSt 1, 259, 261; 10, 342, 343; 12, 270, 271; 22, 278, 280; 34, 11, 12; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11; BGH NStZ 1984, 52, 1995, 200, 201; StV 2002, 183; JZ 1952, 281).

Da hier eine zulässige Protokollberichtigung nicht vorgenommen wurde und der Senat aus grundsätzlichen Erwägungen das Vorliegen der dienstlichen Erklärungen allein nicht für ausreichend erachtet, sieht er von einer entsprechenden Anfrage bei den anderen Senaten ab.

Dadurch, daß der Senat das Vorliegen dienstlicher Erklärungen, mit denen sich Vorsitzender und Protokollführer vom Inhalt des Protokolls distanzieren, nicht ausreichen läßt, die Beweiskraft des Protokolls im Sinne des § 274 StPO entfallen zu lassen, trägt er dem Umstand Rechnung, daß § 274 StPO die Prüfung der wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrensgangs der Tatsacheninstanz durch das Revisionsgericht formalisiert und auf die aus der Sitzungsniederschrift ersichtlichen Verfahrensvorgänge beschränkt (vgl. hierzu BGH StV 2004, 638, 639). Für das Revisionsgericht ändert sich nichts dadurch, daß es ein berichtigtes, von den Unterschriften der Urkundspersonen gedecktes, Protokoll zugrundezulegen hat, statt eines von den Verantwortlichen als unrichtig bezeichnetes. Dies führt gerade nicht zu einer Ausweitung des Freibeweisverfahrens in der Revisionsinstanz und auch nicht zu einer Aushöhlung des Prinzips der absoluten Beweiskraft des Protokolls. Die absolute Beweiskraft gilt für das berichtigte Protokoll. Eine Beweiserhebung über Verfahrenstatsachen ist danach nicht erforderlich.

Der behauptete Verfahrensverstoß ist danach bewiesen.

Der Senat kann nicht ausschließen, daß auf dem Verstoß gegen § 258 Abs. 2 und 3 StPO das Urteil beruht, da der Angeklagte die Schuldvorwürfe in der Hauptverhandlung bestritten hat.

III.

Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Zeit der Tat angenommen.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erreichte der Angeklagte, daß der Zeuge W. ihm in Teilbeträgen über 4 Millionen DM aushändigte, um für diesen eine Villa zu erwerben. Der Angeklagte verbrauchte aber das Geld für sich und seine Lebensgefährtin, wobei er größere Beträge in Spielbanken verspielte. Gegenüber der Polizei gab er dagegen an, das Geld sei ihm durch einen Überfall geraubt worden.

Das Landgericht hat dem Angeklagten wegen dessen Spielsucht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) zugebilligt, "obgleich seine Einlassung - da bestreitend - hierzu keinerlei Anknüpfungstatsachen lieferte". Zur Begründung hat es im wesentlichen darauf verwiesen, daß Zeugen aus der Spielbank in Wi. den Angeklagten als fanatischen, leidenschaftlichen Spieler bezeichneten, als einen "Zocker, der nicht aufhören kann", daß das durch Betrug erlangte Geld von ihm zum Teil verspielt wurde und daß in einem früheren Urteil seine Spielsucht strafmildernd berücksichtigt wurde.

Die knappen Feststellungen reichen nicht aus, um die Voraussetzungen des § 21 StGB wegen Spielsucht zu belegen.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 5 StR 411/04 - zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH NStZ 2004, 31, 32; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 7, 8, 17; BGH, Beschluß vom 7. Januar 1993 - 4 StR 597/92 = StV 1993, 241) besagt die Feststellung einer "Spielsucht", "Spielleidenschaft" oder "pathologischer Spieler" nicht ohne weiteres, daß beim Betroffenen schon allein deshalb eine krankhafte seelische Störung oder eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB vorliegt.

Maßgebend ist vielmehr, inwieweit das gesamte Erscheinungsbild des Täters psychische Veränderungen der Persönlichkeit aufweist, die, wenn sie nicht pathologisch bedingt sind, als andere seelische Abartigkeit in ihrem Schweregrad den krankhaften seelischen Störungen gleichwertig sind. Deshalb ist eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit beim pathologischen Spielen nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn die Sucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter Entzugserscheinungen gelitten hat.

Das Landgericht hat keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob die Sucht des Angeklagten zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat. Die Zeugen aus der Spielbank konnten nur das Auftreten des Angeklagten beim Spielen beobachten, aber keine Angaben über sein Leben außerhalb der Spielbank machen. Soweit sich die Kammer darauf stützt, daß in einer Vorverurteilung zugunsten des Angeklagten seine Spielsucht berücksichtigt wurde, ergibt sich - abgesehen davon, daß dies ohne nähere Darlegung ohnehin wenig aussagekräftig ist - aus der mitgeteilten Vorstrafe gerade nicht, daß dort die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht wurden, sondern nur, daß dieser Umstand strafmildernd gewertet wurde. Daß der Angeklagte (nur) einen Teil der Gelder zum Spielen verwendete, steht einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit eher entgegen (vgl. hierzu u.a. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 17; BGH, Beschluß vom 18. Mai 1994 - 5 StR 78/04 = NStZ 1994, 501).

Das Landgericht hat daher die Voraussetzungen des § 21 StGB beim Angeklagten rechtsfehlerhaft bejaht.

Sollte der Tatrichter im Ergebnis nur zugunsten des Angeklagten unterstellt haben, daß dessen Spielsucht seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert hat, wäre dies rechtlich ebenfalls zu beanstanden, weil es sich um eine Rechtsfrage handelt (vgl. auch BGH, Beschluß vom 7. Januar 1993 - 4 StR 597/92 = StV 1993, 241), bei der der Zweifelsgrundsatz nicht gilt.

Der Senat kann nicht ausschließen, daß der Tatrichter ohne den aufgezeigten Rechtsfehler die Voraussetzungen des § 21 StGB verneint hätte und zu einer dem Angeklagten ungünstigeren Strafe gelangt wäre.

Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

Da es sich um die Einsatzstrafe handelt und die Taten in innerem Zusammenhang stehen, kann der Senat auch nicht sicher ausschließen, daß die Einzelstrafe wegen Vortäuschens einer Straftat ebenfalls von dem Rechtsfehler berührt ist, zumal diese nicht näher begründet wurde. Der Strafausspruch war daher insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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