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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.06.1999
Aktenzeichen: 2 StR 146/99
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 253 | |
StGB § 255 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
30. Juni 1999
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Juni 1999, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Niemöller, Detter, Dr. Bode, Rothfuß als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 30. November 1998 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten S. und B. vom Vorwurf der versuchten räuberischen Erpressung (Tat Nr. 1 der Anklage) freigesprochen wurden.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagten u.a. vom Vorwurf der versuchten räuberischen Erpressung zum Nachteil des Zeugen Z. freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre auf die Sachrüge gestützte Revision wirksam auf diesen Freispruch beschränkt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
Das Landgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Die beiden Angeklagten und weitere Tatbeteiligte bestellten am 4. März 1998 Z. und drei Begleiter zu einer Unterredung in eine Gastwirtschaft. Dort forderte S. von Z. 30.000 DM, weil Z. eine Prostituierte aus einem Bordell abgeworben hatte, das von einem der Begleiter S. s betrieben wurde und das S. übernehmen wollte. Während einer lautstarken Auseinandersetzung bewarf S. Z. oder einen seiner Begleiter mit Bestecken und einem Aschenbecher, ohne sie zu verletzen. Z. wurde erklärt, falls er nicht zahle, müsse er mit dem Angeklagten B. einen Zweikampf austragen. Möglicherweise wollte sich B. dabei auch an Z. rächen, weil die abgeworbene Prostituierte seine Freundin war. Z. wurden einige Tage Bedenkzeit eingeräumt. Die Angeklagten wollten sich wieder bei ihm melden. Ein genauer Termin zur Zahlung oder für den Kampf wurde nicht bestimmt. Z. war wegen der Androhung sehr verängstigt, weil er befürchtete, den Zweikampf auf Leben und Tod führen zu müssen und daß er hierzu gezwungen würde, falls er sich nicht freiwillig stelle. Zu einer Zahlung oder einem Zweikampf kam es nicht.
Das Landgericht meint, die Angeklagten hätten Z. nicht mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben bedroht, weil die Drohung mit dem Zweikampf zeitlich völlig unbestimmt gewesen sei. Auch mit einem empfindlichen Übel (§ 253 StGB) sei nicht gedroht worden, weil die Angeklagten weder ausdrücklich noch schlüssig angekündigt hätten, Z. werde zu dem Zweikampf gezwungen, falls er sich nicht freiwillig stelle. Daß Z. diese Befürchtung gehabt habe, da er die im Rotlichtmilieu geltenden Bräuche gekannt hätte, ändere hieran nichts. Nach dem Gesamteindruck der Kammer habe es sich um eine Warnaktion rivalisierender Bordellbetreiber gehandelt, die Z. Angst habe machen sollen; daß die Drohung habe umgesetzt werden sollen, sei aber nicht sicher.
III.
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts bei der Auslegung der Erklärungen der Angeklagten ist lückenhaft:
Das Landgericht geht davon aus, die Angeklagten hätten aus ihrer Sicht Z. weder ausdrücklich noch konkludent angedroht, daß er zu dem Zweikampf mit B. gezwungen werde, falls er sich nicht freiwillig stelle. Andererseits stellt das Landgericht jedoch fest, Z. habe aufgrund seiner Kenntnis der Gebräuche des Rotlichtmilieus die drohende Äußerung dahin verstanden, daß er notfalls zum Zweikampf gezwungen werden solle. Die Usancen des Rotlichtmilieus waren aber nicht nur dafür von Bedeutung, wie der Zeuge die Erklärungen verstanden hat. Sie hätten vielmehr auch schon - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - für die Ermittlung des objektiven, von den Angeklagten auch gewollten Erklärungsinhalts herangezogen werden müssen, da auch die Angeklagten diesem Milieu angehörten.
2. Die Erwägungen, mit denen es das Landgericht verneint hat, daß Z. mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben bedroht wurde, halten der rechtlichen Prüfung nicht stand. Eine angedrohte Gefahr für Leib oder Leben ist im Sinne des § 255 StGB dann "gegenwärtig", wenn die in Aussicht gestellte Schädigung an Leib oder Leben bei ungestörter (natürlicher) Weiterentwicklung der Dinge nach menschlicher Erfahrung als sicher oder höchstwahrscheinlich zu erwarten ist, falls nicht alsbald eine Abwehrmaßnahme ergriffen wird (BGHR StGB § 255 Drohung, 6, 7, 9 jeweils m.w.N.). Es genügt eine Gefahr, die als Dauergefahr jederzeit in einen Schaden umschlagen kann. Eine genaue zeitliche Grenze dafür, wann eine angedrohte Gefahr noch gegenwärtig ist und wann nicht mehr, läßt sich nicht allgemein festlegen. Maßgebend sind hierfür die aussagekräftigen Umstände des Einzelfalls (aaO Drohung 9). Diese zu beurteilen, ist in erster Linie Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aber zu prüfen, ob seiner Beurteilung ein zutreffendes Verständnis des gesetzlichen Begriffs zugrunde liegt und ob er alle wesentlichen Umstände bedacht sowie die Auslegungsregeln eingehalten hat.
Die Ausführungen des Landgerichts ergeben, daß es den Begriff der Gegenwärtigkeit und der Gefahr für Leib oder Leben verkannt hat. Das Landgericht hat entscheidend darauf abgestellt, daß die Drohung mit dem Zweikampf zeitlich gänzlich unbestimmt gewesen sei. Dabei läßt die Strafkammer außer Betracht, daß die für den Fall der Zahlungsverweigerung angedrohte Gefahr eines Zweikampfs auch dann gegenwärtig und in ihren Auswirkungen auf das Opfer dann sogar besonders gefährlich sein kann, wenn die Drohung in dem Sinne ungewiß ist, daß die Gefahr jederzeit - alsbald, aber auch später - in einen Schaden umschlagen kann. Dies gilt vor allem in Fällen der vorliegenden Art, in denen hinter oder neben den Tätern noch eine Gruppe von weiteren Tatbeteiligten steht - hier die Begleiter bei der Bedrohung -, die die Situation aus der Sicht des bedrohten Tatopfers unberechenbar erscheinen lassen. Die Angeklagten hatten Z. nur "einige Tage" Bedenkzeit bewilligt und angekündigt, sie würden sich wieder melden. Jedenfalls nach Ablauf dieser kurzen Bedenkzeit hätte sich die angedrohte Gefahr nach der festgestellten Drohungsäußerung jederzeit verwirklichen können, so daß sie im Sinne einer Dauergefahr gegenwärtig war (vgl. BGH NStZ 1996, 494; 1994, 187; BGHR StGB § 255 Drohung 6, 9). Dabei bedarf es keiner weiteren Begründung, daß der angedrohte Zweikampf zumindest eine Leibesgefahr für Z. darstellte, ohne daß es auf die vom Landgericht nicht mitgeteilten Kräfteverhältnisse zwischen Z. und dem Angeklagten B. ankommt.
Ohne Bedeutung für die rechtliche Bewertung des Verhaltens der Angeklagten als versuchte räuberische Erpressung ist, ob sie ihre Drohung umsetzen wollten. Es genügt, daß Z. die Drohung nach ihrer Vorstellung ernst nehmen sollte (vgl. BGHSt 38, 83, 86; 26, 309, 310; 23, 294, 296). Hiervon geht ersichtlich auch das Landgericht aus. Schließlich steht der Annahme einer versuchten räuberischen Erpressung nicht entgegen, daß sich der Angeklagte B. möglicherweise auch an Z. rächen wollte.
3. Der Freispruch der Angeklagten S. und B. hat somit keinen Bestand. Mit seiner Aufhebung entfällt auch die Grundlage für die Entschädigungsentscheidung. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist deshalb gegenstandslos.
Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob der Versuch der räuberischen Erpressung fehlgeschlagen ist oder ob ein strafbefreiender Rücktritt in Betracht kommt (vgl. BGHSt 39, 221, 227 ff.).
Ende der Entscheidung
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