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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.10.2002
Aktenzeichen: 2 StR 153/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 177 Abs. 1 a.F.
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 153/02

vom

2. Oktober 2002

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Oktober 2002, an der teilgenommen haben:

Richter am Bundesgerichtshof

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 22. November 2001 mit den Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.2 bis 7 verurteilt wurde,

b) im Fall II.1 im Strafausspruch sowie

c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern und sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen, davon in fünf Fällen tateinheitlich mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Außerdem erging eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich im wesentlichen dagegen, daß der Angeklagte nicht auch in den Fällen II.2 bis 7 der Urteilsgründe wegen tateinheitlich begangener Vergewaltigung verurteilt wurde. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel, das im Fall 1 wirksam auf den Strafausspruch beschränkt ist, hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Der Angeklagte übte in den Jahren 1998 und 1999 an seiner damals 12 bzw. 13-jährigen Nichte, der Nebenklägerin U. , mehrfach Analverkehr aus. Die Geschädigte, die mit ihren beiden Schwestern bei ihrem Vater aufwuchs, hatte bis dahin ein gutes, vertrauliches Verhältnis zu dem Angeklagten und seiner Familie gehabt.

1. Im Zeitraum vom 23. März bis 6. April 1998 übernahmen der Angeklagte und seine Ehefrau während eines Krankenhausaufenthalts des Vaters der Geschädigten auf dessen Bitte die Betreuung der Nebenklägerin und ihrer älteren Schwester. Zu diesem Zweck wohnten sie in der Wohnung der Familie U. . Als der Angeklagte sich eines Morgens mit seiner Nichte allein in der Wohnung befand, legte er sich zu ihr auf die Couch, begann sie zu küssen und hielt sie fest, als sie ihren Widerwillen bekundete und aufzustehen versuchte. Er schloß die Wohnungstür von innen ab. Das Mädchen wehrte sich ohne Erfolg, trat und schlug nach dem Angeklagten, der sie mit seinem Gewicht auf die Couch drückte und sie teilweise entkleidete. Da U. zu schreien begann, drückte er ihr ein Kissen auf das Gesicht. Er drehte sie auf die Seite und drang mit seinem erigierten Glied in den After des Kindes ein, was diesem heftige Schmerzen bereitete. Nachdem er nach zwei bis drei Minuten von ihr abgelassen hatte, gebot der Angeklagte seiner Nichte, mit niemandem über die Sache zu sprechen und sich normal zu verhalten, anderenfalls werde sie nur sich selbst schaden und die Familie zerstören; auch werde ihr niemand Glauben schenken. Er drohte ihr, sie umzubringen, falls sie mit jemandem über die Tat sprechen sollte. Enttäuscht und verängstigt, vertraute sich die Geschädigte lediglich ihrer älteren Schwester an, die ihr jedoch nicht glaubte.

2. Vom 20. April bis 18. Mai 1998 wurden U. und ihre Schwester wiederum von dem Angeklagten und seiner Frau in der väterlichen Wohnung betreut, während sich der Vater in Kur befand. Als der Angeklagte an einem Tag morgens mit seiner Nichte allein in der Wohnung war, näherte er sich ihr wiederum in sexueller Absicht. Sie erklärte ihm, daß sie sein Verhalten ablehne, und wollte die Wohnung verlassen, mußte aber feststellen, daß er die Tür abgeschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte. Der Angeklagte entkleidete sich, hielt das Mädchen fest, zog dessen Hose herunter und führte erneut den Analverkehr durch. Aus Furcht vor dem Angeklagten und aus Angst, man glaube ihr nicht, offenbarte sich U. nicht gegenüber Dritten.

3. Während desselben Kuraufenthalts des Vaters kam es zu einem weiteren Analverkehr des Angeklagten mit der Geschädigten, die sich im Hinblick auf die früheren Taten jedoch kaum noch zur Wehr setzte.

4. Im Sommer 1998, vermutlich im Juni, übte der Angeklagte in seiner eigenen Wohnung Analverkehr mit seiner Nichte aus, nachdem er zuvor seine eigenen Töchter hinausgewiesen hatte. Als die Tochter des Angeklagten die Geschädigte am Abend fragte, was ihr Vater immer mit ihr mache, schwieg U. .

5.-7. Im Sommer 1999 übernahmen der Angeklagte und seine Ehefrau erneut die Betreuung ihrer Nichten, als sich deren Vater vom 17. bis 25. August in der Türkei aufhielt. In diesem Zeitraum kam es in drei weiteren Fällen zur Ausübung des Analverkehrs durch den Angeklagten mit U. . Diese setzte dem Angeklagten, dem sie körperlich weit unterlegen war, keine Gegenwehr mehr entgegen. Denn sie befand sich mit dem Angeklagten allein in der Wohnung des Mehrfamilienhauses.

II.

Das Landgericht hat die Übergriffe des Angeklagten als sexuellen Mißbrauch eines Kindes (im Fall 1 nach § 176 Abs. 3 StGB a.F.) bzw. schweren sexuellen Mißbrauch eines Kindes (in den übrigen Fällen) gewertet und - außer im Fall 4 - tateinheitlich begangenen sexuellen Mißbrauch einer Schutzbefohlenen angenommen. Mit Ausnahme der ersten Tat, bei der es die Anwendung von Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB a.F. bejaht hat, hat sich das Landgericht an einer Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich begangener Vergewaltigung gehindert gesehen, da bei den folgenden Taten weder Gewalt noch eine konkludente Drohung anzunehmen sei und auch die Ausnutzung einer schutzlosen Lage ausscheide. Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Als rechtsfehlerhaft erweist sich bereits die Argumentation des Landgerichts zur fehlenden Gewaltanwendung seitens des Angeklagten.

Schon das Einsperren in einen umschlossenen Raum reicht als Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus, wenn es dazu dient, das Opfer am Verlassen des Raumes zu hindern und so die sexuellen Handlungen zu ermöglichen (BGH GA 1965, 57; 1981, 168; Urt. vom 21. Januar 1987 - 2 StR 656/86); an der notwendigen finalen Verknüpfung der Gewalt mit der sexuellen Handlung kann es dagegen fehlen, falls das Abschließen der Tür nur erfolgt, um ungestört zu sein und eine Entdeckung zu verhindern (BGH bei Miebach NStZ 1996, 123; Beschl. vom 24. August 1999 - 4 StR 339/99 - insoweit in NStZ 1999, 629 nicht abgedruckt).

Darüber hinaus ist im Einzelfall das - mit nicht ganz unerheblicher Krafteinwirkung verbundene - Festhalten des Opfers ebenso wie die Überwindung von geringfügiger Gegenwehr als Gewalt zu qualifizieren (vgl. BGH, Beschl. vom 21. Januar 1987 - 2 StR 656/86; Urt. vom 6. September 1995 - 2 StR 363/95; Urt. vom 26. August 1997 - 1 StR 431/97; Beschl. vom 20. April 1999 - 4 StR 102/99); ausreichend sein kann je nach den Umständen des Falles auch das Packen an der Hand, das auf das Bett Stoßen oder das sich auf das Opfer Legen bzw. der Einsatz überlegener Körperkraft (BGH, Urt. vom 23. März 1997 - 1 StR 772/96 - insofern in NStZ 1997, 494 nicht abgedruckt; Beschl. vom 13. Juni 2002 - 5 StR 203/02).

Danach liegt die Annahme von Gewalt im Fall 2 bereits deshalb nahe, weil der Angeklagte die Wohnungstür verschlossen und den Schlüssel entfernt hatte. Die Gesamtumstände sprechen dafür, daß er seine Nichte, die zuvor im Fall 1 zu fliehen versucht hatte, am Entweichen hindern wollte; eine Entdeckung durch andere Familienmitglieder war zu diesem Zeitpunkt nicht zu befürchten. In den weiteren Fällen hat das Landgericht, das die Möglichkeit einer Gewaltanwendung durch Einsperren offenbar übersehen hat, nicht festgestellt, ob die Wohnungstür während der Tatausführung ebenfalls verschlossen war.

Auch hinsichtlich der Stärke der körperlichen Einwirkung und des Ausmaßes der Gegenwehr sind die Urteilsfeststellungen in den Fällen 2 bis 7 nicht erschöpfend; soweit die Strafkammer im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausführt, das Opfer habe dem Angeklagten "keine durch Gewalt zu überwindende Gegenwehr" entgegengesetzt, handelt es sich bereits um eine Wertung, für die es an einer ausreichenden Feststellungsgrundlage fehlt. Mangels einer genaueren Schilderung des Verhaltens sowohl des Angeklagten als auch der Geschädigten ist es dem Senat nicht möglich, zu überprüfen, ob die Strafkammer im Ergebnis zu Recht die Anwendung von Gewalt abgelehnt hat.

2. Des weiteren wäre in den Fällen 2 bis 4 das Vorliegen einer Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB näher zu prüfen gewesen.

Frühere Gewalteinwirkungen können als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte; so kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, daß das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben empfindet (vgl. BGH StV 1984, 330, 331; NStZ 1986, 409; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2, 5, 8).

Allerdings geht der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Gleichsetzung von Gewalt und Ausnutzung der Angst vor Gewalt im Sinne einer konkludenten Drohung in der Regel ausscheidet, wenn zwischen der Gewaltanwendung und dem späteren Geschlechtsverkehr Wochen oder sogar Monate liegen (vgl. BGH NStZ 1986, 409; BGHR StGB § 177 Serienstraftaten 5; NStZ-RR 1998, 105).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist hier in den Fällen 2 bis 4 die Annahme einer konkludenten Drohung nicht wegen des jeweiligen Zeitablaufs zur vorangegangenen Tat ausgeschlossen. Der Angeklagte hatte bei der kurz zuvor begangenen ersten Tat unter Einsatz körperlicher Kraft jede Gegenwehr des Mädchens unterbunden, seinen Fluchtversuch vereitelt und ihm in Anschluß an die Tat massiv gedroht. Die Geschädigte war, wie das Landgericht feststellt, in erheblichem Maße verängstigt und einer Drucksituation ausgesetzt. Angesichts der Gesamtumstände ist durchaus denkbar, daß das Mädchen das weitere Vorgehen des Angeklagten - wie von ihm gewollt - im Hinblick auf ihre bisherigen Erlebnisse als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfand, zumal bei der Gewichtung der Vorgänge die Sicht des Opfers, insbesondere wenn es sich noch im Kindesalter befindet, nicht außer acht bleiben kann (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8).

Als konkludente Drohung kommt hier zum einen die Androhung in Betracht, wiederum mit dem Kind, das bei der ersten Tat starke Schmerzen verspürt hatte, gegen dessen Willen den Analverkehr auszuüben, was als Ankündigung einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität zu werten ist (vgl. BGH NStE Nr. 9 zu § 178 StGB, Nr. 24 zu § 177 StGB). Zum anderen ist auch eine Fortwirkung der vom Angeklagten ausgesprochenen Drohung, er werde das Mädchen umbringen, wenn es über die (erste) Tat spreche, denkbar. Denn ebenso wie Gewalt, die der Täter ursprünglich aus anderen Gründen angewendet hatte, eine konkludente Drohung darstellen kann, kann auch eine zunächst zu anderen Zwecken ausgesprochene Drohung als solche im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB fortwirken (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8). Die Umstände der vom Landgericht festgestellten Taten drängten demnach zur Erörterung dieser Gesichtspunkte.

3. Schließlich begegnet auch die Ablehnung einer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß die Strafkammer hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der "Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist", von einem zu engen Begriffsverständnis ausgeht.

Eine schutzlose Lage liegt vor, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, daß es dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Opfer sich dem überlegenen Täter allein gegenüber sieht und auf fremde Helfer nicht rechnen kann, wobei es allerdings eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten nicht bedarf (BGHSt 44, 228, 231; 45, 253, 256). Unerheblich ist, auf welche Umstände die schutzlose Lage des Opfers zurückzuführen ist; sowohl äußere Gegebenheiten als auch in der Person des Opfers liegende Umstände können die verminderten Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten bewirken. Die schutzlose Lage muß nicht vom Täter selbst herbeigeführt sein (BGHSt 45, 253, 256 f.; BGH NJW 2002, 381, 382).

Die alleinige Erwägung des Landgerichts, das Tatgeschehen habe sich jeweils in Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus ereignet, trägt die Ablehnung einer schutzlosen Lage im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung nicht. Das Landgericht hat nicht einmal festgestellt, daß sich schutzbereite Dritte in Rufnähe befunden hätten und die Geschädigte eine realistische Chance auf Hilfe von außen gehabt hätte. Gerade in Mehrfamilienhäusern mit anonymerem Charakter wird häufig auch durch lautes Rufen oder Schreien keine besondere Hilfsbereitschaft anderer zu erlangen sein; so wurden auch im Fall 1 die Hilferufe des Opfers von niemandem vernommen. Eine schutzlose Lage setzt nicht notwendig ein Verbringen des Opfers an einen entlegenen Ort voraus; sie kann vielmehr, wenn, wie hier, weitere Umstände hinzutreten, auch in der Abgeschiedenheit der familiären Wohnung gegeben sein (ebenso Laufhütte/Roggenbuck in LK StGB 11. Aufl. Nachtrag zu § 177, Rdn. 2; vgl. auch BGH, Beschl. vom 18. November 1997 - 4 StR 546/97 - und Beschl. vom 24. November 1999 - 3 StR 466/99 zur Rechtslage vor dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz). Maßgeblich müssen insofern die Gesamtumstände der konkreten Tatsituation sein. Im vorliegenden Fall legt das Zusammenspiel mehrerer Faktoren - Alter und soziale Stellung des Opfers, seine Verängstigung infolge des gesamten Verhaltens des Angeklagten - die Annahme einer schutzlosen Lage jedenfalls dann nahe, wenn die Wohnungstür verschlossen und der Nebenklägerin damit jegliche Fluchtmöglichkeit abgeschnitten war.

b) § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs über das Ausnutzen der schutzlosen Lage zu sexuellen Handlungen hinaus keine gesonderte Nötigungshandlung voraus; alleinige Tathandlung ist das Aufzwingen sexueller Handlungen unter Ausnutzung einer bestimmten Befindlichkeit des Opfers. Ausreichend ist, daß der Täter sich die sein Tatvorhaben ermöglichende oder erleichternde schutzlose Lage des Opfers bewußt zunutze macht, um dessen entgegenstehenden Willen zu überwinden (vgl. BGHSt 45, 253, 257 ff.; BGH NJW 2002, 381, 382; ebenso Laufhütte/Roggenbuck a.a.O. Rdn. 3; a.A. Tröndle/Fischer 50. Aufl. § 177 Rdn. 15 ff.; Fischer ZStW 2000, 75, 83 ff. und NStZ 2000, 142; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 11).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts bedurfte es daher nicht etwa einer zusätzlichen Ausübung von Zwang durch den Angeklagten oder eines ausdrücklichen Hinweises im Sinne einer Drohung.

c) Soweit die Kammer in subjektiver Hinsicht meint, nicht feststellen zu können, daß der Angeklagte sich einer besonders schutzlosen Lage der Nebenklägerin bewußt gewesen sei, ist diese Einschätzung ersichtlich von dem zu engen Begriffsverständnis hinsichtlich des objektiven Tatbestands beeinflußt. Die bisherigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen legen vielmehr den Schluß nahe, daß der Angeklagte die Umstände erkannt hatte, die zu einer Verringerung der Verteidigungsmöglichkeiten bei seiner Nichte führten, und daß er sich bewußt war, daß sein Opfer die sexuellen Handlungen nur aufgrund dieser von ihm geschaffenen Lage über sich ergehen ließ. Insoweit sind aber entsprechende Feststellungen durch den Tatrichter erforderlich.

4. Infolge der rechtsfehlerhaften Verneinung einer tateinheitlich begangenen Vergewaltigung in den Fällen 2-7 kann der Schuldspruch insoweit keinen Bestand haben. Darüber hinaus bedurfte es neben der Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe der Aufhebung des Einzelstrafausspruchs im Fall 1. Denn die drei Alternativen des § 177 Abs. 1 StGB stehen gleichrangig nebeneinander (vgl. BTDrucks. 13/7324 S. 6; BGHSt 44, 228, 230; 45, 253, 259; BGH NStZ 1999, 505; StV 2000, 198, 199), so daß die Erfüllung mehrerer Varianten den Schuldgehalt der Tat erhöht und straferschwerend gewertet werden kann, auch wenn dies im Urteilstenor nicht zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urt. vom 3. November 1998 - 1 StR 521/98 insoweit in BGHSt 44, 228 nicht abgedruckt).

Ende der Entscheidung

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