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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 06.08.2003
Aktenzeichen: 2 StR 180/03 (2)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 180/03

vom 6. August 2003

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. August 2003, an der teilgenommen haben:

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bode als Vorsitzender

und Richter am Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter,

Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten,

Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,

Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, als beisitzende Richter

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,

Rechtsanwältin als Vertreterin des Nebenklägers,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 16. August 2002, ausgenommen die Verurteilung wegen Erwerbs einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie die Einziehungsanordnung, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die äußeren Feststellungen zur Tötung der Ehefrau des Angeklagten.

2. Auf die Revision des Nebenklägers wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie wegen unerlaubten Erwerbs einer solchen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt, die halbautomatische Selbstladepistole hat es eingezogen. Vom Vorwurf eines weiteren Tötungsdelikts (Tötung des A. ) hat die Schwurgerichtskammer den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte im Jahre 1998 von einer unbekannten Person eine halbautomatische Selbstladepistole. Die Waffe verwahrte er auf einem Betriebsgelände im Ö. in K. . Im Juli 2000 erhielt er Kenntnis von dem Gerücht, seine Ehefrau H. , das spätere Tatopfer, habe ein außereheliches Verhältnis mit A. , dem zweiten Tatopfer. Am 28. August 2000 traf sich A. mit dem Angeklagten auf dem Betriebsgelände. Dem Angeklagten gelang es dann auch, seine Ehefrau unter einem Vorwand dorthin zu locken. In einer über den Büros gelegenen Wohnung kam es zu einem Zusammentreffen dieser drei Personen. Während seines Aufenthalts in dieser Wohnung wurde A. mit zwei Schüssen aus der Pistole entweder vom Angeklagten oder seiner Ehefrau getötet. Anschließend erschoß der Angeklagte seine Ehefrau mit dieser Waffe. Gegenüber den von ihm verständigten Polizeibeamten und gegenüber dem Notarzt erklärte er, seine Ehefrau habe zunächst A. erschossen und dann Selbstmord begangen. Entsprechende Angaben machte er auch in der Hauptverhandlung.

Das Landgericht sieht es demgegenüber als erwiesen an, daß die Ehefrau des Angeklagten keinen Selbstmord begangen hat, sondern von diesem erschossen worden ist. Ob A. vom Angeklagten oder seiner Ehefrau getötet worden ist, hält die Schwurgerichtskammer aber entgegen der Anklage, die auch diese Tat dem Angeklagten anlastet, für ungeklärt und hat ihn insoweit freigesprochen.

Gegen diese Entscheidung wenden sich, soweit der Angeklagte hinsichtlich des Vorwurfs der Tötung des A. freigesprochen worden ist, die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft erstrebt darüber hinaus eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau.

II.

Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, einer Erörterung der Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.

1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen auch dann, wenn sie erkennen lassen, daß das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, daß eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewißheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zuläßt (st. Rspr.).

In der Beweiswürdigung selbst muß der Tatrichter sich mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muß sich aus den Urteilsgründen ergeben, daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht (vgl. u.a. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 2001, 491, 492; 2002, 48).

2. Diesen Anforderungen wird das Urteil, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, nicht gerecht.

a) Die Urteilsgründe lassen eine Überspannung der Anforderungen an eine Verurteilung besorgen. Die Annahme, auch die Ehefrau des Angeklagten käme als Täterin hinsichtlich der Tötung des A. in Betracht, war nach der Widerlegung der Einlassung des Angeklagten, seine Ehefrau habe Selbstmord begangen, äußerst unwahrscheinlich und fernliegend. Das Landgericht hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob nicht die wenigen für eine Täterschaft der Ehefrau des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte schon dadurch relativiert worden sind, daß der Angeklagte nach den Feststellungen versucht hat, deren Selbstmord vorzutäuschen. Zwar kann grundsätzlich eine widerlegte Einlassung allein nicht zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsfeststellung gemacht werden (vgl. BGH NStZ 1997, 96), etwas anderes muß aber gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen solche Teile der Einlassung als unrichtig erwiesen, die für die Beurteilung des gesamten Geschehens von wesentlicher Bedeutung sind und nicht losgelöst von dem anderen Teil beurteilt werden können. In einem solchen Fall darf bei der Beweiswürdigung die Widerlegung der Einlassung nicht außer acht bleiben (vgl. auch BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33). Der Tatrichter hätte im Rahmen einer Gesamtwürdigung nachvollziehbar darlegen müssen, daß hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der lebensfremd erscheinenden Einlassung zur Tötung des A. bestehen. Dazu kommt, daß die Angaben des Angeklagten zum Tathergang ganz erheblich an Glaubhaftigkeit verloren, weil dieser seine Einlassung zum Tatgeschehen jeweils dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere den Bekundungen der Sachverständigen, anpaßte (vgl. UA S. 88, 94), wobei die Schwurgerichtskammer sich auch nicht damit auseinandersetzt, ob und welche Angaben der Angeklagte zu den Vorfällen früher gemacht hat.

b) Soweit das Landgericht eine Verurteilung ablehnt, weil "nach Würdigung aller in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise Zweifel verbleiben", ob der Angeklagte auch A. getötet hat und dabei die Indizien, die gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, nur aufzählt (UA S. 88 ff.), deutet dies auf eine fehlerhafte Anwendung des "Zweifelssatzes" hin. Denn dieser Grundsatz gilt nicht für entlastende Indiztatsachen, aus denen lediglich ein Schluß auf eine unmittelbar entscheidungsrelevante Tatsache gezogen werden kann, sondern nur für die abschließende zusammenfassende Würdigung aller Indiztatsachen (vgl. im einzelnen BGH NStZ 2001, 609 = BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m. w. N.).

c) Diese Gesamtwürdigung fehlt jedoch. Die Schwurgerichtskammer hat die für und gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gründe aufgezählt und isoliert gewürdigt, eine Gesamtprüfung und -würdigung aller Beweisanzeichen jedoch nicht vorgenommen. Die erheblichen für eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hätten jedoch in eine Gesamtabwägung mit den wenigen gegen seine Täterschaft sprechenden Gesichtspunkten einbezogen werden müssen. Die lediglich summarische Feststellung der Indizien ohne eine Bewertung wird den Anforderungen an eine sachgerechte Beweiswürdigung nicht gerecht. Abgewogen werden mußte insoweit unter anderem, daß den auf eine Berührung der Tatwaffe durch H. hindeutenden DNA-Spuren an der Pistole (UA S. 89 - 92) und den an ihren Händen gesicherten Schmauchspuren (UA S. 92 - 95) keine Beweisbedeutung für ihre Täterschaft zukam, wenn der Angeklagte einen Selbstmord seiner Ehefrau vorgetäuscht hat, wovon das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeht. Ein Berühren der Tatwaffe war in diesem Zusammenhang unbedingt erforderlich, um Kontaktspuren des Tatopfers zu verursachen. Wichtig für die Gesamtwürdigung wäre auch gewesen, daß ein Motiv für eine Tötung des A. durch H. fern lag, nachdem der Angeklagte seine Ehefrau nur unter einem Vorwand dazu gebracht hatte, ihn zum Anwesen Ö. zu begleiten (UA S. 27 - 33), wo sich A. mit Wissen des Angeklagten befand.

Die fehlerhafte Beweiswürdigung führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Tötung des A. freigesprochen worden ist.

3. Keinen Bestand haben kann das Urteil des Landgerichts auch, soweit der Angeklagte hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau nur wegen Totschlags (§ 212 StGB), nicht aber wegen Mordes (§ 211 StGB) verurteilt worden ist. Denn eine mögliche Verurteilung des Angeklagten wegen der Tötung des A. kann Auswirkungen auf die rechtliche Einordnung der Tat zum Nachteil der Ehefrau des Angeklagten haben. Zumindest die Annahme niedriger Beweggründe oder die Verdeckung einer anderen Straftat liegt dann nicht fern. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Tötung von H. können jedoch aufrechterhalten bleiben.

Ende der Entscheidung

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