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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.09.2002
Aktenzeichen: 2 StR 193/02
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 20 | |
StGB § 66 | |
StGB § 66 Abs. 3 | |
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 1 | |
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3 | |
StGB § 66 Abs. 3 Satz 1 | |
StGB § 66 Abs. 3 Satz 2 | |
StGB § 177 Abs. 4 Nr. 1 | |
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
11. September 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Geiselnahme u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. September 2002, an der teilgenommen haben:
Tenor:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 9. Januar 2002 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hat es abgesehen.
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch (zuungunsten des Angeklagten) die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.
Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechtes. Er beanstandet insbesondere die Beweiswürdigung des Tatrichters.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die ebenfalls die Sachrüge erhebt, wird vom Generalbundesanwalt im Ergebnis vertreten.
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg; das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hingegen greift durch.
II.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Der Angeklagte hatte mit der Nebenklägerin eine (intime) Beziehung und zog in ihre Wohnung ein, in der auch das am 8. September 1997 geborene Kind (P. ) der Nebenklägerin wohnte. Am 12. Mai 1999 wollte der Angeklagte von der Nebenklägerin Oralsex, was diese ablehnte. Er entschloß sich nun, notfalls gegen deren Willen, den Geschlechtsverkehr mit ihr durchzuführen. Die Zeugin empfand durch das Verhalten des fordernden Angeklagten einen derartigen "Druck", daß sie aus der Küche ein Messer holte und sich damit an den Armen verletzte. Der Angeklagte nahm das Messer an sich und erklärte der im Schlafzimmer auf dem Bett liegenden Zeugin sinngemäß, er werde ihr nun zeigen, was richtige Angst sei. Er verlangte von ihr, daß sie ihn oral befriedige. Als sie dies ablehnte, fuhr er mit der Klinge des Messers über die Haut der Zeugin, vom Hals bis zum Bauch, ohne sie jedoch zu verletzen. Dann packte er sie am Hals, drückte ihr die Luft ab und zwang sie, sein Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen, indem er ihren Kopf gegen sein Knie drückte. Da es bei dem Oralverkehr nicht zum Samenerguß kam, drehte der Angeklagte die Zeugin in die Bauchlage und führte mit der noch Weinenden den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß aus. Darüber hinaus steckte er gegen den Willen der Nebenklägerin einen Finger in ihren Anus.
2. Am 25. Mai 1999 kam der Angeklagte angetrunken nach Hause. Es gab Streit mit der Nebenklägerin. Der verärgerte Angeklagte sang der Zeugin nun fortlaufend ein Lied vor, mit dem Refrain "der Tod kommt langsam", wobei er ihr erklärte, dieses Schicksal komme nunmehr auf sie zu. Dabei versetzte er der Zeugin, die auf dem Boden vor einem Heizkörper kauerte, massive Faustschläge gegen den Kopf, so daß sie mit diesem gegen den Heizkörper prallte. Danach trat er ihr mit dem unbeschuhten Fuß gegen die Seite. Die Zeugin erlitt eine Gehirnerschütterung und (später) deutlich sichtbare Hämatome an beiden Ohrmuscheln.
Unmittelbar nach diesen Übergriffen gegen die Zeugin begab sich der Angeklagte zu dem Kind P. , welches zwischenzeitlich zu weinen begonnen hatte. Er sprach beruhigend auf die Kleine ein. Dann nahm er sie auf seinen Arm und ging mit ihr in die Küche. Dort begab er sich zum geöffneten Fenster und hielt das Kind hinaus. Zugleich forderte er die Nebenklägerin, die zu ihrem Kind in die Küche eilen wollte, auf, zurückzutreten, ansonsten werde er P. auf die Straße fallen lassen. Die Zeugin folgte dem Angeklagten, ebenso als er von ihr verlangte, sie solle ihre Mutter beschimpfen und sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen. Die Zeugin begann, ihre Mutter beispielsweise als Schlampe zu betitulieren, was den Angeklagten amüsierte. Zugleich tat sie so, als befriedige sie sich selbst. Hiernach forderte der Angeklagte sie auf, die Wohnung zu verlassen. Auch dieser Forderung kam die Zeugin, in entsetzlicher Angst um ihr Kind, nach. Der Angeklagte folgte ihr mit dem Kind bis zur Korridortüre. Neben dieser Türe befindet sich ein Fenster, welches in das Treppenhaus mündet. Durch dieses Fenster hielt der Angeklagte das Kind nunmehr in gleicher Art und Weise wie zuvor aus dem Küchenfenster hinaus und veranlaßte hierdurch die Zeugin zunächst, sich über die Treppe zu entfernen. Schließlich gebot er ihr, in die Wohnung zurückzukehren. Als die telefonisch von Nachbarn verständigten Eltern der Nebenklägerin kurze Zeit später eintrafen, hatte sich die Lage entspannt.
3. Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß bei der ersten Tat keinerlei Anhaltspunkte für eine Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten vorgelegen haben. Bei dem zweiten Tatgeschehen hat die Strafkammer eine Blutalkoholkonzentration des Angeklagten von bis zu 2,77 %o angenommen und eine erhebliche Verminderung seiner Schuldfähigkeit bejaht.
III.
Revision des Angeklagten:
Die auf Grund der Sachrüge vorzunehmende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Das Revisionsvorbringen erschöpft sich im wesentlichen in unzulässigen Angriffen gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung ohne einen durchgreifenden Rechtsfehler aufzuzeigen. Der behauptete Widerspruch der Urteilsgründe liegt nicht vor. Denn die Fähigkeit auch ein komplexes Geschehen später reproduzieren zu können, bedeutet nicht zwangsläufig, daß dies nur geordnet und nicht sprunghaft erfolgen kann. Im übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 24. Juni 2002 Bezug genommen.
Es kann dahinstehen, ob die Berechnung der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten bei dem zweiten Tatgeschehen rechtsfehlerfrei erfolgte. Nach den Gesamtumständen lagen die Voraussetzungen des § 20 StGB ersichtlich nicht vor. Von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) ist der Tatrichter aber ohnehin ausgegangen.
IV.
Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung für das Geschehen am 12. Mai 1999 hat keinen Bestand.
Der Tatrichter hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob der Angeklagte nicht die Voraussetzungen der Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwirklicht hat. Nach den Sachverhaltsfeststellungen liegt es sehr nahe, daß der Angeklagte das Messer nicht nur bei sich geführt hat (was bereits zu einer Strafbarkeit nach § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB führen würde, den das Landgericht ebenfalls nicht erörtert hat), sondern es vorsätzlich als Drohmittel zur Überwindung des Widerstandes der Nebenklägerin verwendet hat.
Die erforderliche Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vergewaltigung (gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB) erstreckt sich auch auf die tateinheitlich begangene Körperverletzung (vgl. u.a. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
Hinsichtlich dieser Körperverletzung kommt auch eine Qualifikation als "gefährliche" im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Betracht. Der neue Tatrichter wird insoweit Feststellungen dazu zu treffen haben, wie fest und wie lange der Angeklagte das Opfer am Hals gedrückt hat, damit eine sichere Grundlage geschaffen ist für die Beurteilung der Frage, ob die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen wurde (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 15. Mai 2002 - 2 StR 113/02 m.w.N.).
2. Auch die Verurteilung wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Körperverletzung war aufzuheben.
a) Der Tatrichter hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, beim ersten Teil des Tatgeschehens am 25. Mai 1999 erkennbar zu prüfen, ob es sich um eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB handelt.
Zur Bejahung der Alternative "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" ist nicht erforderlich, daß das Leben konkret gefährdet wird. Entscheidend ist, daß die Art der Behandlung nach den Umständen des Einzelfalles abstrakt geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden. Massive Faustschläge gegen den Kopf des Opfers, so daß dieses mit dem Kopf heftig gegen einen Heizkörper prallt, legen jedenfalls eine Prüfung und nähere Feststellungen des Tatrichters zu der abstrakten Eignung der Handlung zur Lebensgefährdung nahe.
Insoweit war auch die in Tateinheit stehende - für sich allein betrachtet nicht rechtsfehlerhafte - Verurteilung wegen Geiselnahme mit aufzuheben.
b) Der neue Tatrichter wird auch näher darzulegen haben, warum es sich bei dem Tatgeschehen am 25. Mai 1999 um einen einheitlichen - zur Annahme von Tateinheit führenden - Geschehensablauf (UA S. 29) handelt. Maßgebend dafür ist, daß sich das gesamte Tätigwerden auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengefaßtes Tun bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt. Hier ist zwar ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang gegeben, gleichwohl hat sich der Täter zunächst von der Nebenklägerin weg dem Kind zugewandt und beruhigend auf dieses eingesprochen. Erst dann begann er die Geiselnahme. Hierin könnte, wovon auch die Anklage ausgegangen ist, eine Zäsur der Handlung gesehen werden, die für einen Dritten die Einheitlichkeit des Tuns entfallen läßt. Dies wird vom neuen Tatrichter zu prüfen und zu erörtern sein.
3. Die Verneinung der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) durch den Tatrichter weist ebenfalls Rechtsfehler auf.
a) Entgegen der Auffassung des Landgerichts läßt sich den Urteilsgründen nicht eindeutig entnehmen (vgl. dazu auch die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 25. Juni 2002), daß die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt sind. Denn die mitgeteilten Verurteilungen zu Jugendstrafen lassen nicht sicher erkennen, ob der Richter in den früheren Verfahren bei wenigstens einer der einheitlich geahndeten Vortaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verhängt hätte, wenn er diese Tat als Einzeltat gesondert abgeurteilt hätte (vgl. u.a. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 6). Jedoch liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB - auch die des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB - vor. Insofern kommt es entscheidend darauf an, ob die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, die bei § 66 Abs. 3 StGB ebenfalls erfüllt sein müssen, rechtsfehlerfrei geprüft wurden. Dies ist nicht der Fall.
b) Die Begründung des Tatrichters, mit der ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint wurde, begegnet rechtlichen Bedenken. Das Merkmal "Hang" verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. Hangtäter ist danach derjenige, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, oder der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (vgl. u.a. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1). An dieser Rechtsprechung hat sich das Landgericht nicht orientiert. Es hat vielmehr - einem Sachverständigen folgend, der allerdings im Ergebnis wohl die Voraussetzung eines Hanges hier bejaht hat - fünf Kriterien überprüft, deren Annahme unerläßlich zur Bejahung eines sogenannten Hangtäters sei. Die Kriterien "kriminelle Entwicklung" und "Gleichartigkeit der Taten" seien zwar zu bejahen. Hinsichtlich der Kriterien der "Sozialisation", der "Charakterstruktur" und "Sozialverhalten" würden aber letzte Zweifel verbleiben. Gegen erstes Kriterium spreche, daß der Angeklagte zu angepaßtem Verhalten und guten schulischen Leistungen in der Lage gewesen sei, gegen die beiden anderen Kriterien, daß er seiner Freundin "durchaus Gefühle entgegenbringe". Unabhängig davon, daß die Prüfung dieser Kriterien nicht die von der Rechtsprechung geforderte sorgfältige Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten zu ersetzen vermag, ist deren Verneinung auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Daß der Angeklagte seiner Freundin Gefühle entgegenbringt, ist für die Beurteilung eines "Hanges" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB unerheblich. Soweit auf die Anpassung des Angeklagten abgestellt wird, wird nicht erörtert, daß dies ersichtlich nur für die Zeit seines Haftaufenthalts festgestellt wurde.
Der Zusatz der Strafkammer, daß "jedes weitere Körperverletzungsdelikt von einiger Erheblichkeit dazu führen kann, daß bei erneuter Prüfung des § 66 StGB die Voraussetzungen wohl zu bejahen sein werden" (UA S. 34 unten), zeigt zum einen, daß den als einem Hang entgegenstehend angesehenen Argumenten in Wirklichkeit kein Gewicht zukommt, zum anderen, daß der Tatrichter zu hohe Anforderungen an die Bejahung eines Hanges zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung gestellt hat.
Danach war auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil insgesamt aufzuheben.
Ende der Entscheidung
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