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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.05.1999
Aktenzeichen: 2 StR 203/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 358 Abs. 2 Satz 2
StGB § 21
StGB § 20
StGB § 63
StGB § 72
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 203/99

vom

26. Mai 1999

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 1999 einstimmig beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 27. November 1998, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen - ausgenommen denjenigen zum äußeren Tatablauf - aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und weiter bestimmt, daß von der Freiheitsstrafe vier Jahre vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechtes rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im wesentlichen Erfolg, da die Begründung, mit der das Landgericht die gänzliche Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten verneint hat, rechtlicher Prüfung nicht standhält; auf die Beurteilung der Verfahrensrügen, die ohnehin nicht durchdringen würden, kommt es deshalb nicht an.

II.

1. Den Feststellungen zufolge tötete der damals 32 Jahre alte, chronisch alkoholsüchtige Angeklagte am 16. Juli 1997 zwischen 23.00 und 23.30 Uhr in der eigenen Wohnung seinen Bekannten L. bei einem Zechgelage, an dem als Dritter der - vom Totschlagsvorwurf freigesprochene - Mitangeklagte Sch. teilnahm. Anlaß für die Tat war ein Streit über die Bezahlung von 100 DM, die der Angeklagte dem Opfer noch aus einem Fahrradkauf schuldete. Der Angeklagte, der nach reichlichem Genuß von Bier und Schnaps eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,83 o/oo erreicht hatte, wurde im Verlauf des Streites so wütend, daß er L. mit einem hölzernen Fleischklopfer fünfmal auf den Kopf schlug und sodann dem bewußtlos am Boden Liegenden mit einem Messer insgesamt 50 Stiche beibrachte, die das Gesicht (12), den Hals (2), die Brust und den Bauch (17) sowie die Oberschenkel (19) des Opfers trafen und in kurzer Zeit zu dessen Tod führten.

2. Das Landgericht hat angenommen, daß die Schuldfähigkeit des Angeklagten zwar - wegen seiner Alkoholisierung - nicht ausschließbar erheblich vermindert (§ 21 StGB), aber nicht aufgehoben (§ 20 StGB) gewesen sei. Es ist dabei dem Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. P. gefolgt. Diese hatte eine psychische Erkrankung des Angeklagten verneint, wiewohl bei ihm eine "Borderline-Persönlichkeitsstörung" vorliege, die einen "eingeschränkten Zugang zur eigenen Aggressivität", eine "deutliche Einschränkung des sozialen Verhaltens", einen "Hang zu inadäquaten Gefühlsäußerungen bei nichtigen Anlässen und unausgeglichener Affektivität" bewirke und dazu führe, daß er "unangemessen schnell in Wut" gerate. Aus der Art der Tatbegehung sei auch nicht auf einen Affekt im Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung zu schließen; dem stehe das "zielgerichtete Nachtatverhalten" des Angeklagten entgegen, der - wie das Landgericht festgestellt hat - L.'s Leichnam durch das Treppenhaus auf die Straße schaffte, den Mitangeklagten zur Mithilfe hierbei antrieb, durch falsche Angaben gegenüber einem Zeugen (das Opfer sei die Treppe herabgestürzt) von seiner Täterschaft abzulenken versuchte und Blutspuren in der Wohnung aufwischte. Auch die starke Alkoholisierung des Angeklagten habe seine Schuldfähigkeit nicht aufgehoben; dies ergebe sich ebenfalls aus seinem Nachtatverhalten, überdies aus den Wahrnehmungen mehrerer Zeugen zu den Anzeichen seiner Alkoholbeeinträchtigung (lediglich leichtes Schwanken und Lallen) und schließlich daraus, daß er alkoholgewöhnt gewesen sei. Diese Beurteilung gelte auch unter Berücksichtigung der vom Angeklagten vor der Tat eingenommenen Medikamente (Diazepam und Aponal), die eine eher beruhigende und ermüdende Wirkung hätten und die Wirkung des Alkohols "vornehmlich in diesem Bereich" verstärkten.

3. Diese Begründung für die Bejahung der - wenn auch erheblich verminderten - Schuldfähigkeit des Angeklagten hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, weil wesentliche Umstände, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeitsfrage von Bedeutung sein konnten, nicht erkennbar berücksichtigt worden sind.

Schon die knappe Beschreibung der dem Angeklagten attestierten Borderline-Persönlichkeitsstörung begegnet Bedenken, da diese Störung nach Art, Entstehung, Ausmaß und Wirkungen im Urteil nicht hinreichend konkretisiert ist, um ihren möglichen Einfluß auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten beurteilen zu können und dem Revisionsgericht unter diesem Gesichtspunkt die rechtliche Prüfung zu ermöglichen (zum Borderline-Syndrom vgl. BGHSt 42, 385 und BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 13).

Darüberhinaus hätte sich das Landgericht mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, daß bei dem schwer alkoholsüchtigen Angeklagten bereits vor seiner Verurteilung wegen Vollrauschs im Jahre 1995 auf Grund sachverständiger Begutachtung eine beginnende Persönlichkeitsdepravation diagnostiziert worden war (UA S. 6); dazu, wie sich diese Persönlichkeitsdepravation infolge fortdauernden Alkoholmißbrauchs bis zum Tatzeitpunkt weiterentwickelt und auf die Tat ausgewirkt hat, verhält sich das Urteil nicht, obgleich dies für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bedeutsam sein konnte.

Desweiteren läßt das Urteil die gebotene Würdigung der besonderen Auffälligkeiten des Tatgeschehens vermissen. Festgestellt ist, daß der Angeklagte etwa fünf Minuten lang auf das bereits bewußtlos am Boden liegende Opfer einstach, ihm dabei 50 Messerstiche beibrachte und dabei die 19 Stiche in die Beine erst zuletzt setzte, als L. bereits tot war. Diese Umstände, die als Anzeichen einer ungewöhnlich heftigen Affektentladung gedeutet werden konnten, verlangten eine eingehende Erörterung. Diesem Erfordernis wird das Urteil nicht gerecht; es beschränkt sich insoweit auf die Übernahme der von der Sachverständigen getroffenen Wertung, auch "aus der Art der Tatbegehung" sei nicht auf einen Affekt im Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung zu schließen. Das hätte näherer Erläuterung und einer Zusammenschau mit dem Grad der Alkoholisierung sowie der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bedurft.

Soweit das Landgericht eine völlige Aufhebung der Schuldfähigkeit im Blick auf das Nachtatverhalten des Angeklagten verneint hat, trägt diese Begründung hier nicht. Zwar kann - wie allgemein anerkannt ist - das Nachtatverhalten unter Umständen Aufschluß über die psychische Befindlichkeit des Täters im Zeitpunkt der Tat geben. Bei stark affektbestimmten Taten muß jedoch in Rechnung gestellt werden, daß ein zielgerichtetes Nachtatverhalten seine Erklärung möglicherweise in einem nach der Tat eingetretenen Ernüchterungseffekt findet. Daß diese Möglichkeit in Betracht gezogen worden wäre, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Schließlich wäre in diesem Zusammenhang zu beachten gewesen, daß die vom Angeklagten nach der Tat vorgenommenen Handlungen (insbesondere das Hinabschleifen des stark blutenden Leichnams über die Treppe zur Straße, ebenso die Behauptung, ein Treppensturz sei Ursache der tödlichen Verletzungen des Opfers) zur Verdeckung seiner Täterschaft untauglich waren; ein - auch aus der Sicht des Täters - sinnloses Nachtatverhalten kann aber schwerlich ein Indiz dafür liefern, daß er zum Tatzeitpunkt noch - wenn auch nur eingeschränkt - schuldfähig war. Auch dies hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht.

Das Urteil beruht auf diesen Rechtsmängeln. Zwar wäre das Landgericht bei deren Vermeidung womöglich zum selben Ergebnis gelangt; daß es bei rechtsfehlerfreier Würdigung aller wesentlicher Umstände - wenn auch erst unter Anwendung des Zweifelssatzes - die Schuldfähigkeit des Angeklagten für aufgehoben erachtet hätte, läßt sich aber ebensowenig mit Sicherheit ausschließen.

4. Ist hiernach das Urteil aufzuheben, so können doch die Urteilsfeststellungen zum äußeren Tataublauf aufrechterhalten bleiben. Gemeint sind die Feststellungen unter Abschnitt II der Urteilsgründe von UA S. 7 bis UA S. 9 und auf UA S. 10 vom zweiten bis zum dritten Absatz (jeweils einschließlich); sie sind von den beanstandeten Rechtsmängeln nicht betroffen und beruhen auf einer auch im übrigen rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

5. Die neu entscheidende Schwurgerichtskammer wird zu beachten haben, daß bei einer bestimmten Verknüpfung zwischen Persönlichkeitsstörung und Alkoholsucht auch eine Unterbringung des Täters im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in Betracht kommen kann; was die Voraussetzungen hierfür betrifft, so verweist der Senat auf seine zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Urteile vom 8. Januar und 17. Februar 1999 - 2 StR 430/98 und 483/98. Das Verschlechterungsverbot stünde einer solchen Anordnung, bei der allerdings § 72 StGB Beachtung verlangt, nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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