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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 25.07.2007
Aktenzeichen: 2 StR 209/07
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 66 | |
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3 | |
StGB § 66 Abs. 2 | |
StGB § 66 Abs. 3 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 25. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bode, Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß, Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 9. November 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, wegen Bedrohung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - jeweils zum Nachteil der Nebenklägerin B. - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Von dem Vorwurf dreier weiterer Vergewaltigungen - zum Nachteil der Nebenklägerin K. - hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, weil es nicht ausschließen konnte, dass die Zeugin in die sexuellen Übergriffe des Angeklagten wirksam eingewilligt hatte.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkt. Sie hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts, die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abzulehnen, weil ein Hang des Angeklagten zur Begehung strafbarer sadistischer sexueller Handlungen nicht sicher festzustellen sei, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. a) Der Angeklagte hatte die Geschädigte B. Mitte des Jahres 2005 über das Internet kennen gelernt. Die Zeugin offenbarte dem Angeklagten, früher Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein und war froh, in ihm einen verständnisvollen Gesprächspartner gefunden zu haben. Ab Ende September 2005 änderte sich das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Zeugin. Er wurde zunehmend einschüchternder und ängstigte sie. Die zur Aburteilung gelangten Taten fanden zwischen Ende Oktober und Ende Dezember 2005 statt. Der Angeklagte schuf ein Klima der Gewalt und zwang die Geschädigte unter Ausnutzung desselben zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs, zur Duldung sadistischer Praktiken, zwang sie zur Eheschließung mit ihm und bedrohte sie mit dem Tode.
b) Die Strafkammer hat die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt, weil "die Voraussetzungen für einen Hang zu erheblichen Straftaten im Sinne der Norm aus juristischer Sicht" nicht vorlägen. Zwar ergebe die allgemeine Gefahrenprognose eine hohe Rückfallgefahr vor dem Hintergrund, dass bei dem Angeklagten die Manifestation eines ausgeprägten Sadismus und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung zu konstatieren seien. Ein Hang im Sinne des § 66 StGB sei aber, obwohl der Sachverständige aus medizinisch-psychiatrischer Sicht die Hangtäterschaft bejaht habe, zu verneinen. Die Praktizierung sadistischer sexueller Handlungen mit einwilligenden Partnern - wie der Zeugin K. - erfülle keinen Straftatbestand. Für eine sichere Feststellung, dass der Angeklagte ein eingeschliffenes Verhaltensmuster zur Begehung strafbarer sadistischer sexueller Handlungen - also einen gegenwärtigen Zustand - entwickelt hat - reichten der hier zur Beurteilung gestellte Zeitraum von wenigen Monaten und die in diesem Zeitraum begangenen Anlasstaten zum Nachteil einer einzigen und in enger Beziehung zu ihm lebenden Geschädigten nicht aus. Der Angeklagte habe sich in anderen Beziehungen zu Frauen im sexuellen Bereich nicht über deren Willen hinweggesetzt.
2. Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil, so dass es darauf ankommt, ob auch die materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
3. Die Begründung, mit der das Landgericht einen "Hang zu erheblichen Straftaten" im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei dem Angeklagten verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sie Wertungsfehler und Lücken aufweist.
a) Das Merkmal des Hangs verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist danach derjenige, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, oder der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (vgl. BGH NStZ 2005, 265 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH, Urt. vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01; jeweils m.w.N.). Das Vorliegen eines solchen Hanges hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen (BGH NStZ 2005, 265; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8).
b) Als Wertungsfehler ist es danach anzusehen, dass das Landgericht bei der Verneinung eines Hangs den Umstand heranzieht, dass die zur Verurteilung führenden Anlasstaten lediglich zum Nachteil einer einzelnen Person begangen wurden. Der Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt nicht voraus, dass Straftaten zum Nachteil einer Mehrzahl von Tatopfern begangen wurden. Der Hang zur Begehung erheblicher Straftaten kann sich auch in mehreren und wiederholten Straftaten gegen ein und dasselbe Tatopfer manifestieren.
Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es auch, den bloßen Umstand, dass zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten eine enge persönliche Beziehung bestand, ohne nähere Begründung als Argument für das Fehlen eines Hangs heranzuziehen (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 11). Insoweit bleibt schon außer Betracht, dass der Angeklagte die Nebenklägerin nur mit massiven Drohungen dazu gebracht hat, ihn zu heiraten und bei ihm zu bleiben und dass die enge Beziehung wesentlich durch das von dem Angeklagten herbeigeführte Klima der Angst und Gewalt aufrechterhalten wurde.
Bedenklich ist ferner die Erwägung der Strafkammer, dass der kurze Tatzeitraum (Ende Oktober bis Ende Dezember 2005) die Feststellung eines Hangs zur Begehung erheblicher Straftaten nicht zulasse. Dass die Anlasstaten innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums begangen wurden, schließt das Bestehen eines Hangs nicht aus. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt keinen bestimmten zeitlichen Mindestabstand zwischen den Anlasstaten. Vielmehr können gerade auch rasch aufeinanderfolgende Taten in ihrer Häufung Ausdruck eines eingeschliffenen inneren Zustands des Täters sein, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Zudem können auch rasch aufeinanderfolgende Taten, die aufgrund eines einheitlichen Entschlusses begangen wurden, die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB erfüllen (vgl. BGH NStZ 2002, 313 - mehrere Straftaten an einem Tag; BGH NStZ 1989, 67 - mehrere Straftaten innerhalb einer Stunde). Es wäre widersprüchlich, wollte man derartige Begehungsmodalitäten für die Erfüllung der formellen Voraussetzungen ausreichen lassen, gleichzeitig aber zwingend die materiellen Voraussetzungen verneinen. Dies schließt allerdings nicht aus, dass bei rasch aufeinanderfolgenden Taten, die sich an der Grenze zur Handlungseinheit bewegen, dieser Umstand besonders beachtet werden muss.
c) Die von der Strafkammer vorgenommene Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ist zudem lückenhaft.
Das Landgericht stellt nach den bisher getroffenen Feststellungen bei der Würdigung des bisherigen Verhaltens des Angeklagten unzulässig einengend auf sexuelle Gewalt ab. Nicht berücksichtigt wird dagegen, dass es auch in anderen Beziehungen des Angeklagten zu erheblichen Gewaltausbrüchen gekommen ist. Die Nebenklägerin K. hat er mit einem Hammer in den Bauch geschlagen (UA S. 12). Als die Gewalttätigkeiten und Bedrohungen des aus der Strafhaft entwichenen Angeklagten im Herbst 2002 zunahmen und die Nebenklägerin die Gewaltausbrüche des Angeklagten nicht mehr ertragen konnte, informierte sie die Polizei von seinem Aufenthaltsort, so dass er festgenommen wurde. Nach einer körperlichen Attacke und Auseinandersetzung im Juli 2004, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung führte, flüchtete die Nebenklägerin vorübergehend in ein Frauenhaus. Nachdem der Angeklagte im Oktober 2004 in einem Streit vor Wut einen schweren Tesafilmroller nach ihr geworfen und dieser nur knapp den Kopf der gemeinsamen einjährigen Tochter verfehlt hatte, beendete die Nebenklägerin K. die Beziehung zu dem Angeklagten (UA S. 13). Auch gegenüber der Zeugin Kl. , mit der der Angeklagte vom Sommer 2004 bis zum Sommer 2005 eine Beziehung unterhielt, wurde er gewalttätig. Er trat sie derart, dass sie gegen einen Schrank fiel und ließ erst von ihr ab, als ihre Eltern eingriffen (UA S. 13). Auch diese Verhaltensweisen hätten bei der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigt werden müssen. Denn der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten Zustand (BGHSt 50, 188, 196), so dass das gesamte Verhalten des Täters in der Vergangenheit berücksichtigt werden muss. Deshalb ist auch zu besorgen, dass das Landgericht von einer unvollständigen Beurteilungsgrundlage ausgeht, weil es sich bei seiner Prüfung des Hangs zu sehr "auf den zur Beurteilung gestellten Zeitraum von wenigen Monaten und die in diesem Zeitraum begangenen Anlasstaten" stützt und dem Verlauf der früheren Beziehungen des Angeklagten danach keine genügende Beachtung schenkt. Die Strafkammer hätte insoweit erörtern müssen, ob der Umstand, dass der Angeklagte sich nicht über den Willen der Zeugin Kl. hinweggesetzt hat, möglicherweise allein darauf beruht, dass er bei ihr nur wegen der weitreichenden Einwilligung in sadistische Sexualpraktiken nicht zu deren gewaltsamer Durchsetzung - wie bei der Geschädigten - gezwungen war. Insbesondere fehlt in diesem Zusammenhang auch eine nähere Erörterung des Verlaufs der Beziehung zur Zeugin K. . Sie hat angegeben, sie habe zu Beginn der Beziehung einzelne von dem Angeklagten bevorzugte Praktiken, wie den Einsatz eines Messers und von Hosenträgern ausdrücklich abgelehnt, sich dann aber nicht mehr gegen sie gewehrt und diese - aus Resignation - über sich ergehen lassen (UA S. 14 f.).
d) Schließlich lässt die vom Landgericht eingehaltene Prüfungsreihenfolge besorgen, dass es das Verhältnis von Hang und Gefährlichkeitsprognose verkannt hat. Der Hang ist ein wesentliches Kriterium der Gefährlichkeitsprognose (BGH aaO). Das Landgericht hat sich jedoch der erheblich ungünstigen Gefährlichkeitsprognose des Sachverständigen angeschlossen, gleichwohl anschließend einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten verneint. Damit ist auch die Gefährlichkeitsprognose fehlerhaft, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.
e) Das Urteil beruht auf den Fehlern der Gesamtwürdigung des Landgerichts. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei lückenloser Würdigung zu der Bejahung eines Hangs und dann - bei pflichtgemäßer Ausübung des ihr zustehenden Ermessens - auch zur Bejahung der Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB gelangt wäre.
Ende der Entscheidung
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