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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.06.2008
Aktenzeichen: 2 StR 225/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz
StGB § 258
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 225/08

vom 18. Juni 2008

in der Strafsache

gegen

wegen Beihilfe zum Mord

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Juni 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 27. November 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Erfurt zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der heroinabhängige Angeklagte im Jahr 2000 in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Ka. . Dort waren auch das spätere Tatopfer R., der in einem gesonderten Verfahren von derselben Schwurgerichtskammer als Haupttäter abgeurteilte M. sowie die wegen Beteiligung gesondert verfolgten T. und K. untergebracht. R., M. und T. handelten mit Drogen oder beabsichtigten dies.

Am 22. September 2000 kam es gegen 22.00 Uhr in der Unterkunft zu einer Schlägerei, weil ein Afrikaner dem R. schlechtes Heroin verkauft hatte. R., M., der Angeklagte sowie zwei weitere unbekannte Personen verließen das Heim, bevor die benachrichtigte Polizei eintraf. Nun entschloss sich M., den R. zu töten und seinen Tod als Unfall durch Heroin-Überdosierung darzustellen. Tötungsmotiv war nach den Feststellungen des Landgerichts, dass M. den R. nicht an zukünftigen Drogengeschäften beteiligen wollte und zudem befürchtete, R. könne ihn an Dritte verraten. Der Angeklagte sagte dem M. in Kenntnis dieses Motivs seine Mithilfe bei Vertuschungshandlungen zu. Sein eigenes Motiv war die Hoffnung, "erleichterten Zugang zu Heroin zu erhalten, um seine eigene Drogensucht ungehemmt befriedigen zu können" (UA S. 6). K. sagte aus unbekannten Motiven ebenfalls seine Mithilfe zu.

An einem unbekannten Ort wurde R. durch Stromstöße im Gesicht, die ihm mittels eines Stromkabels beigebracht wurden, bewusstlos und handlungsunfähig gemacht. Sodann verabreichten ihm M. oder K. in Tötungsabsicht vier intravenöse Injektionen mit Heroin in den Handrücken und zwei Injektionen in den rechten Fuß. R. verstarb kurz darauf an der ihm verabreichten Heroinüberdosis. Der Angeklagte fügte ihm nun oberflächliche Schnittverletzungen am Arm zu, um einen Rettungsversuch vorzutäuschen. Dann fuhr man den Toten mit seinem Pkw vor das Eingangstor des Asylbewerberheims, legte ihn auf die Rücksitzbank und seinen entblößten rechten Fuß auf den Beifahrersitz, deponierte eine Heroinspritze und einen Löffel auf Zweigen nahe stehender Bäume und alarmierte gegen 2.15 Uhr die Aufsicht des Heims. Der Angeklagte führte zum Schein eine Herz-Druck-Massage an dem Verstorbenen durch.

2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich allein Aufgabe des Tatrichters; das Revisionsgericht kann nicht eigene Würdigungen an die Stelle von dessen Bewertungen setzen, wenn diese Rechtsfehler nicht erkennen lassen. Solche Rechtsfehler liegen aber vor, wenn die in den Urteilsgründen wiedergegebene Beweiswürdigung des Tatrichters lückenhaft, unklar, widersprüchlich oder mit den Denkgesetzen nicht vereinbar ist, wenn sie sich auf nicht existierende Erfahrungssätze stützt oder sich in ihren Schlussfolgerungen so weit von einer gesicherten Tatsachengrundlage entfernt, dass die Ergebnisse sich letztlich als bloße Vermutungen darstellen (vgl. Schoreit in KK-StPO 5. Aufl. § 261 Rdn. 51; Stuckenberg in KMR § 261 Rdn. 146; 162 ff.; jew. m.w.N.).

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Feststellungen zum Geschehensablauf und zur Tatbeteiligung des Angeklagten beruhen letztlich auf bloßen Vermutungen des Landgerichts, die teils spekulativen Charakter haben, teils sich auf zumindest zweifelhafte oder unklar bleibende Erfahrungssätze stützen.

a) Das gilt etwa für die Erwägung, hinsichtlich der Alibi-Einlassung des Angeklagten "(widerspreche) es jeglicher Lebenserfahrung, dass ein an der Tötung eines anderen Menschen wirklich Unschuldiger eine derartige Erklärung, wenn sie denn wahr gewesen wäre, (...) erst nach ca. zwei Jahren Auslieferungs- und Untersuchungshaft abgibt" (UA S. 64); ebenso für die Erwägung "Wenn es um die Aufklärung der Todesumstände eines getöteten Menschen geht, lügt nur derjenige, der als Täter oder Gehilfe etwas zu verbergen hat oder der als so genannter Unbeteiligter ein plausibles Motiv hat, den bzw. die eigentlichen Täter zu decken" (UA S. 72). Zweifelhaft ist auch die Erwägung, der Angeklagte sei "als so genannter 'zufälliger Finder' der Leiche des Getöteten ein hohes persönliches Risiko eingegangen, wegen der Tötung (...) strafrechtlich verfolgt zu werden. Ein derart hohes Risiko geht (...) ein bloßer 'unbeteiligter Zuschauer' eines Tötungsverbrechens jedoch nur dann ein, wenn er dafür schwerwiegende besondere Gründe hat, z. B. Verwandtschaft (...)" (UA S. 76). Auch die Annahme, wer einem anderen einen "Denkzettel" verpassen wolle, tue dies nicht mittels eines Stromstoßes, sondern durch Verprügeln (vgl. UA S. 47), ist kaum geeignet, die Feststellung eines von vornherein gefassten Tötungsplans zu stützen. Die genannten Erfahrungsregeln sind, wenn sie - eingeschränkt - überhaupt zutreffen, jedenfalls so vage, dass sie die weit reichenden Schlussfolgerungen des Landgerichts nicht tragen.

b) Andere vom Landgericht angewendete Erfahrungssätze beruhen auf unzutreffenden Grundlagen. Das gilt etwa für die Auslegung einer Äußerung des M. gegenüber einem Zellengenossen, wonach die Polizeibeamten ihn bei einer Vernehmung durch Vorhalte von Ermittlungsergebnissen "gefickt" hätten. Hierzu führt das Landgericht aus: "'Gefickt', d. h. überführt fühlt sich nur ein Täter, nicht aber ein Unschuldiger" (UA S. 52). Auch dieser Satz trifft selbst in der vom Landgericht angenommenen Deutung in dieser Allgemeinheit kaum zu; unzutreffend ist aber schon die zugrunde liegende Auslegung, denn der zitierte Begriff dürfte im vorliegenden Zusammenhang in den betroffenen sozialen Kreisen in der Regel im Sinne von "Hereinlegen", "Betrügen", "Aufs-Glatteis-Führen", nicht aber im Sinne von "Überführen" gebraucht werden.

c) Andere Schlussfolgerungen sind widersprüchlich: So hat das Landgericht etwa daraus, dass Faserspuren von der Kleidung des M. nur am Fahrersitz des Pkw gefunden wurden, als zwingend geschlossen, dass M. auf keinem anderen Platz gesessen haben könne (UA S. 40). Bei der Erörterung der Anwesenheit des K. im Fahrzeug, die für den festgestellten Ablauf von Bedeutung ist, erwähnt das Landgericht sodann, Faserspuren von der Kleidung des K. hätten an keinem Sitz festgestellt werden können. Das "(schließe) es aber keineswegs aus, dass K. in dem Auto ... gesessen hat" (UA S. 68). Diese Würdigungen sind nicht miteinander vereinbar.

d) Mehrfach hebt das Landgericht zu Unrecht hervor, die von ihm gezogenen Schlüsse seien "zwingend" oder "die einzige Möglichkeit". Das gilt etwa für die Erwägung: "Einzig denkbares Motiv des M. für die Tötung des (R.) sind Streitigkeiten im Zusammenhang mit Rauschgiftgeschäften" (UA S. 54); ebenso für die Ausführung: "Dass die vordere linke Außentasche des Getöteten nach außen gestülpt leer (war), lässt (...) zwingend den Schluss zu, dass in der Hosentasche etwas gesucht worden ist, was dringend benötigt worden war. Hierbei kann es sich nur um die Fahrzeugschlüssel des Pkw des Getöteten gehandelt haben" (UA S. 68); weiterhin für die Erwägung: "Das einzig denkbare Motiv des Angeklagten, an der Tötung ... mitzuwirken, ist nach Überzeugung der Kammer dessen Streben gewesen, die eigene Drogensucht zu befriedigen" (UA S. 77). Die genannten Schlussfolgerungen waren aber ersichtlich nicht "zwingend" oder "einzig denkbar"; vielmehr war die Beweislage in den genannten Fragen sogar besonders unklar. Die bloße nachdrückliche Betonung der tatrichterlichen Überzeugung vermag eine hinreichende Tatsachengrundlage nicht zu ersetzen. Einzelne Erwägungen des Landgerichts liegen überdies zumindest am Rande eines unzulässigen Zirkelschlusses; so etwa die Erwägung, mit welcher das Landgericht den Angeklagten nicht als Mittäter, sondern (nur) als Teilnehmer angesehen hat: "Jemand, der bei der Aufklärung eines Tötungsverbrechens lügt, kann zwar Täter sein, zwingend ist dies jedoch nicht. Auch derjenige, der weniger strafrechtlich Relevantes zur Tötung ... beigetragen hat, hat ein triftiges Motiv ... zu lügen (UA S. 74).

e) Die beispielhaft hervorgehobenen, rechtlich bedenklichen Erwägungen sind vor dem Hintergrund zu bewerten, dass die breite Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tatanlass und Tatablauf sowie zur Motivation der Beteiligten sich in zentralen Fragen letztlich eher auf Plausibilitätserwägungen und Vermutungen stützt. Das betrifft insbesondere auch Zeitpunkt, Art und Motiv der Teilnahmehandlungen des Angeklagten. In diesem Zusammenhang fehlt es, in Anbetracht des Umstands, dass andere Geschehensabläufe jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, auch an einer in sich geschlossenen, abwägenden Gesamtwürdigung der für und gegen die festgestellte Tatbeteiligung des Angeklagten sprechenden Umstände. Schon das vom Landgericht festgestellte Motiv für die Haupttat, den R. von der Beteiligung an zukünftigen, noch gar nicht konkret geplanten Rauschgiftgeschäften auszuschließen und sich im Hinblick auf mögliche zukünftige Taten vor seiner "Geschwätzigkeit" zu schützen, ist ungewöhnlich und bedarf genauerer Erörterung. So fehlt etwa jeder Hinweis darauf, ob und gegebenenfalls wie der R. seine Erwartung, an zukünftigen Rauschgiftgeschäften beteiligt zu werden, hätte durchsetzen wollen.

Dasselbe gilt erst recht für das vom Landgericht angenommene Tatmotiv des Angeklagten. Die Annahme, "einzig denkbares" Motiv (und nach Ansicht des Landgerichts Mordmerkmal im Sinne eines "niedrigen Beweggrunds") für eine psychische Beihilfe des Angeklagten durch vorherige Zusage, an der Verschleierung der Haupttat mitzuwirken, sei der Wunsch nach "leichterem Zugang" zu Rauschgift, ist angesichts des Fehlens sonstiger Feststellungen hierzu eher spekulativ. Warum dasselbe Motiv nicht auch einer nur nachträglichen Strafvereitelungshandlung zugrunde liegen könnte, ist nicht erörtert und auch nicht ersichtlich.

3. Wegen der Fehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung war das Urteil insgesamt aufzuheben. Der neue Tatrichter wird sowohl die - durch das selbständige Verfahren gegen M. nicht ausgeschlossene - Möglichkeit der Feststellung eines anderen Ablaufs der Haupttat als auch die nicht fern liegenden Möglichkeiten einer abweichenden Mitwirkung des Angeklagten - sei es als Mittäter, Teilnehmer oder nur als Täter einer Anschlusstat nach § 258 StGB - umfassend neu zu prüfen haben. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz StPO Gebrauch gemacht und die Sache an das Landgericht Erfurt zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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