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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 14.03.2003
Aktenzeichen: 2 StR 239/02
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 2 | |
StPO § 261 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
14. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 12. März 2003 in der Sitzung vom 14. März 2003, an denen teilgenommen haben:
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. Dezember 2001 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung in zwölf Fällen unter Freispruch im übrigen zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 1.500 DM verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit 1975 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2001 als Professor an der medizinischen Fakultät der Hochschule ( ) tätig und leitete dort die Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Der Angeklagte, der auch wissenschaftlich umfangreich aktiv war, genoß als Herzchirurg einen ausgezeichneten Ruf und operierte selbst mehrere hundert Patienten pro Jahr. Der Verurteilung liegt die Infektion von zwölf Patienten mit Hepatitis B durch den Angeklagten zugrunde.
Weder anläßlich seines Dienstantritts noch in den folgenden Jahren erfolgte eine medizinische Untersuchung des Angeklagten. Nach der Entdeckung des Hepatitis B-Virus im Jahr 1970 und der späteren Entwicklung von Impfstoffen wurden im Bereich des Klinikums der H seit den 80er-Jahren regelmäßig Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen bei dem ärztlichen und medizinischen Personal vorgenommen, bei denen obligatorisch auch der Hepatitis B-Status festgestellt wurde. Diese Praxis ging auf die zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland und anderen westlichen Ländern verbreitete Erkenntnis zurück, daß medizinisches Personal in besonderer Weise dem Risiko einer Infektion mit ansteckenden Krankheiten, insbesondere auch Hepatitis B, ausgesetzt war und daß umgekehrt auch die Gefahr einer Ansteckung von Patienten durch infizierte Mitarbeiter bestand. Die Untersuchungen, zu denen nahezu das gesamte Personal des Universitätsklinikums in herangezogen wurde, fanden bis Anfang 1999 in regelmäßigen Intervallen von drei Jahren statt; bei Personen, die in besonders risikoträchtigen Bereichen eingesetzt waren, erfolgten Kontrollen in kürzeren Abständen. Von der Untersuchungspflicht nicht erfaßt waren lediglich die Mitarbeiter, die man bereits als Beamte eingestellt hatte, insbesondere die Chefärzte und deren Stellvertreter. Der weitaus überwiegende Teil des medizinischen Personals machte von dem Angebot Gebrauch, sich freiwillig gegen Hepatitis B impfen zu lassen.
Auch dem Angeklagten war die in Ärztekreisen und Fachliteratur eingehend diskutierte Problematik der Gefahr wechselseitiger HBV-Infektionen zwischen Ärzten und Patienten - einschließlich des besonderen Risikos bei chirurgischer Tätigkeit - bekannt; seit Beginn der 90er-Jahre gehörte es darüber hinaus zum allgemeinen medizinischen Kenntnisstand, daß unter Umständen schon winzige, optisch nicht wahrnehmbare Mengen von Blut- oder Serumspuren (z. B. Schweißtropfen) für eine Übertragung des Virus ausreichend sind. Ebenso wußte der Angeklagte, daß das gesamte Personal der von ihm geführten Klinik - mit Ausnahme seiner eigenen Person sowie seines Stellvertreters - in regelmäßigen Abständen zu Kontrollen einbestellt wurde. Sein Stellvertreter ließ sich aber freiwillig alle ein bis zwei Jahre anderweitig auf Infektionserkrankungen untersuchen. Der Angeklagte hingegen unterzog sich weder einer Untersuchung durch den Hochschularzt noch außerhalb des Klinikums; auch eine Impfung ließ er nicht vornehmen.
Spätestens im Jahr 1992 infizierte der Angeklagte sich mit Hepatitis B, ohne jemals Krankheitssymptome an sich festzustellen. Die Krankheit nahm einen chronischen Verlauf, und von dem Angeklagten ging eine extrem hohe Infektiösität aus. Im Zeitraum vom 27. Mai 1994 bis 6. November 1998 infizierte er bei Herzoperationen zwölf seiner Patienten. Bei einigen von ihnen kam es zu erheblichen gesundheitlichen Beschwerden; in drei Fällen verlief die Infektion chronisch.
2. Nach Auffassung der Strafkammer wäre der Angeklagte angesichts des in seinem Tätigkeitsbereich besonders hohen Infektionsrisikos und der Vielzahl der von ihm durchgeführten Operationen verpflichtet gewesen, sich im Abstand von etwa einem Jahr Kontrolluntersuchungen zu unterziehen. Gegen diese ärztliche Sorgfaltspflicht habe er verstoßen und dadurch fahrlässig bei zwölf Patienten Gesundheitsschädigungen verursacht, da er bei Wahrnehmung der Untersuchungen spätestens im Jahr 1993 Kenntnis von seiner Infizierung erhalten hätte.
II. Die Revision des Angeklagten war zu verwerfen.
Die Verfahrensrügen erweisen sich entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 14. Juli 2002 als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Auch die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
1. Der Schuldspruch hält materiell-rechtlicher Überprüfung stand.
a) Entgegen der Auffassung der Revision ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, daß sich das Landgericht im Urteil ausdrücklich weder mit den Voraussetzungen noch mit den Rechtsfolgen einer Unterlassungsstrafbarkeit auseinandergesetzt hat.
Soweit die Strafkammer mehrfach erwähnt, der Schwerpunkt des dem Angeklagten vorzuwerfenden Verhaltens sei nicht in dem aktiven Tun des Operierens, sondern im Unterlassen der gebotenen Vorsorgeuntersuchungen zu sehen, sind diese Formulierungen zwar mißverständlich, sind aber wohl eher im Kontext der vom Landgericht geprüften Sorgfaltspflichtverletzung bzw. Verjährungsbeginns zu verstehen.
Dies kann letztlich jedoch dahinstehen. Denn das Verhalten des Angeklagten war hier nach den Gesamtumständen der Tatbegehung jedenfalls als aktives Tun zu qualifizieren, so daß sich eine andere Entscheidung des Tatrichters als unvertretbar darstellen würde (vgl. BGH NStZ 1999, 607).
Die Rechtsprechung faßt die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine normative Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (vgl. BGHSt 6, 46, 59; 40, 257, 265; MDR 1982, 624; BGH NStZ 1999, 607).
Im vorliegenden Fall ist der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens in der Vornahme der Herzoperationen zu sehen, welche unmittelbar und ohne weitere Zwischenschritte zur Infektion der Patienten führte. Die Argumentation der Revision, die Operationen als solche seien lege artis erfolgt und stellten daher keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit dar, beschränkt sich auf den rein operativ-handwerklichen Vorgang und greift insofern zu kurz. Geht man vielmehr - wie es die Strafkammer auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tut - davon aus, daß ein Chirurg mit hochgradig ansteckender HBV-Infektion nicht operieren darf, so stellt sich gerade die Durchführung der Operation im infektiösen Zustand als nicht ordnungsgemäß und damit strafrechtlich relevant dar. Die Ursache der Infektionen liegt in einem tätigen Handeln des Angeklagten begründet. Das Unterlassen der gebotenen Kontrolluntersuchungen - für sich genommen - vermag demgegenüber nicht ohne weiteres zu einer Strafbarkeit zu führen, da erst bei Vornahme der Operation die Infektion eintritt, die unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung der Gesundheitsschädigung führt. Bei bewußt fahrlässigem oder gar bedingt vorsätzlichem Verhalten des Angeklagten bestände auch kein Zweifel, daß der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit bei der Durchführung der Operation in infiziertem Zustand und nicht im Unterlassen der gebotenen Untersuchung liegt.
Daß der Angeklagte pflichtwidrig davon absah, sich Kontrolluntersuchungen zu unterziehen, begründet hingegen nur den für das Fahrlässigkeitsdelikt elementaren Sorgfaltspflichtverstoß. Diese "Unterlassenskomponente" - die bei Fahrlässigkeitsdelikten häufig im Unterlassen von Sorgfaltsvorkehrungen besteht - ist hier wesensnotwendig mit dem fahrlässigen aktiven Tun verbunden und ändert nichts am aktiven Begehungscharakter der Verhaltensweise, sondern ist dieser immanent (vgl. Rudolphi in SK StGB vor § 13 Rdn. 27; Kühl, Strafrecht AT 4. Aufl. § 18 Rdn. 24; Seelmann in AK StGB § 13 Rdn. 27; Ulsenheimer, Das Verhältnis zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten, S. 99 und in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts 3. Aufl. § 140 Rdn. 12; Fünfsinn, Der Aufbau des fahrlässigen Verletzungsdelikts durch Unterlassen im Strafrecht, S. 40 ff.; vgl. BGH, Urt. vom 27. November 1951 - 1 StR 439/51).
b) Auch die weiteren Einwendungen des Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch greifen nicht durch.
Die Strafkammer hat in nicht zu beanstandender Weise eine objektive und subjektive Sorgfaltspflichtverletzung des Angeklagten bejaht und dabei insbesondere berücksichtigt, daß sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt aus den Anforderungen ergeben, die bei Betrachtung der Gefahrenlage "ex ante" an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind; maßgeblich ist also, wie sich ein umsichtiger und erfahrener Arzt derselben Fachrichtung in gleicher Situation verhalten hätte, so daß nachträgliche wissenschaftliche Erkenntnisse außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BGH NStZ 2000, 2754, 2758; Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. § 139 Rdn. 18).
Das Landgericht legt insofern ausführlich dar, daß und aus welchen Gründen zum Zeitpunkt die Gefahr einer Übertragung von Viren auch vom Arzt auf den Patienten in das allgemeine Bewußtsein nicht nur von Virologen, sondern von Ärzten allgemein gerückt war. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bestand nach damaligem Kenntnisstand insbesondere für Chirurgen selbst bei Benutzung von Operationshandschuhen ein hohes Risiko der Übertragung von Hepatitis B auf den Patienten. Ohne Rechtsfehler hat daher die Strafkammer den Schluß gezogen, der Angeklagte sei verpflichtet gewesen, sich zumindest regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zu unterziehen, wenn er sich nicht impfen ließ.
Die Annahme einer jährlichen Untersuchungsverpflichtung des Angeklagten konnte die Strafkammer auf die Überlegung stützen, daß angesichts der Vielzahl der vom Angeklagten durchgeführten Operationen und des besonders hohen mit seiner Tätigkeit verbundenen Infektionsrisikos die verantwortungsbewußte Wahrnehmung seiner Sorgfaltspflicht jedenfalls eine Kontrolle in jährlichen Abständen gebot, um den verfolgten Zweck einer Risikominimierung auch nur annähernd erreichen zu können. Die zum damaligen Zeitpunkt in der Klinik des Angeklagten praktizierte Übung bei der Ausgestaltung der Untersuchungsintervalle hatte hier ebenso wie die - an anderer Stelle im Urteil erwähnte - Übung in anderen Krankenhäusern und die Handhabung freiwilliger Kontrollen durch den Stellvertreter des Angeklagten einen gewissen Indizwert. Bei den Anforderungen an die speziell vom Angeklagten zu fordernde Sorgfalt hat das Landgericht zu Recht darüber hinaus seine herausgehobene Stellung berücksichtigt.
Danach hätte sich der Angeklagte jedenfalls vor der ersten - hier als fahrlässige Körperverletzung abgeurteilten - Operation (27. Mai 1994) untersuchen lassen müssen und dann in Kenntnis seiner eigenen Infektion nicht mehr operieren dürfen.
2. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand. Vergeblich wendet sich die Revision gegen die vom Landgericht festgesetzte Höhe des Tagessatzes.
Die nach pflichtgemäßem Ermessen vorgenommene Wertung des Tatrichters bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe ist vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters ausreichend festgestellt und in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt sind (vgl. BGHSt 27, 212, 215; 27, 228, 230, BGH NJW 1993, 408, 409). Die Urteilsgründe müssen eine Ermessungsüberprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen, indem sie die konkreten tatsächlichen Grundlagen der Schätzung ausreichend darlegen (vgl. BGH NJW 1976, 634, 635; Beschl. vom 15. September 1987 - 1 StR 442/87; NJW 1993, 408, 409; OLG Frankfurt StV 1984, 157; OLG Celle NJW 1984, 185, 186; OLG Düsseldorf StV 1997, 460 und NStZ 1998, 464).
Die vom Tatrichter zur Nachprüfbarkeit der Schätzung mitgeteilten Fakten reichen (noch) aus, um die vorgenommene Schätzung zu tragen. Dies gilt um so mehr, als sich die festgesetzte Tagessatzhöhe jedenfalls nicht in einem unvertretbaren, gänzlich aus der Luft gegriffenen Rahmen bewegt. Die Geldstrafensumme hat sich auch nicht nach oben von ihrer Bestimmung gelöst, gerechter Schuldausgleich zu sein.
Das Landgericht führt im Anschluß an seine Schätzung aus, es habe sich an der Bestimmung eines Tagessatzes in entsprechender Höhe nicht durch die Aussage der Steuerberaterin des Angeklagten gehindert gesehen. Die Kammer legt im einzelnen dar, aus welchen Gründen die Angaben der Steuerberaterin keinen Eingang in die Berechnung fanden und schließt mit der Formulierung "bemerkenswert" sei in diesem Zusammenhang auch, daß der Angeklagte die von ihm im Rahmen eines Beweisantrages benannte Zeugin nur insoweit von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden habe, als es die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten nach seiner Emeritierung betraf.
Der Einwand der Revision, das Landgericht habe hier unter Verstoß gegen § 261 StPO das zulässige Prozeßverhalten des zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten zu seinem Nachteil verwertet, greift jedenfalls im Ergebnis nicht durch.
Es kann dahinstehen, ob die hier gegebene teilweise Schweigepflichtentbindung vergleichbar mit einem sogenannten Teilschweigen grundsätzlich im Rahmen der Beweiswürdigung verwertbar war (vgl. insbesondere BGHSt 20, 298) oder ob aus der teilweisen Wahrnehmung eines prozessualen Rechts keine negativen Schlüsse gezogen werden durften (vgl. BGHSt 45, 363 und 45, 367). Es handelt sich hier, worauf auch der Generalbundesanwalt hingewiesen hat, ersichtlich um eine nicht tragende Hilfserwägung der Strafkammer, auf der die Strafzumessung nicht beruht. Denn aus den voranstehenden Ausführungen im Urteil ergibt sich, daß das Landgericht auch ohne die Angaben der Steuerberaterin zu demselben Ergebnis, also zu derselben Tagessatzhöhe, gekommen wäre.
Ende der Entscheidung
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