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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.08.2009
Aktenzeichen: 2 StR 262/09
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 261 |
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
hat in der Sitzung
vom 12. August 2009,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing van Saan und
der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Prof. Dr. Schmitt,
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Januar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revisionen der Angeklagten H. und S. gegen das vorgenannte Urteil werden auf ihre Kosten verworfen. Sie haben auch die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten H. und S. wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten K. hat es freigesprochen. Dagegen richten sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die Revisionen der Angeklagten H. und S. . Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobene Verfahrensrüge nicht ankommt. Die Revisionen der Angeklagten H. und S. sind unbegründet.
I.
1.
Nach den Feststellungen sprachen die Angeklagten und das spätere Tatopfer Ja. L. am Sylvestertag des Jahres 2007 in einer Gartenhütte in erheblichem Umfang dem Alkohol zu. Kurz vor Mitternacht verließ der zu diesem Zeitpunkt stark angetrunkene L. das Gartengelände, um nach Hause zu gehen. Passanten fanden ihn gegen 23.45 Uhr auf dem Bürgersteig vor dem Gartengelände sitzend oder liegend. Er hatte eine blutende Platzwunde am Kopf, aber noch keine Verletzungen im Gesicht. Die Zeugen versuchten ihm vergeblich auf die Beine zu helfen. Kurze Zeit später kamen die Angeklagten H. und S. aus dem Gartengelände und erklärten den Zeugen, sie würden sich um L. kümmern. Sie hakten ihn unter und führten ihn in das Gartengelände zurück. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor 3.00 Uhr wurde L. in der Gartenhütte von einem oder mehreren Angeklagten gemeinsam aus unbekanntem Grund getötet, indem ihm mit einem Messer 21 fast parallel zueinander verlaufende und eng neben einander liegende Stiche in den Hals versetzt wurden. Darüber hinaus wurden dem Opfer weitere erhebliche Verletzungen im Kopf- und Gesichtsbereich zugefügt.
2.
Die Kammer hat ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt, dass sich für ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der drei Angeklagten keine tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben hätten. Zu ihren Gunsten sei jeweils davon auszugehen, dass nicht sie selbst, sondern einer der anderen allein oder zu zweit die tödlichen Stiche gesetzt habe. Keinem der Angeklagten sei deshalb ein Tötungsdelikt durch aktives Tun nachzuweisen. Die Angeklagten H. und S. hätten sich jedoch einer gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen schuldig gemacht. Da das Tatopfer nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen nach dem ersten Halsstich weder sofort bewusstlos noch tot gewesen sei, seien die weiteren Stiche auch als gefährliche Körperverletzung zu werten. Eine Rechtspflicht zum Eingreifen habe für die Angeklagten H. und S. aus Ingerenz bestanden, weil sie den erkennbar volltrunkenen und schon am Kopf blutenden Geschädigten in ihre Obhut genommen und zurück auf das Gartengelände geführt hätten. Der Angeklagte K. habe dagegen keine derartige Garantenstellung gehabt. Eine Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung scheitere bei ihm daran, dass seine Alkoholisierung nicht ausschließbar so groß gewesen sei, dass er zu einer Hilfeleistung körperlich nicht in der Lage war.
II.
Dies hält sachlichrechtlicher Prüfung nur zum Teil stand.
1. Revisionen der Staatsanwaltschaft
Die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil weist mehrere Rechtsfehler auf. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist jedoch rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147; 2004, 238 jeweils m.w.N.). Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002, 656, 657; NStZ-RR 2004, 238, 239). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr. vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung unzureichende 1; BGH NStZ 2002, 48; NStZ-RR 2004, 238, 239). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Die Urteilsgründe sind in entscheidenden Punkten lückenhaft.
a) Revision zu Ungunsten des Angeklagten K.
Bei der Begründung des Freispruchs setzt sich das Landgericht nicht hinreichend mit der für die Entscheidung wesentlichen objektiven Beweislage auseinander. An dem Tatmesser sowie an einer Taschenlampe wurden neben zahlreichen Blutanhaftungen des Opfers ausschließlich DNA-Spuren des Angeklagten K. sichergestellt. Da am Opfer neben zahlreichen Messerstichen auch Einwirkungen stumpfer Gewalt festgestellt wurden, lag es nahe, dass auch die Taschenlampe Tatwerkzeug war. Angesichts dieser allein den Angeklagten K. belastenden Spurenlage hätte es eingehender Erörterung bedurft, warum das Landgericht dennoch davon ausgeht, ihm sei nicht zu widerlegen, dass er weder auf den Geschädigten eingestochen noch ihn geschlagen habe. Die hierfür vom Landgericht gegebene Begründung, eine solche Tat sei dem Angeklagten K. "soweit erkennbar persönlichkeitsfremd" (UA 29) trägt diese Annahme mit Rücksicht auf die objektiv gegen ihn sprechenden Verdachtsmomente nicht. Ihre Formulierung lässt zudem besorgen, dass die Kammer selbst nicht in dem erforderlichen Maße von dem für sie in diesem Zusammenhang ausschlaggebenden Argument überzeugt war.
b) Revisionen zu Ungunsten der Angeklagten H. und S.
Die Beweiswürdigung ist auch lückenhaft soweit sich das Landgericht nicht von einer aktiven Beteiligung der Angeklagten H. und S. an der Tötung zu überzeugen vermochte. Das Landgericht hat vor allem darauf abgestellt, dass die Angaben des Angeklagten K. , mit denen er die Angeklagten H. und S. belastet hatte, "nicht durchgängig konstant" gewesen seien. Angesichts der schwierigen Beweislage hätte sich das Landgericht jedoch nicht mit der pauschalen Feststellung mangelnder Konstanz begnügen dürfen, sondern sich im Einzelnen mit dem festgestellten Aussageverhalten des Angeklagten bei den jeweiligen Vernehmungen auseinandersetzen müssen.
Den Feststellungen ist zu entnehmen, dass der Angeklagte K. in zwei polizeilichen Vernehmungen sowie gegenüber dem Sachverständigen zahlreiche Details des Tatablaufs konstant geschildert hat. So hat er bei allen drei Vernehmungen zum eigentlichen Tatgeschehen angegeben, der Angeklagte H. habe das Tatopfer festgehalten und die Angeklagte S. habe zugestochen. Bei seiner zweiten polizeilichen Vernehmung sowie gegenüber dem Sachverständigen hat er die Tatschilderung dahin konkretisiert, dass das Tatopfer auf dem Rücken mit den Beinen zur Tür gelegen habe. Der Angeklagte H. habe auf der rechten Seite des Körpers und die Angeklagte S. mit dem Gesicht zu ihm gewandt auf der linken Seite gehockt und auf das Opfer eingestochen. Diese detailreiche Beschreibung des Tatablaufs konnte deshalb besonderes Gewicht bei der Beweiswürdigung erlangen, weil sie sich nach den Feststellungen mit dem Spurenbild, insbesondere der Anordnung der Blutflecken, der Lage der Stichverletzungen und dem Umstand, dass die Angeklagten H. und S. selbst sowie ihre Kleidung mit dem Blut des Opfers verschmiert waren, in Einklang bringen ließ. Das Landgericht hätte dies bei seiner Bewertung der Aussage des Angeklagten K. deshalb erkennbar in seine Überlegungen einbeziehen müssen.
Ein Erörterungsmangel besteht weiter hinsichtlich der bei den drei genannten Vernehmungen mitgeteilten Beobachtung des Angeklagten K. , dass H. und S. dem Getöteten nach der Tat die Wohnungsschlüssel bzw. eine Kette abgenommen hätten, an der diese sich vermutlich befunden haben. Da die Angeklagten H. und S. bei ihrer Festnahme tatsächlich im Besitz der Wohnungsschlüssel des Geschädigten waren, stützte dies nicht nur die Darstellung des Angeklagten K. , sondern konnte auch als Indiz für ein aktives Mitwirken der Angeklagten H. und S. an der Tötung L. zu werten sein, zumal die Kammer insoweit den Einlassungen der Angeklagten H. und S. nicht gefolgt ist. Auch dies hätte das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigen müssen.
Zu Recht weist der Generalbundesanwalt schließlich darauf hin, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Angaben des Angeklagten K. zum Tatablauf und dem Nachtatverhalten der Mitangeklagten auch nicht deshalb entbehrlich war, weil er noch in seiner ersten polizeilichen Vernehmung angegeben hatte, von dem eigentlichen Tatgeschehen nichts mitbekommen zu haben. Die Erklärung des Angeklagten K. für sein anfängliches Aussageverhalten, er habe zunächst gedacht, er könne sich aus der Sache ganz heraushalten, ist durchaus plausibel. Außerdem weist die erste Vernehmung hinsichtlich des eigentlichen Tatablaufs keine Widersprüche zu den späteren Vernehmungen auf. Auch diese Umstände hat die Kammer nicht erkennbar in ihre Überlegungen einbezogen und stattdessen vorschnell auf die angeblich fehlende Konstanz der Angaben des Angeklagten K. abgestellt.
Die Sache muss daher auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft insgesamt neu verhandelt werden.
2. Revisionen der Angeklagten H. und S.
Die Revisionen der Angeklagten H. und S. sind unbegründet. Zwar fehlt es für die vom Landgericht ausdrücklich so bezeichnete Garantenstellung aus Ingerenz an Feststellungen dazu, dass das in Betracht kommende Vorverhalten zu einer den Angeklagten zuzurechnenden Gefahrerhöhung im Sinne einer nahe liegenden Gefahr des Erfolgseintritts geführt hat (vgl. BGH NStZ 1998, 83, 84; NJW 1999, 69, 71; NStZ 2000, 414; 583). Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist jedoch zu entnehmen, dass das Landgericht in noch hinnehmbarer Weise von einer Garantenstellung aus tatsächlicher Gewährsübernahme ausgegangen ist. Dies folgt aus der Formulierung, die Angeklagten H. und S. hätten "den erkennbar volltrunkenen und schon am Kopf verletzten und blutenden Geschädigten in ihre Obhut genommen". Außerdem hat die Kammer festgestellt, dass die Angeklagten H. und S. den zur Hilfe bereiten Passanten erklärten, sie würden sich um den Geschädigten kümmern, woraufhin diese weitergingen und nicht mehr auf den alarmierten Rettungswagen warteten.
Ende der Entscheidung
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