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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.08.2003
Aktenzeichen: 2 StR 267/03
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 177 Abs. 5 | |
StGB § 177 Abs. 4 | |
StGB § 177 Abs. 2 | |
StGB § 50 | |
StGB § 239 b | |
StGB § 21 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 27. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. August 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. h. c. Detter, Dr. Bode, Rothfuß, Prof. Dr. Fischer als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 5. Februar 2003 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte, auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloß der Angeklagte, seine frühere Lebensgefährtin, die sich von ihm getrennt hatte und eine eigene Wohnung im selben Haus wie der Angeklagte bewohnte, in seine Gewalt zu bringen und gegen ihren Willen mehrfach mit ihr geschlechtlich zu verkehren, weil er die Trennung nicht akzeptieren wollte und sich gekränkt fühlte. Unter einem Vorwand verabredete er sich am Tatabend gegen 19.30 Uhr mit der Nebenklägerin im Keller des Hauses. Als die Nebenklägerin danach in ihre Wohnung zurückkehren wollte, folgte er ihr und griff sie, als sie die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, zunächst mit einem zu diesem Zweck mitgeführten Elektroschockgerät an. Als dies wegen der dicken Kleidung der Nebenklägerin nicht die erwartete Wirkung zeigte, drängte der Angeklagte sie in die Wohnung, würgte sie, bis sie keine Luft mehr bekam und ihr schwarz vor Augen wurde, und brachte sie zu Boden. Dann fesselte er sie mit Klebeband und einem Schal und knebelte sie mit einem Strumpf. Außer diesen Gegenständen hatte er noch zwei Spritzen mitgebracht, in welche er in Wasser aufgelöste Benzodiazepin-Tabletten aufgezogen hatte. Er verschloß die Wohnungstür, verbrachte die Nebenklägerin in das Wohnzimmer und ließ die Jalousien herunter. Aus der Küche holte er sodann ein Fleischermesser herbei; dieses hielt er der Nebenklägerin mit der Drohung, er werde, wenn sie schreie, "kurzen Prozess" machen, an den Hals. Er legte die beiden Spritzen auf den Tisch und erklärte der Nebenklägerin, es handle sich um "Todesspritzen"; er werde sie zunächst noch einige Male vergewaltigen und sodann ebenso wie sich selbst töten.
Im weiteren Verlauf des Abends entfernte er den Knebel, ließ die Geschädigte aber weiter gefesselt; er unterhielt sich mit ihr und sah fern. Gegen 2.30 Uhr führte er gegen den Willen der Nebenklägerin gewaltsam ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr aus, wobei er sie zunächst erneut mit dem Messer bedrohte und ihren Slip zerschnitt; bei der Ausführung der sexuellen Handlungen legte er das Messer in Griffweite auf dem Wohnzimmertisch ab. Zwischen 5.00 und 6.00 Uhr und erneut im Laufe des Vormittags vollzog er wiederum gegen den Willen der Geschädigten ungeschützten Geschlechtsverkehr; auch hierbei legte er das Messer, das er im übrigen in der Hand hielt, griffbereit neben sich.
Gegen 15.00 Uhr veranlaßte er die Nebenklägerin, telefonisch ein Treffen mit ihrer Mutter abzusagen. Danach vollzog er wiederum gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr. Er ließ die Geschädigte sodann duschen; währenddessen räumte er das Wohnzimmer sorgfältig auf, spülte die benutzten Trinkgläser ab, packte die mitgebrachten Utensilien ein und verließ die Wohnung gegen 16.30 Uhr. Insgesamt befand sich die Nebenklägerin etwa 20 Stunden in seiner Gewalt.
Während der gesamten Tatausführung nahm der Angeklagte oft Tabletten mit unbekanntem Wirkstoff zu sich; außerdem rauchte er weniger als 10 mal Cannabis. Alkohol hatte er weder vor der Tat konsumiert noch trank er während der Tat. Bei keinem der Geschlechtsakte kam es zum Samenerguß. Einmal übergab sich der Angeklagte im Flur der Wohnung.
2. Das Landgericht hat das Gesamtgeschehen aufgrund des Tatplans des Angeklagten als natürliche Handlungseinheit angesehen und nur ein Verbrechen der Vergewaltigung unter Verwendung von Waffen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung im Hinblick auf die lebensgefährdende Behandlung durch das Würgen angenommen. Es hat zugunsten des Angeklagten angenommen, dieser habe sich aufgrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit dem Konsum der unbekannten Tabletten und von Cannabis während der gesamten Tatzeit im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befunden.
Den Strafrahmen hat das Landgericht § 177 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 StGB entnommen und eine Sperrwirkung des § 177 Abs. 2 StGB angenommen. Für die Annahme eines minder schweren Falles hat es als "ausschlaggebend" angesehen, daß der Angeklagte die Tatwaffe jeweils während der Geschlechtsakte nicht unmittelbar an den Körper der Geschädigten hielt, als "vor allem ausschlaggebend" darüber hinaus die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (UA S. 25); eine weitere Strafrahmensenkung hat es im Hinblick auf § 50 StGB abgelehnt.
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen die Annahme eines minder schweren Falles des § 177 Abs. 4 StGB und in diesem Zusammenhang gegen die Feststellung verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten. Sie ist damit wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Die im Hinblick auf die Frage der Konkurrenz und die fehlende Erörterung des § 239 b StGB nahe liegenden Bedenken gegen den Schuldspruch stehen dem hier nicht entgegen, da eine zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs unabhängig von der konkurrenzrechtlichen Bewertung im Schuldspruch möglich ist (vgl. BGHSt 29, 359, 364 ff.; 41, 57, 59; BGH NStZ-RR 1999, 359; BGH NStZ 2002, 317 f.; jeweils m.w.Nachw.; ständ. Rspr.).
4. Die Revision ist begründet. Die Strafzumessung ist nicht frei von Rechtsfehlern zugunsten des Angeklagten.
a) Die Anwendung des § 21 StGB findet in den Urteilsgründen keine hinreichende Grundlage.
aa) Das Landgericht hat sie auf die Feststellung gestützt, "auf der Grundlage" der von der Sachverständigen diagnostizierten Persönlichkeitsstörung und einer Intoxikation durch Tabletten und Cannabis sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten möglicherweise vor der Tat und während des gesamten Tatablaufs erheblich vermindert gewesen (UA S. 18, 22 bis 24). Dabei bleibt hinsichtlich einer akuten Intoxikation aber schon offen, welche Wirkstoffe die vom Angeklagten eingenommenen Tabletten beinhalteten und wie diese sich konkret auf Verhalten und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt haben. Auf die Feststellung, der Angeklagte habe weiße Tabletten unbekannter Art eingenommen, läßt sich weder die Feststellung einer "Intoxikation" noch gar einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit stützen. Soweit festgestellt ist, der Angeklagte habe "unter 10 mal" Cannabis geraucht, fehlt es an Feststellungen zu Art, Menge und insbesondere zu den konkreten Wirkungen dieses Rauschmittelkonsums. Im übrigen hat der Angeklagte sowohl die Tabletten als auch das Cannabis erst "im Verlauf der Tatausführung" zu sich genommen (UA S. 24); eine hierauf beruhende Intoxikation konnte daher bei der Vorbereitung der Tat und deren Beginn nicht vorliegen.
bb) Auch die Feststellungen zu der Persönlichkeitsstörung weisen Lücken auf und sind nicht widerspruchsfrei.
Nach den Ausführungen der Sachverständigen, welchen sich der Tatrichter ohne weitere eigene Erwägungen angeschlossen hat, liegt beim Angeklagten eine sog. narzisstische Persönlichkeitsstörung vor, welche durch Neigung zur überhöhten Selbstdarstellung, Selbstüberschätzung und mangelndes Einfühlungsvermögen gekennzeichnet sei (UA S. 22). Der Angeklagte sei leicht kränkbar; seine Fähigkeit, Kränkungen zu verarbeiten, sei eingeschränkt (UA S. 23).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht die Feststellung einer den gängigen Diagnosesystemen entnommenen Diagnose (hier: "narzißtische Persönlichkeitsstörung"; DSM-IV, 301.81; dagegen keine gesonderte Nennung in ICD-10; vgl. auch Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 2000, S. 154) nicht aus, um eine konkrete Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat darzulegen. Dies gilt insbesondere bei den sog. Persönlichkeitsstörungen, deren deskriptive Typologien keiner einheitlichen Systematik folgen (vgl. Rasch, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1999, S. 262), eine Vielzahl auch normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Empfindens und Verhaltens beschreiben und typisierend zusammenfassen. Es kommt daher für die rechtliche Bewertung darauf an, welche konkreten Auswirkungen die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten gerade bei der ihm zur Last gelegten Tat hatte (vgl. zur "narzißtischen Persönlichkeitsstörung" BGH wistra 2000, 339, 340; NStZ 2002, 427, 428; vgl. auch Tröndle/Fischer 51. Aufl. § 20 Rn. 42 m.w.N.).
Insoweit hat das Landgericht im Anschluß an die Sachverständige hier nur ausgeführt, die "Persönlichkeitsmerkmale" des Angeklagten wirkten sich "in Richtung einer verzerrten Wahrnehmung äußerer Gegebenheiten" und einer einseitig verzerrten Selbst- und Fremdwahrnehmung aus. Die Tat sei als Reaktion auf die als Kränkung erlebte Trennung der Nebenklägerin von dem Angeklagten zu verstehen; sie sei "als rachsüchtige Reaktion" zu sehen. Hierbei bleibt schon die Feststellung einer verzerrten Wahrnehmung äußerer Gegebenheiten unklar, denn dies legt eher die Annahme eines wahnhaften Erlebens nahe, für welches sich aber aus dem festgestellten Verhalten des Angeklagten kein Anhaltspunkt ergibt.
Vor allem aber fehlt jeder Hinweis, in welcher Weise und in welchem Umfang das Kränkungsempfinden und das Rachebedürfnis des Angeklagten seine Fähigkeit in dem von § 21 StGB vorausgesetzten erheblichen Maß beeinträchtigt haben könnten, von einer detailliert geplanten und sorgfältig vorbereiteten Geiselnahme und mehrfachen Vergewaltigung Abstand zu nehmen. Dies wäre im Urteil im einzelnen darzulegen gewesen. Feststellungen dazu, ob das Opfer während des 20-stündigen Tatgeschehens irgendwelche gravierenden, auf eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit hinweisenden Auffälligkeiten bemerkte, enthält das Urteil nicht. Daß es bei den vier Vergewaltigung jeweils nicht zum Samenerguß kam und daß der Angeklagte sich einmal übergeben mußte, besagt insoweit für sich nichts; durch letzteres wird im übrigen die Resorption der unbekannten Tabletten unterbrochen worden sein.
Schließlich fehlt auch die Darlegung einer konkreten inhaltlichen Beziehung zwischen den vom Landgericht nur unverbunden nebeneinander gestellten Feststellungen einer Persönlichkeitsstörung und einer "Intoxikation" nach Beginn der Tat. Eine die Hemmung gegen Gewalttaten beeinträchtigende kumulative oder wechselseitig steigernde Wirkung von leichter Kränkbarkeit und Cannabis-Wirkungen liegt nicht nahe und hätte näherer Darlegung bedurft.
cc) Insgesamt erweist sich somit die Anwendung des Zweifelssatzes auf die Feststellung erheblicher Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit als rechtsfehlerhaft. Der Zweifelssatz kann erst auf der Grundlage einer erschöpfenden und in sich schlüssigen Beweiswürdigung zur Anwendung kommen; daran mangelt es hier. So ist etwa die planvolle Tatvorbereitung als Indiz gegen eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit erwähnt (UA S. 23); warum sie - ebenso wie das sorgfältige Aufräumen der Wohnung und Beseitigen der Spuren - nicht auch gegen die Annahme erheblicher Einschränkung der Schuldfähigkeit spricht, ist nicht erörtert.
b) Als rechtsfehlerhaft erweist sich auch der zweite Gesichtspunkt, auf welchen das Landgericht die Anwendung des § 177 Abs. 5 StGB "ausschlaggebend" gestützt hat: Daß der Angeklagte bei der viermaligen Vergewaltigung das jeweils zuvor und danach als Drohmittel eingesetzte Fleischermesser zur Ausführung des Geschlechtsverkehrs in Griffweite - und Sichtweite des Opfers - neben sich legte und nicht unmittelbar an den Körper der Nebenklägerin hielt, entsprang ersichtlich den festgestellten tattechnischen Notwendigkeiten und kann die vom Tatrichter angenommene "ausschlaggebende" schuldmindernde Wirkung nicht haben.
5. Der neue Tatrichter wird zur Frage einer Einschränkung der Schuldfähigkeit umfassende neue Feststellungen zu treffen haben; er wird gegebenenfalls zu prüfen haben, ob die Zuziehung eines anderen Sachverständigen angezeigt ist. Einer sachgerechten Bewertung des Gesamtschuldumfangs steht die Rechtskraft des Schuldspruchs nicht entgegen.
Ende der Entscheidung
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