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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 2 StR 285/06
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 120 Abs. 1 | |
StPO § 126 Abs. 3 | |
StPO § 349 Abs. 4 | |
StGB § 63 | |
StGB § 185 | |
StGB § 241 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 26. Juli 2006
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Juli 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. März 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des wegen chronischer schizophrener Psychose schuldunfähigen Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision führt mit der allgemeinen Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
1. Das Landgericht hat der Anordnung die Feststellung rechtswidriger Taten der Bedrohung gemäß § 241 StGB in vier Fällen (Taten 1, 2, 3 und 8) und der Beleidigung gemäß § 185 StGB in vier Fällen (Taten 4 bis 7) zu Grunde gelegt. Die Feststellungen zu den zuletzt genannten Taten tragen aber die Annahme von mit (natürlichem) Vorsatz ausgeführten rechtswidrigen Beleidigungen nicht. Danach rief der Beschuldigte im Jahr 2003 in zahlreichen Fällen Mitarbeiter des Sozialamts der Stadt Ü. an, beschimpfte wahllos die jeweilige Person, die den Anruf entgegennahm, oder begann laut zu pfeifen. Die Mitarbeiter stellten teilweise den Lautsprecher ihres Telefons an, damit die übrigen Anwesenden mithören konnten; in anderen Fällen legten sie den Hörer neben das Telefon oder pfiffen mit einer Trillerpfeife in den Hörer, um den Beschuldigten zum Schweigen zu bewegen. In vier Fällen, als sich die Mitarbeiterin B. meldete, stöhnte der Beschuldigte in einer Weise ins Telefon, "dass der Eindruck entstand, er onaniere" (UA S. 14/15); zwischendurch äußerte er "fuck you". Die Zeugin hörte sich das Stöhnen einmal vollständig an; in den anderen Fällen legte sie den Hörer auf, als der Beschuldigte zu stöhnen begann. Das Landgericht hat angenommen, der Beschuldigte habe "bewusst zum Ausdruck (gebracht), dass er das sittliche Empfinden der Geschädigten und ihren diesbezüglichen Anerkennungsanspruch auf diesem Niveau ansiedelte" (UA S. 15).
Damit ist der Tatbestand der Beleidigung nicht hinreichend festgestellt. Zwar können sexuelle Äußerungen und Ansinnen im Ausnahmefall eine beleidigende Herabsetzung der Person enthalten, der gegenüber sie erfolgen. Hierfür ist aber nicht schon ausreichend, dass die betreffende Person keinen Anlass zu der Annahme gegeben hat, sie sei an solcherlei Kontakten interessiert; Voraussetzung ist vielmehr, dass der Täter selbst das der betroffenen Person angesonnene Verhalten als verwerflich oder ehrenrührig ansieht und durch die Äußerung zum Ausdruck bringen will, dass er dem Tatopfer eine entsprechende verachtenswerte Haltung zu Unrecht unterstellt (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 185 Rdn. 11 a m.w.N.). Das Landgericht hat diese Anforderung zwar im Grundsatz nicht verkannt. Es fehlt aber an Anhaltspunkten für seine Annahme, dass die genannten Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben waren. Hiergegen konnten insbesondere die Besonderheiten der Persönlichkeit des Beschuldigten und seiner psychischen Erkrankung sprechen; aber unter Umständen auch der Umstand, dass er die Handlungen wiederholte, obgleich ihm spätestens beim zweiten Mal klar sein musste, dass die Zeugin seine Ansinnen ablehnte; ebenso der Umstand, dass er bei seinen belästigenden Anrufen möglicherweise wahllos schimpfte, pfiff, drohte oder stöhnte. Der neue Tatrichter wird zur Motivation des Beschuldigten gegebenenfalls weitergehende Feststellungen zu treffen haben.
2. Übereinstimmend mit der Bundesanwaltschaft hält der Senat die Feststellungen zur Legalprognose des Beschuldigten für nicht ausreichend. Es ist bislang nicht hinreichend festgestellt, dass von dem Beschuldigten auf Grund seines Zustands die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten ausgeht. Zwar waren die Bedrohungen hier durchaus gravierend und beeinträchtigten die Opfer teilweise nachhaltig. Zu bedenken war aber andererseits, dass es noch nie zu einer Konfrontation zwischen dem Beschuldigten und von ihm bedrohten Personen gekommen ist; der Beschuldigte hat bislang nichts unternommen, um Drohungen in die Tat umzusetzen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen ausgeführt hat, es sei mit Taten wie den begangenen sowie damit zu rechnen, dass der Beschuldigte "nicht nur Drohungen ausspricht, sondern auch - wie zuletzt 2001 - mit Drohungen ... Vermögensinteressen durchzusetzen sucht" (UA S. 28), geht auch diese Prognose letztlich nicht über die Annahme verbaler Aggressionen hinaus; die vom Landgericht erwähnte Tat vom Frühjahr 2001, bei welcher der Beschuldigte vielfach telefonisch von einem Priester, den er zunächst um 150,--DM gebeten hatte, 1.000 DM, 3.000 DM oder 50.000 DM mit der Drohung verlangte, ihn ansonsten "in einer Minute" zu töten, erscheint als Indiz für sich allein nicht tragfähig, da auch hier offenbar der Aspekt des wahllosen Schimpfens sowie des Aussprechens sexualbezogener Worte und Redewendungen im Vordergrund stand.
Angesichts des äußerst belastenden Charakters der Unterbringung gemäß § 63 StGB müssen die Anforderungen an die Prognose hoch sein. Die Wahrscheinlichkeit von Lästigkeiten oder Straftaten geringeren Gewichts reicht nicht aus. Auch das Bedürfnis oder das Erfordernis, einen schuldunfähigen Beschuldigten zu heilen, rechtfertigt eine Unterbringung nur dann, wenn die Erwartung erheblicher Straftaten von den Feststellungen hinreichend getragen wird (vgl. dazu Tröndle/Fischer aaO § 63 Rdn. 17 f. mit Nachw. zur Rechtspr.). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil, auch im Hinblick auf die oben 1) dargelegte Fehlerhaftigkeit bei der Feststellung der Anlasstaten, nicht.
3. Entgegen dem Antrag der Bundesanwaltschaft sieht der Senat keinen Anlass, in der Sache selbst zu entscheiden und den Antrag auf Anordnung der Unterbringung zurückzuweisen. Konkretisierte, ernst zu nehmende Bedrohungen mit schweren Verbrechen können im Einzelfall durchaus als erheblich im Sinne von § 63 StGB angesehen werden. Hierzu erscheinen weitere Feststellungen möglich, ebenso zu der Frage, ob konkrete Anhaltspunkte für die Erwartung vorliegen, der Beschuldigte könne die Grenze nur verbaler Aggressionen überschreiten. Es ist nicht fern liegend, dass der neue Tatrichter auch bei Anwendung des zutreffenden Maßstabs zu Feststellungen gelangt, die eine Unterbringung tragen.
Damit ist der Antrag der Bundesanwaltschaft, die Anordnung der einstweiligen Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 126 Abs. 3 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO aufzuheben, gegenstandslos.
Ende der Entscheidung
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