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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.09.2008
Aktenzeichen: 2 StR 291/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB, BGB
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 | |
StGB § 20 | |
StGB § 63 | |
BGB §§ 1896 ff. |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 10. September 2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. September 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. März 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der nicht vorbestrafte Beschuldigte, ein 53-jähriger alleinstehender Frührentner, seit 1983 an einer ausgeprägten, schweren chronischen paranoiden Schizophrenie mit deutlichen formalen Denkstörungen nach Art eines Springens von Thema zu Thema sowie mit massiven inhaltlichen Denkbeeinträchtigungen im Sinne eines Größenwahns. Im Februar 1984 war er für die Dauer von drei Wochen nach dem Hessischen Freiheitsentziehungsgesetz wegen Eigen- und Fremdgefährdung untergebracht.
Der Aufenthalt in der Psychiatrie mündete indes nicht in eine regelmäßige Behandlung, da der krankheitsuneinsichtige Beschuldigte die Einnahme von Medikamenten ablehnt und stattdessen wiederkehrende Symptome und akute Zustände der Schizophrenie mit Cannabisprodukten und Alkohol selbst therapiert.
Seit 1977 bewohnte der Beschuldigte, der sich für ein gottähnliches Wesen, zuweilen auch für Michelangelo, Napoleon, Hitler oder eine andere Person der Zeitgeschichte hält, ein Ein-Zimmer-Appartement in einem Anwesen, in dessen Erdgeschoss sich ein Eiscafe befindet. Diese Wohnung musste der Beschuldigte nach einer verhaltensbedingten Kündigung zum 1. September 2007 räumen. Kündigungsgrund war, dass sich die gesamte Wohnung - wie auch der Beschuldigte selbst - in einem völlig verwahrlosten Zustand befand. Um sich für den "erzwungenen" Auszug, für den er den Betreiber des Eissalons verantwortlich machte, zu rächen, zündete der Beschuldigte mittels Brandbeschleuniger in der Nacht vom 2. auf den 3. September 2007 das vor dem Eiscafe gestapelte Mobiliar bestehend aus Tischen, Stühlen und Sonnenschirmen an, wodurch ein Sachschaden in Höhe von ca. 14.000 Euro entstand.
II.
Das sachverständig beratene Landgericht hat hinsichtlich der festgestellten Sachbeschädigung die Schuldfähigkeit des Beschuldigten rechtsfehlerfrei verneint, weil eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zum Ausschluss der Einsichtsfähigkeit geführt hatte.
Auch die Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht - was die Erfordernisse eines Hanges und einer psychotisch motivierten Tat anbelangt - zutreffend bejaht. Gleichwohl hat der Maßregelausspruch keinen Bestand, weil die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus weiter vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht hinreichend belegt ist.
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Eine lediglich latente Gefahr und die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reichen nicht aus.
In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen hat die Strafkammer die Gefährlichkeitsprognose auf die Befürchtung gestützt, dass zum einen wegen der leichten Erregbarkeit und Gereiztheit des Beschuldigten bereits im alltäglichen Leben erhebliches Konfliktpotential bestünde und dass zum anderen infolge der Verwahrlosung des Beschuldigten eine Kündigung auch des neuen Mietverhältnisses aufgrund Beschwerden der Nachbarschaft zu erwarten sei.
Diese Erwägungen des Landgerichts berücksichtigen jedoch nicht ausreichend, dass die für die Schuldunfähigkeit maßgebende Schizophrenie bei dem Beschuldigten bereits seit mindestens 1983 besteht und er bisher mit Aggressions- und Gewaltdelikten nicht in Erscheinung getreten ist. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts in 25 Jahren keine Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Vor diesem Hintergrund genügt der Hinweis auf die leichte Gereiztheit und Erregbarkeit des Beschuldigten nicht, um eine aktuelle Steigerung des Aggressionspotentials darzutun. Unberücksichtigt bleibt auch, dass Ursache für die Anlasstat die Kündigung der Wohnung war, die der Beschuldigte seit über 30 Jahren bewohnte und nunmehr zwangsweise verlassen musste, eine Ausnahmesituation, die nicht nur für Personen, die an krankhaften seelischen Störungen leiden, außerordentlich belastend sein kann. Schließlich vermögen auch die von der Strafkammer prognostizierten Konfliktsituationen des Beschuldigten in Bezug auf das neue Mietverhältnis keine Wahrscheinlichkeit höheren Grads für die Begehung künftiger Straftaten zu begründen. Vielmehr handelt es sich insoweit lediglich um eine latente Gefahr verbunden mit der bloßen Möglichkeit zukünftigen gefährlichen Verhaltens.
Die Frage der Unterbringung des Beschuldigten bedarf daher umfassender neuer Prüfung, wobei die neu entscheidende Strafkammer die bisher nicht erörterte Entwicklung des Beschuldigten in der einstweiligen Unterbringung in ihre Bewertung einzubeziehen und auch die Möglichkeit einer Betreuerbestellung nach §§ 1896 ff. BGB zu erwägen haben wird.
Ende der Entscheidung
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