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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.09.2003
Aktenzeichen: 2 StR 316/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 17. September 2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 17. September 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 14. Mai 2003 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte am Tatabend eine Diskothek besucht, in der sich auch der spätere Geschädigte mit den in dieser Sache vernommenen Zeugen aufhielt. Als der dieser Gruppe zugehörige Zeuge H. über den Tanzstil des Angeklagten lachte, kam es zu einem kurzen Wortwechsel zwischen diesem und dem Angeklagten, der aber friedlich endete. Gegen 5.15 Uhr ging der Angeklagte zu einer Straßenbahnhaltestelle, an der bereits die Gruppe aus der Diskothek stand. Er fing unvermittelt an zu schimpfen, worauf es zwischen ihm und dem Geschädigten, der ihn aufforderte, auf die andere Straßenseite zu gehen, zu einer verbalen Auseinandersetzung kam. Der Geschädigte und der Angeklagte schubsten sich dabei gegenseitig, so daß sie schließlich auf die andere Straßenseite gelangten. Die Zeugin Pf. lief nun zu den beiden und forderte den Geschädigten auf, die Auseinandersetzung zu beenden und zurückzukommen. Als dieser ihr den Kopf zuwandte, zog der Angeklagte ein Messer mit einer Klingenlänge von 8 cm aus der Hosentasche und stach in den Hals des Geschädigten. Dieser röchelte, blutete stark und brach kurzzeitig zusammen. Der Angeklagte, der dies wahrgenommen hatte, lief davon, wurde aber von einigen aus der Gruppe gestellt. Obwohl der Stich äußerst gefährlich war, hat der Geschädigte bis auf eine deutlich sichtbare Narbe keine dauerhaften Schäden davongetragen. Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe und hat insoweit festgestellt, "(der Angeklagte) handelte in der Absicht, mögliche Angriffe des Geschädigten abzuwehren, so daß er nur bei einer schweren, gegebenenfalls tödlichen Verletzung des Geschädigten sicher sein konnte, daß ein Angriff des Geschädigten nicht mehr erfolgen würde" (UA S. 7). Eine Notwehrlage oder eine Putativnotwehr hat das Landgericht abgelehnt, weil der Angeklagte nach seinen eigenen Angaben (muß wohl heißen: "nicht") "erwartet habe, von dem Geschädigten bzw. den weiter entfernt stehenden übrigen Zeugen angegriffen bzw. geschlagen zu werden. Danach habe auch nach seiner Vorstellung kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorgelegen, der einen Stich mit dem Messer gerechtfertigt hätte" (UA S. 33).
2. Die Urteilsfeststellungen zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes begegnen durchgreifenden Bedenken. Sie sind widersprüchlich und entbehren einer nachvollziehbaren Würdigung der Beweisanzeichen.
Zur Begründung des Tötungsvorsatzes hat das Landgericht zu Recht auf die Indizwirkung einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung hingewiesen, dann aber u. a. folgendes ausgeführt:
"die Motivation des Angeklagten ging dahin, daß er jeglichen Angriff des Zeugen K. von vornherein unterbinden wollte, ihn somit 'kampfunfähig' machen wollte. Da der Zeuge K. zu einer größeren Gruppe gehörte, mußte der Angeklagte damit rechnen, daß gegebenenfalls weitere Personen aus der Gruppe dem Zeugen K. Unterstützung bieten würden. Demnach mußte der Angeklagte in der konkreten Situation davon ausgehen, daß nur eine schnell und überraschend beigebrachte schwerwiegende, möglicherweise tödliche Verletzung, den Zeugen K. an einem Angriff würde hindern können und die umstehenden Zeugen davon abhalten würde, einzugreifen. Bei einem bloßen Faustschlag oder Fußtritt hätte der Angeklagte demgegenüber damit rechnen müssen, daß sich weitere Personen veranlasst sehen würden, auf den Angeklagten loszugehen, der dann angesichts der personellen Überzahl kaum eine Chance gehabt hätte, sich erfolgreich zu verteidigen. Bei lebensnaher Betrachtung kam deshalb in der konkreten Situation nur eine zumindest schwere, möglicherweise tödlich verlaufende Verletzung in Betracht, um das gesteckte Ziel - jegliche Gegenwehr des Geschädigten erfolgreich zu unterbinden - ..." (UA S. 30, 31).
Diese Ausführungen sind in fehlerhafter Weise mehrdeutig.
Sollten sie dahin zu verstehen sein, daß das Landgericht von einem jedenfalls aus Sicht des Angeklagten (unmittelbar) bevorstehenden Angriff des Geschädigten ausgegangen ist, so ständen sie im Widerspruch zu den Ausführungen zur Ablehnung der Putativnotwehr (UA S. 33). Sie wären auch nicht mit der Würdigung der Einlassung des Angeklagten durch die Kammer vereinbar. Denn das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er sei von dem Geschädigten angepöbelt und geschubst worden, die Gruppe habe den Geschädigten noch zusätzlich angeheizt, er (der Angeklagte) habe sich bedroht und bedrängt gefühlt, als bloße Schutzbehauptung angesehen. Es hat sich dabei auf die Aussagen der Zeugen gestützt, die der Darstellung des Angeklagten glaubhaft widersprochen und, soweit sie überhaupt das Geschehen verfolgt hatten, übereinstimmend bekundet haben, daß sich für sie die Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und dem Angeklagten als harmlos dargestellt habe, aus der Gruppe habe sich sonst keiner beteiligt.
Wollte das Landgericht hingegen zum Ausdruck bringen, daß der Angeklagte zwar nicht unmittelbar mit einem Angriff des Geschädigten gerechnet, aber doch befürchtet habe, daß die Auseinandersetzung weiter eskalieren und dann doch irgendwann ein Angriff auf ihn erfolgen könnte, so wird - abgesehen davon, daß sich dies nicht mit ausreichender Klarheit den Ausführungen entnehmen läßt - schon nicht deutlich, worauf das Landgericht eine solche Einschätzung stützt. Nach seinen Feststellungen lag bis zum Messerstich des Angeklagten nur eine harmlose Schubserei vor, zudem ist auch nicht ersichtlich, daß der Angeklagte diese Auseinandersetzung nicht ohne weiteres hätte abbrechen können. Aber auch die weitere Erwägung der Kammer, daß nur bei einer schwerwiegenden oder gar tödlichen Verletzung des Geschädigten durch den Angeklagten nicht mit einem Eingreifen der Zeugen zu rechnen gewesen wäre, ist nur schwer nachvollziehbar. Der tatsächliche weitere Verlauf der Auseinandersetzung beweist zudem das Gegenteil. Daß der Angeklagte von einer solchen eher fernliegenden Vorstellung dennoch ausgegangen ist, hat die Kammer nicht belegt. Dies hätte aber näherer Begründung bedurft.
Das Urteil kann danach keinen Bestand haben.
Ende der Entscheidung
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