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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.06.2004
Aktenzeichen: 2 StR 380/03
Rechtsgebiete: StPO, GVG


Vorschriften:

StPO § 338 Nr. 1
StPO § 349 Abs. 4
GVG § 21 g
GVG § 76 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 380/03

vom 18. Juni 2004

in der Strafsache

gegen

wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 4 StPO am 18. Juni 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Februar 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Das Rechtsmittel macht zu Recht als Verstoß gegen § 338 Nr. 1 StPO geltend, daß die 4. Große Strafkammer, die in dieser Sache entschieden hat, nicht über die erforderliche spruchkörperinterne Geschäftsverteilung gemäß § 21 g GVG für das Jahr 2002 verfügt hat.

I. Der Rüge liegt folgendes zugrunde:

Am 2. Januar 2001 haben die damaligen drei Mitglieder der 4. Strafkammer einen schriftlichen Beschluß zur Geschäftsverteilung gefaßt und in den Punkten I. bis VI. u. a. geregelt, daß der Vorsitzende für alle bei der 4. Strafkammer eingehenden Anklagen ein Register führt und daß die mit ungerader Nummer eingetragenen Sachen auf den stellvertretenden Vorsitzenden (BE I ), die mit gerader Nummer eingetragenen Sachen auf den weiteren Beisitzer (BE II) entfallen.

Durch weiteren Beschluß zur Geschäftsverteilung vom 2. April 2001 haben die Richter am Landgericht Dr. E. , Dr. Sch. und K. - nach Ausscheiden des bisherigen Vorsitzenden - bestimmt, daß der Richter am Landgericht Dr. E. die vom Vorsitzenden zu erledigenden Aufgaben, der Richter am Landgericht K. weiterhin die dem stellvertretenden Vorsitzenden übertragenen Aufgaben übernimmt und der Richter am Landgericht Dr. Sch. BE II bleibt.

Am 20. November 2001 haben die Mitglieder der 4. Strafkammer dann folgenden Beschluß gefaßt:

Die Strafkammergeschäftsverteilung vom 2.1.01 i. V. m. dem Beschluß vom 2.4.01 wird wie folgt klarstellend ergänzt:

VII.

Anträge im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) sind wie Anklagen zu behandeln.

Wird in einer Sache eine Anklage oder ein Antrag im Sicherungsverfahren zurückgenommen bzw. ein Verfahren eingestellt und sodann im selben oder in einem späteren Jahr entweder eine neue Anklage erhoben oder ein Antrag im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) gestellt, ist diese neue Anklage bzw. der neue Antrag im Register des Vorsitzenden als neue Sache einzustellen. Berichterstatter bleibt jedoch entsprechend den Grundsätzen zu VI. der bisherige Berichterstatter."

Ein Beschluß zur Regelung der Geschäftsverteilung für das Jahr 2002 wurde nicht schriftlich niedergelegt. Der Vorsitzende verfügte jedoch unter dem 15. Februar 2002 wie folgt:

"1. Strafkammerinterne Geschäftsverteilung § 21 GVG

Es soll für die weitere Dauer des Geschäftsjahres bei den bisherigen bereits schriftlich niedergelegten Mitwirkungsgrundsätzen der 4. Strafkammer bleiben.

2. Herren K., Dr. Sch. z. K.

3. zur Sachakte."

II. Mit diesem Vorgehen genügt das Tatgericht nicht den Voraussetzungen der gemäß § 21 g GVG erforderlichen spruchkörperinternen Geschäftsverteilung.

1. Nach § 21 g Abs. 2 GVG sind die Mitwirkungsgrundsätze für die strafkammerinterne Geschäftsverteilung durch Beschluß aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer zu beschließen. Die internen Mitwirkungsgrundsätze unterliegen ebenso wie die Geschäftsverteilung (GVG § 21e Abs. 1 S. 2) dem sogenannten Jährlichkeitsprinzip. Sie haben Geltung nur für das betreffende Geschäftsjahr und treten mit dessen Ablauf ohne weiteres außer Kraft (BGH NJW 1999, 796 f. m. Anm. Vollkommer EWiR 1999, 71-72; BVerwG NJW 1991, 1370). Mit diesem generell im voraus nach objektiven Merkmalen aufgestellten Mitwirkungsgrundsätzen wird den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 95, 322; 97, 1) und vom Bundesgerichtshof (BGHZ 126, 63) entwickelten Grundsätzen zur Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Rechnung getragen.

2. Eine strafkammerinterne Geschäftsverteilung hatte sich die 4. Strafkammer für das Geschäftsjahr 2001 durch den Beschluß vom 2. Januar 2001 und die Änderungs- bzw. Ergänzungsbeschlüsse vom 2. April 2001 und 20. November 2001 gegeben. Hingegen ist eine schriftliche Regelung für das Jahr 2002 unterblieben. Eine Auslegung der Verfügung des Vorsitzenden vom 14./15. Februar 2002 als eines etwa im Umlaufverfahren ergangenen Beschlusses zur Geschäftsverteilung 2002 ist nicht möglich, denn diese Verfügung ist den weiteren Strafkammermitgliedern nicht zur Billigung, sondern nur zur Kenntnis vorgelegt worden. Im übrigen gehen sowohl die Verfügung wie auch der Beschluß der Strafkammer vom 8. November 2002, mit dem der Besetzungseinwand zurückgewiesen wurde, davon aus, daß die Mitwirkungsgrundsätze für das Jahr 2002 bereits durch Beschluß der Strafkammer vom 20. November 2001 geregelt worden waren.

In dem Beschluß der Strafkammer vom 20. November 2001 kann eine Regelung der Mitwirkungsgrundsätze für das Jahr 2002 aber nicht gesehen werden. Ein entsprechender Wille der Strafkammermitglieder ist dem Beschluß nicht zu entnehmen.

Zwar könnte der Zeitpunkt der Beschlußfassung - ein Monat vor Beginn des Geschäftsjahres 2002 - für eine Regelung für das Jahr 2002 sprechen, da die kammerinterne Geschäftsverteilung vor Beginn des Geschäftsjahres zu beschließen ist. Dagegen spricht aber, daß im Eingangssatz der Beschluß als klarstellende Ergänzung zur Strafkammergeschäftsverteilung vom 2. Januar 2001 und vom 2. April 2001 bezeichnet und das Geschäftsjahr 2002 in dem Beschluß nicht erwähnt wird. Im übrigen wird inhaltlich den Mitwirkungsgrundsätzen für das Jahr 2001 nur ein weiterer Unterpunkt - "VII." - zugefügt und nur eine bestimmte Fallgestaltung, nämlich die erneute Erhebung einer Anklage oder eines Antrags im Sicherungsverfahren, geregelt, nachdem bereits vorher einmal die Anklage oder der Antrag zurückgenommen oder das Verfahren eingestellt war.

Ob die Strafkammer möglicherweise mündlich beschlossen hat, die Mitwirkungsgrundsätze des Jahres 2001 auch für das Jahr 2002 anzuwenden, kann dahinstehen. Denn damit wäre der vorgeschriebenen Schriftform nicht genügt (vgl. auch BVerfGE 95, 322 = NJW 1997, 1497). Soweit in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs NStZ-RR 2003, 14 eine noch nach § 21 g GVG a.F. ergangene mündliche Regelung der Mitwirkungsgrundsätze hingenommen worden ist, betraf dies - worauf in der Entscheidung auch ausdrücklich abgestellt worden ist - einen Fall in der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Übergangsfrist (30. Juni 1997), die den Fachgerichten eingeräumt war, um sich auf die Verschärfung der verfassungsrechtlichen Anforderungen einzustellen.

Eine den Anforderungen des § 21 g GVG entsprechende Geschäftsverteilung kann auch nicht in dem Beschluß vom 8. November 2002, mit dem der Besetzungseinwand des Angeklagten zurückgewiesen worden war (§§ 222 a und b StPO), gesehen werden, weil dieser Beschluß als Einzelfallregelung jedenfalls nicht für das vorliegende Verfahren Gültigkeit haben könnte.

Ist eine Strafkammer nicht überbesetzt, kann ausnahmsweise trotz des Fehlens eines Mitwirkungsplans nach § 21 g GVG das Gebot des gesetzlichen Richters nicht verletzt sein. Das gilt aber nicht, wenn die Strafkammer in reduzierter Besetzung nach § 76 Abs. 2 GVG verhandelt. Für diesen Fall bedarf es einer strafkammerinternen Geschäftsverteilung dahingehend, welcher Richter nicht an der Hauptverhandlung teilnimmt (BVerfG - Kammer-Beschluß vom 3. Mai 2004 - 2 BvR 1825/02; BGH NJW 2000, 371 m. Anm. Katholnigg JR 2000,166 ff.). Eine solche Regelung fehlt aber für das Jahr 2002.

Die Sache muß deshalb neu verhandelt werden.

Ende der Entscheidung

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