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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.09.2007
Aktenzeichen: 2 StR 390/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StGB § 184 f Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 390/07

vom 21. September 2007

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. September 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 2. Mai 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht ankommt.

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Rechtsfehler auf.

a) Zutreffend hat die Revision darauf hingewiesen, dass die Beurteilung des Wahrheitsgehalts der sich entgegenstehenden Schilderungen des Angeklagten und der Nebenklägerin über Einzelheiten des Ablaufs der Geschehnisse in der Wohnung des Angeklagten aufgrund von Besonderheiten des Falls außergewöhnlich schwierig war. Dass es, nachdem die zum Vorfallszeitpunkt 16-jährige Nebenklägerin den ihr zuvor unbekannten Angeklagten in dessen Wohnung begleitet (und sich zu diesem Zweck vor ihrem Lebensgefährten verborgen) hatte, zu sexuellen Handlungen einschließlich einer jedenfalls kurzfristigen Beischlafshandlung gekommen ist, war nach den Urteilsfeststellungen letztlich unstreitig: Der Angeklagte hat eingeräumt, die Nebenklägerin zunächst auch an den Handgelenken festgehalten und auf eine Couch gedrückt zu haben, um ihr gegen ihr Sträuben einen - flüchtigen - Kuss zu geben und seine Hände um ihre Taille zu legen. Ob auch das nachfolgende Entkleiden der Nebenklägerin und die Beischlafshandlung gegen den - für den Angeklagten erkennbaren - Willen der Nebenklägerin erfolgten und mit Gewalt erzwungen wurden, ist dagegen von den Beteiligten widersprüchlich geschildert worden.

Die Beweislage war, wie das Landgericht im Grundsatz nicht verkannt hat, durch einige Besonderheiten geprägt: Die Nebenklägerin, die das Landgericht als "naiv" und "reifeverzögert" charakterisiert (UA S. 6) und der es eine "äußerst schwache kognitive Begabung" (UA S. 18) zuschreibt, hatte zunächst ein ungewöhnliches und vom Landgericht zutreffend als "ambivalent" bezeichnetes Verhalten gezeigt, als sie den ihr zuvor unbekannten Angeklagten, der sie auf der Straße ansprach, zu einem Spaziergang und dann in seine Wohnung begleitete und dort auch verblieb, als sie bemerkte, dass seine Ehefrau entgegen seinen vorherigen Angaben nicht anwesend war. Nach den Geschehnissen in der Wohnung des Angeklagten hatte sie sich von diesem nach Hause fahren lassen. Den Ablauf des Geschehens schilderte sie gegenüber ihrem Freund und ihrem Vater, bei der Anzeigeerstattung, zwei polizeilichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung in jeweils unterschiedlichen Varianten. Zunächst berichtete sie, sie sei gewaltsam entführt und geschlagen worden; einen Geschlechtsverkehr bestritt sie. Bei einer späteren Vernehmung schilderte sie in Einzelheiten, wie der Angeklagte sie gewaltsam entkleidet habe. Die - bewusste - Unrichtigkeit dieser Aussagen räumte sie in der jeweils folgenden Vernehmung ein. Körperliche Verletzungen oder Spuren konnten an ihr nicht festgestellt werden; auch ihr Hymen war nicht beschädigt. Soweit das Landgericht eine kleine Hautabschürfung am Hals der Nebenklägerin erwähnt und dem Angeklagten zugerechnet hat, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, durch welche Handlung dieser sie verursacht haben könnte.

Der Angeklagte hat dagegen bei seiner polizeilichen und einer nachfolgenden ermittlungsrichterlichen Vernehmung sowie in der Hauptverhandlung eine - in sich nicht unstimmige - detaillierte Schilderung der Geschehnisse in seiner Wohnung vorgetragen, wonach er das durchweg ambivalente und widersprüchliche Sträuben der Nebenklägerin gegen zunehmend intensive Berührungen durch Drängen und Überreden überwunden und die sexuellen Handlungen letztlich mit ihrer Zustimmung und ohne Einsatz von körperlicher Gewalt erreicht habe.

Bei dieser schwierigen Beweislage war der Tatrichter zu einer besonders sorgfältigen, ins Einzelne gehenden Erörterung und Darlegung der Grundlagen seiner Beweiswürdigung gehalten. Voraussetzung für eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung war hierbei eine vollständige und jeweils zutreffende Erfassung und Bewertung der für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen. Dieser Anforderung genügt das angefochtene Urteil nicht.

b) Als wesentlichen, für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechenden Umstand hat das Landgericht hervorgehoben, "dass die Zeugin wesentliche Teile des Tatkerngeschehens konstant wiedergibt" (UA S. 23). Das trifft, wie sich aus den Urteilsfeststellungen ergibt, ersichtlich nicht zu; im Gegenteil hat die Nebenklägerin gerade Vorgänge des "Tatkerngeschehens" mehrfach abweichend und dabei teilweise vorsätzlich falsch geschildert. So können etwa die widersprüchlichen Schilderungen einer Masturbation des Angeklagten (UA S. 22) oder eines Beischlafs (UA S. 23) schlechterdings nicht als "konstant" bezeichnet werden; ebenso wenig die sich gegenseitig ausschließenden Schilderungen des entweder gewaltsamen oder ohne Gewalt vorgenommenen Entkleidens.

Soweit das Landgericht die Widersprüche damit erklärt hat, der Nebenklägerin fehle "die Fähigkeit, das tatsächlich Erlebte zusammenhängend und logisch darzustellen" (UA S. 23), übersieht diese Erklärung, dass die detaillierten Schilderungen der Zeugin jeweils für sich durchaus "zusammenhängend und logisch" waren; offen blieb vielmehr, welche Version das "tatsächlich Erlebte" beschrieb.

Schon diese unzutreffende Bewertung des vom Tatrichter selbst als wesentlich angesehenen Glaubhaftigkeitskriteriums der Konstanz führt zur Fehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung insgesamt, so dass es auf die Einwendungen der Revision gegen die vom Landgericht herangezogenen Erfahrungssätze der "Lebenserfahrung" (UA S. 25 f.) nicht ankommt. Von dem Fehler beeinflusst ist überdies möglicherweise auch die Bewertung anderer Beweisanzeichen. So kann die Erwägung, die Nebenklägerin habe "frei von Belastungseifer" ausgesagt (UA S. 20), mit ihrem teilweise den Angeklagten bewusst falsch belastenden Aussagen nur auf der Grundlage der unzutreffenden Ansicht des Landgerichts vereinbart werden, diese Abweichungen beträfen nicht das Tatkerngeschehen. 0 c) Konstant geschildert hat die Nebenklägerin nach den Urteilsfeststellungen letztlich nur die Unfreiwilligkeit der sexuellen Handlungen. Entgegen der Annahme des Landgerichts wurde diese Behauptung aber nicht schon durch die Einlassung des Angeklagten gestützt, er habe die Zeugin zunächst an den Handgelenken festgehalten und auf eine Couch gedrückt, um sie zu küssen. Nach der Einlassung des Angeklagten wurden nämlich durch diese Nötigung keine sexuellen Handlungen im Sinne von § 184 f Nr. 1 StGB erzwungen; die nachfolgenden sexuellen Handlungen hat er als einverständlich geschildert. Daher findet die Erwägung des Landgerichts, wenn der Angeklagte einräume, die Nebenklägerin beim Versuch, sie zu küssen, festgehalten zu haben, so könne daraus "nur der Schluss gezogen werden, dass auch seine nachfolgenden sexuellen Handlungen gegen den Willen der Zeugin erfolgt sind, weshalb die Angaben der Zeugin der Wahrheit entsprechen" (UA S. 27), in den vom Tatrichter dargelegten Beweisanzeichen keine ausreichende Grundlage.

2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter ohne die genannten Rechtsfehler zu einer anderen Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin gelangt wäre.

Ob die Besonderheiten des Falls unter Umständen Anlass auch zur Zuziehung eines Sachverständigen geben können, wird der neue Tatrichter auf der Grundlage einer sorgfältigen Prüfung aller Beweisanzeichen zu entscheiden haben. Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich eine solche Notwendigkeit allerdings nicht schon ohne Weiteres aus dem Umstand der Beweissituation "Aussage gegen Aussage".

Ende der Entscheidung

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