Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.10.2004
Aktenzeichen: 2 StR 391/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StGB § 24 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 391/04

vom 8. Oktober 2004

in der Strafsache

gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2004 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 28. Juni 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag und wegen versuchter Nötigung unter Einbeziehung einer früher verhängten Jugendstrafe zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision führt, über den Antrag des Generalbundesanwalts hinaus, zur Aufhebung des Urteils insgesamt.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der intellektuell minderbegabte, zu Impulsivität und Aggression neigende Angeklagte mit seiner Schwester in der Wohnung seiner Mutter in einen heftigen Streit, weil er unberechtigt einen der Schwester gehörenden Geldbetrag von 40 Euro weggenommen und für eigene Zwecke verbraucht hatte. Nach gegenseitigen heftigen Beschimpfungen und Beleidigungen kündigte die Geschädigte an, sie werde die Polizei informieren. Hierauf drohte der Angeklagte, er werde sie "umbringen", wenn sie dies tue. Als sie gleichwohl bei der Polizei anrief, geriet der Angeklagte weiter in Wut und versetzte ihr einen heftigen Tritt gegen den Oberschenkel. Die Geschädigte trat ihn daraufhin in die Genitalien. Der Angeklagte "sah rot", ergriff eine Kurzhantel von 3,5 kg Gewicht, erhob sie über den Kopf und schlug damit in Richtung des Kopfes seiner am Küchentisch sitzenden Schwester. Weil diese mit dem Oberkörper zurückwich, verfehlte er sie um etwa 20 cm; die Hantelscheiben lösten sich und die Hantel fiel auf den Boden. Der Angeklagte hob sie auf und schlug damit voller Wut auf den Küchentisch. Dann zog ihn seine Mutter von der Geschädigten weg.

Zum Tötungsvorsatz hat das Landgericht ausgeführt (UA S. 12):

"Die Kammer ist auch davon überzeugt, daß der Angeklagte auf den Kopf der Zeugin S. gezielt hat und diese mit dem gezielten Schlag zu Tode bringen wollte ... (Es mag) zutreffend sein, daß ihm ein unmittelbarer Tötungsvorsatz nicht sicher nachzuweisen ist ... Andererseits kann dem Angeklagten nicht widerlegt werden, daß er die Drohung nur in seiner unbändigen Wut geäußert hat und nicht in die Tat umsetzen wollte."

Zu den Vorstellungen des Angeklagten vor und bei dem Schlag auf den Küchentisch enthält das Urteil keine Feststellungen. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe seiner Schwester von Anfang an nur drohen wollen. Die Mutter des Angeklagten hat ausgesagt, der Angeklagte habe geäußert, "bevor er die Zeugin S. umbringe, schlage er erst den Tisch kaputt" (UA S. 11).

2. Auf dieser Grundlage hält der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags rechtlicher Prüfung nicht stand.

Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, mangelt es schon an einer widerspruchsfreien Feststellung des Tötungsvorsatzes. Die Ausführungen, der Angeklagte habe seine Schwester mit einem gezielten Schlag zu Tode bringen wollen, es sei aber nicht auszuschließen, daß er die Drohung nicht in die Tat umsetzen wollte, sind miteinander nicht vereinbar. Den Widerspruch hat der Tatrichter im Urteil nicht erklärt oder aufgelöst, so daß das Revisionsgericht insoweit auf Spekulationen darüber angewiesen wäre, ob die genannten Ausführungen möglicherweise auf die Abgrenzung zwischen direktem und bedingtem Vorsatz abzielen.

Selbst wenn ein bedingter Tötungsvorsatz rechtsfehlerfrei festgestellt wäre, mußte sich dem Tatrichter hier die Prüfung eines strafbefreienden Rücktritts gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB aufdrängen. Nach dem ersten Schlag war der Versuch offensichtlich unbeendet; ein Fehlschlag lag ersichtlich nicht vor, denn der Angeklagte konnte das auf den Boden gefallene Werkzeug aufheben und wiederum zuschlagen. Wenn er, statt erneut auf seine Schwester zu zielen, nun vor ihr auf den Tisch schlug, so liegt die Annahme nahe, daß dies unter (freiwilliger) Aufgabe des möglicherweise zuvor gegebenen Tötungsvorsatzes geschah. Der Tatrichter hätte sich hiermit auseinandersetzen müssen.

3. Über den Antrag des Generalbundesanwalts hinaus hebt der Senat das Urteil insgesamt, also auch im Schuldspruch wegen tatmehrheitlicher versuchter Nötigung auf. Zwischen der nötigenden Drohung und den anschließenden Gewalthandlungen besteht hier ein so enger Zusammenhang, daß eine wechselseitige Beeinflussung möglicher abweichender Feststellungen nicht ausgeschlossen werden kann.

Ende der Entscheidung

Zurück