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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.11.2000
Aktenzeichen: 2 StR 431/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO, BtMG


Vorschriften:

StGB § 64
StGB § 64 Abs. 1
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 265
BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1
BtMG § 35
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 431/00

vom

15. November 2000

in der Strafsache

gegen

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 3 auf dessen Antrag, am 15. November 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 12. Juli 2000

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte schuldig ist des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall unter Mitführung eines Gegenstands, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 224 Fällen, davon in 70 Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Veräußerung von Betäubungsmitteln;

b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

aa) soweit der Angeklagte in den Fällen 155 bis 224 zu Einzelstrafen von jeweils vier Monaten verurteilt wurde

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe von zwei Jahren

cc) soweit von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 73 Fällen, davon in 70 Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 154 Fällen unter Einbeziehung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von fünf Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall unter Mitführung eines Gegenstands, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Von der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB hat das Landgericht abgesehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung wegen 70 Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in den Fällen 155 bis 224 kann nicht bestehen bleiben. Nach den Feststellungen des Landgerichts tauschte der Angeklagte in diesen Fällen jeweils 1 g Kokain bei dem Zeugen F. gegen ein 1 g Heroin zum Eigenverbrauch ein, weil er Heroin bevorzugte. In weiteren 120 Fällen kaufte er bei dem Zeugen F. 0,5 oder 1 g Heroin, jeweils zum Grammpreis von 100,-- DM. Soweit er in 34 Fällen wegen des Erwerbs von Kokain verurteilt wurde, hat er nach den Urteilsfeststellungen für 1 g Kokain jeweils 120,-- DM bezahlt.

Das Landgericht hat den Tausch von Kokain gegen Heroin jeweils als unerlaubtes Handeltreiben in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb angesehen. Das ist rechtsfehlerhaft, weil der Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG als ungeschriebenes Merkmal ein Handeln aus Eigennutz voraussetzt; dies ist hier nicht festgestellt. Der Angeklagte gab das Kokain allenfalls zum Selbstkostenpreis an seinen Heroinlieferanten F. zum Zweck des Tauschs weiter; die Urteilsfeststellungen legen nahe, daß angesichts der Preisunterschiede von Heroin und Kokain der Tausch sogar unter dem Selbstkostenpreis erfolgte. Einen über den entgeltlichen Erwerb des Heroins hinausgehenden wirtschaftlichen Nutzen strebte der Angeklagte nicht an. Der unerlaubte Erwerb (von Heroin) steht daher in diesen Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Veräußerung (von Kokain) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG (vgl. BGH NJW 1991, 306; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 15; Urt. vom 23. April 1992 - 4 StR 146/92; Körner, BtMG 4. Aufl. § 29 Rdn. 670). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders hätte verteidigen können.

2. Die Einzelstrafen in den Fällen 155 bis 224 können nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat hier auf Einzelfreiheitsstrafen von jeweils vier Monaten erkannt; in den Fällen 1 bis 154, in denen der Angeklagte (nur) wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilt wurde, sind Freiheitsstrafen von jeweils zwei Monaten verhängt worden. Im Hinblick auf den höheren Unrechtsgehalt des Handeltreibens gegenüber der (gleichfalls entgeltlichen, aber ohne Eigennutz erfolgenden) Veräußerung von Betäubungsmitteln ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei zutreffender Beurteilung zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre. Der Senat kann ausschließen, daß sich der Rechtsfehler auf die Bemessung der übrigen Einzelstrafen ausgewirkt hat.

Da die Taten 155 bis 224 sämtlich in der Zeit vor dem Urteil des Amtsgerichts Worms vom 13. April 1999 begangen wurden, dem das Landgericht zutreffend eine Zäsurwirkung beigemessen hat, war nur die unter Einbeziehung der Strafe aus dieser Verurteilung gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren aufzuheben. Daß die Bemessung der für die nach dem 13. April 1999 begangenen Verbrechen nach §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verhängten weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten von dem Rechtsfehler beeinflußt sein könnte, kann der Senat ausschließen.

3. Die Erwägungen, aus welchen das Landgericht von der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB abgesehen hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach den Urteilsfeststellungen konsumierte der Angeklagte seit 1991 Haschisch und Amphetamin, später auch Kokain, ab Ende 1998 täglich Heroin. Es besteht eine mindestens psychische Abhängigkeit; nach seiner Festnahme litt der Angeklagte überdies unter körperlichen Entzugserscheinungen. Der Angeklagte wurde 1997 und 1998 jeweils unter anderem wegen Betäubungsmitteldelikten verurteilt; die hier abgeurteilten Taten beging er überwiegend zur Sicherung seines Eigenverbrauchs. Das Landgericht hat das Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 64 Abs. 1 StGB bejaht, jedoch angenommen, hieraus ergebe sich die Gefahr der Begehung künftiger Straftaten nicht. Dies hat das Landgericht auf die Erwägung gestützt, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten in seiner Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen; er werde daher auch bei Fortbestehen seiner Sucht in der Lage sein, künftige Straftaten zu vermeiden, und sich gegebenenfalls einer freiwilligen Drogentherapie unterziehen können.

Diese Erwägungen tragen das Absehen von der Anordnung der Maßregel nicht. Der vielfach wegen Gewaltdelikten und Betäubungsmittel-Straftaten vorbestrafte Angeklagte hat seit Entwicklung seiner Heroinsucht im Jahre 1998 in schneller Folge eine Vielzahl von Straftaten begangen, die unmittelbar auf seine Abhängigkeit zurückzuführen sind und deren krimineller Gehalt sich stetig steigerte. Aufgrund der Feststellungen des Landgerichts drängt sich die Annahme auf, daß er bei Fortbestehen seiner Sucht auch zukünftig Straftaten von erheblichem Gewicht begehen wird, um seinen eigenen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren. Daß er bei Begehung der abgeurteilten Taten voll schuldfähig war, steht dem nicht entgegen; vielmehr zeigen gerade diese Taten, daß der Angeklagte trotz voll erhaltener Steuerungsfähigkeit immer wieder geneigt ist, zur Finanzierung seiner Sucht auch Straftaten erheblichen Gewichts zu begehen. Die Möglichkeit einer freiwilligen Therapie nach § 35 BtMG steht der Anordnung der Maßregel nicht entgegen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 64 Rdn. 8 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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