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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.12.2006
Aktenzeichen: 2 StR 434/06
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 1
StGB § 176 Abs. 3 Nr. 2
StGB § 176 Abs. 4 Satz 2 n.F.
StGB § 176 Abs. 5 Nr. 2
StGB § 176 a Abs. 2
StGB § 180 Abs. 3
StGB § 184 Abs. 3
StGB § 184 Abs. 5
StGB § 176
StGB § 176 a
StGB § 176 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 434/06

vom 1. Dezember 2006

in der Strafsache

gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1. Dezember 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 28. März 2006 aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II 4 und 5 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist.

Insoweit wird der Angeklagte freigesprochen.

Im Umfang des Freispruchs fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.

b) im Ausspruch über die den Angeklagten G. betreffende Gesamtfreiheitsstrafe.

2. Zur Bildung einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten

- wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und davon in einem Fall auch in Tateinheit mit Förderung von sexuellen Handlungen Minderjähriger sowie

- wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 18 Fällen

zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 a Abs. 2 i.V.m. § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG) in den Fällen II 4 und 5 hat keinen Bestand, weil der Angeklagte die Nebenklägerin Elisabeth S. in diesen Fällen nicht dazu bestimmt hat, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen.

Das Landgericht hat hierzu festgestellt:

Der Angeklagte forderte an zwei nicht mehr exakt festzustellenden Tagen im Herbst 2000 das damals 13-jährige Kind Elisabeth auf, sich nackt auf das Bett zu legen und die Beine zu spreizen. Sodann fertigte er von dem Kind jeweils mindestens ein Foto in der Absicht, diese kinderpornografischen Bilder für eine spätere Verbreitung vorrätig zu halten.

Der Angeklagte hat die kindliche Nebenklägerin danach zwar dazu bestimmt, vor ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, denn das Posieren der Nebenklägerin, um ihre Genitalien unbedeckt zur Schau zu stellen, ist eine - nicht unerhebliche (§ 184 f Nr. 1 StGB) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (vgl. BGHSt 50, 370, 371; 43, 366, 368). Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verbundenen sexuellen Handlung wird aber von dem Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes nicht erfasst. Im Gegensatz zu § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der Fassung des 4. Strafrechtsreformgesetzes, der das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme sexueller Handlungen "vor" dem Täter unter Strafe stellte (BGHSt 50, 370, 371; 43, 366, 368 m.w.N.), demgemäß auch die hier festgestellten Handlungen des Angeklagten erfasste, setzt § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes - ebenso wie § 176 Abs. 4 Satz 2 StGB n.F. - voraus, dass der Täter ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen "an sich" vornimmt.

Die Neufassung des Tatbestands durch das 6. Strafrechtsreformgesetz sollte den Anwendungsbereich über die bis dahin geregelten Fälle hinaus allgemein auf sexuelle Handlungen erstrecken, die das Kind an sich vornimmt, und damit auch den "Verbalerotiker" erfassen, der Kinder telefonisch zu derartigen Manipulationen veranlasst. Dies hat aber zugleich zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs geführt. Erfasst werden nach dem Wortlaut des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes, wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, nur sexuelle Handlungen, die ein Kind an, also nicht lediglich mit seinem Körper vornimmt. Nur wer mit Berührungen verbundene Manipulationen am eigenen Körper vornimmt, nimmt eine Handlung an sich selbst vor (BGHSt 50, 370, 371 f. m.w.N.).

Damit scheidet eine Verurteilung des Angeklagten nach § 176 a Abs. 2 i.V.m. § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes aus.

2. Der Angeklagte hat auch den Tatbestand des § 184 Absatz 3 oder Absatz 5 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes nicht erfüllt. Diese Vorschriften setzen voraus, dass die pornografischen Schriften den sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne der §§ 176 bis 176 b StGB zum Gegenstand haben (vgl. BGHSt 50, 370, 372; 43, 366, 368; 45, 41, 42 f.). Das ist hier jedoch - wie dargelegt - nicht der Fall.

Der Tatbestand des § 180 Abs. 3 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes ist deshalb nicht erfüllt, weil der Angeklagte die Nebenklägerin nicht dazu bestimmt hat, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen. Der Angeklagte als Täter ist nicht Dritter im Sinne dieses Tatbestands.

Schließlich erfüllt das Verhalten des Angeklagten auch nicht den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB), weil nach dem festgestellten Sachverhalt der Angeklagte die Nebenklägerin nicht dazu bestimmt hat, die sexuellen Handlungen vor ihm vorzunehmen, um sich oder die schutzbefohlene Nebenklägerin hierdurch sexuell zu erregen. Es ging vielmehr ausschließlich darum, die pornografischen Fotos herzustellen, um sie gewinnbringend zu verwerten und dadurch die finanziellen Probleme des Angeklagten und der mitangeklagten Mutter der Nebenklägerin zu lösen.

3. Der Senat spricht den Angeklagten in den Fällen II 4 und 5 selbst frei, weil auszuschließen ist, dass in einer erneuten Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die insoweit eine Strafbarkeit des Angeklagten begründen könnten. Damit entfallen auch die beiden zugehörigen Einzelfreiheitsstrafen. Die übrigen Einzelfreiheitsstrafen können bestehen bleiben, weil sie von der fehlerhaften Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II 4 und 5 nicht betroffen sind. Die Gesamtfreiheitsstrafe kann jedoch nach der Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II 4 und 5 keinen Bestand haben und muss deshalb von einem anderen Tatrichter neu bemessen werden.

Ende der Entscheidung

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