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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.03.2005
Aktenzeichen: 2 StR 435/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 26 a
StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 435/04

vom 23. März 2005

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. März 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 16. April 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war der Angeklagte seit Ende des Jahres 2000 mit dem späteren Tatopfer, der zwölf Jahre jüngeren K. , liiert. Die Beziehung war wechselhaft. Frau K. war einerseits sehr verliebt in den Angeklagten, andererseits gegenüber dem besitzergreifenden und unkontrolliert eifersüchtigen Angeklagten auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Infolgedessen kam es wiederholt zu heftigem Streit und Trennungsszenen mit Selbstmorddrohungen des Angeklagten, in einem Fall auch zu massiven Tätlichkeiten gegen Frau K. . Nach diesem Vorfall entschloß sich Frau K. nach reiflicher Überlegung im Mai 2001, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Frau K. trennte sich mehrmals vom Angeklagten, die Beziehung wurde aber jeweils wieder aufgenommen. Ende August 2002 entschloß sich Frau K. endgültig zur Trennung, was der Angeklagte nicht akzeptierte.

Zum eigentlichen Tatgeschehen geht das Landgericht davon aus, daß der Angeklagte Frau K. am Abend des 9. September 2002 vor ihrer Wohnungstür auflauerte und sich in die Wohnung drängte, als sie den Müll rausbringen wollte. Nach einem etwa einstündigen Gespräch verlangte der Angeklagte von Frau K. , mit ihm zu schlafen. Frau K. versuchte, ins Schlafzimmer zu flüchten, um die Polizei anzurufen. Der Angeklagte folgte ihr und warf sie aufs Bett. Unter der Drohung, sie umzubringen, vollzog er etwa fünf bis zehn Minuten lang den Geschlechtsverkehr. Als Frau K. versuchte, sich aus dem Bett zu winden, warf sie der Angeklagte zurück und würgte sie mit beiden Händen. Er schlug sie rechts und links ins Gesicht und drückte ihr ein Kopfkissen auf das Gesicht, bis sie fast bewußtlos wurde. Anschließend vollzog er ein weiteres Mal für fünf bis zehn Minuten den Geschlechtsverkehr und befriedigte sich anschließend bis zum Samenerguß selbst. Nach der Tat setzte sich der Angeklagte ins Wohnzimmer und rauchte. Frau K. rief die Polizei an, die den Angeklagten unter Einsatz von Reizgas und Handschellen abführte.

Frau K. erstattete anläßlich des Polizeieinsatzes Strafanzeige wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruchs; die Vergewaltigung erwähnte sie nicht. Die Polizeibeamtin W. konnte keine Verletzungsspuren an Frau K. erkennen. Frau K. säuberte sodann ihre Wohnung, warf ihren vom Angeklagten zerrissenen Slip und zwei benutzte Kondome weg und duschte lange Zeit; anschließend rief sie verschiedene Bekannte an, denen sie andeutungsweise über das Geschehene berichtete; ihrer Mutter erzählte sie gegen Morgen unter Angabe von Einzelheiten von einer vollendeten Vergewaltigung. Ihre Mutter sah am Abend des 10. September 2002 Schwellungen im Gesicht und blaue Flecken an den Innenseiten ihrer Oberschenkel; bei einem Vorstellungsgespräch am 11. September 2002 war Frau K. nicht mehr erkennbar von den Mißhandlungen gezeichnet. Bei der Polizei zeigte sie die Tat erst am 23. September 2002 an. Am 29. November 2002 um 19.15 Uhr rief Frau K. bei der Notrufstelle des Polizeipräsidiums Kö. an und gab an, daß der Angeklagte sie vor ihrem Haus bedrohe und belästige.

Der Angeklagte hat die Vergewaltigung und die Körperverletzung bestritten. Er habe Frau K. am Abend des 9. September 2002 aufgesucht, weil sie gegenüber seinem Freund H. telefonisch behauptet habe, er habe sie in den Bauch getreten, damit sie ihr Kind verliere. Er habe sie zur Rede stellen und sich von ihr trennen wollen. Aufgrund der bei einem Verkehrsunfall am 14. Oktober 2001 am Knie erlittenen Verletzungen sei er körperlich gar nicht in der Lage gewesen, in der von der Geschädigten geschilderten Weise über ihr zu knien und den Geschlechtsverkehr auszuführen. Am Abend des 29. November 2002 habe er sich nicht in Kö. aufgehalten.

Das Landgericht ist der Aussage der Geschädigten zum Tatgeschehen trotz Unklarheiten und Unwahrheiten bei ihren Angaben zum Tatvor- und Tatnachgeschehen gefolgt, weil es die Tatschilderung für ganz überwiegend konstant, widerspruchsfrei und plausibel hält (UA S. 93). Die Säuberung der Wohnung und die verspätete Anzeigenerstattung seien auf die tatbedingte psychische Ausnahmesituation der Zeugin zurückzuführen. Mehrere Punkte, in denen die Angaben der Geschädigten K. und des Angeklagten voneinander abwichen, u. a. ob sich Frau K. im September 2001 selbst Schnittverletzungen zufügte, ob sie die von ihr bestrittene Behauptung gegenüber H. - Tritt des Angeklagten in ihren Bauch - aufgestellt hat und ob es zu dem Vorfall vom 29. November 2002 gekommen ist, hat die Strafkammer ausdrücklich offen gelassen. Einem vom Angeklagten benannten Alibizeugen für den frühen Abend des 29. November 2002 hat die Kammer nicht geglaubt. Das Landgericht sieht als Grund für eine mögliche nachträgliche Belastungstendenz der Geschädigten, die zu unwahren Angaben bezüglich des Vorfalls vom 29. November 2002 geführt haben könnte, daß der Angeklagte sie massiv unter Druck gesetzt habe, die Anzeige zurückzunehmen. Es meint, auch wenn die Geschädigte insoweit die Unwahrheit gesagt haben sollte, beeinträchtige das nicht ihre Glaubhaftigkeit zum Kerngeschehen.

2. Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts Lücken und Ungenauigkeiten enthält und deshalb rechtlicher Prüfung nicht stand hält.

Das Landgericht hat zur konkreten Ausführung des Geschlechtsverkehrs festgestellt, daß sich der Angeklagte über Frau K. befand, die auf dem Rücken lag, und sich gegen ihren Widerstand zwischen ihre Beine drängte (UA S. 25). Im zweiten Tatabschnitt setzte sich der Angeklagte dann im Bereich ihres Unterleibs bzw. der Beine auf sie (UA S. 26). Weiter heißt es auf UA S. 106 f. mit Blick auf mehrere Beweisanträge zum körperlichen Zustand des Angeklagten zum Tatzeitpunkt und der Tatschilderung der Geschädigten: "Das Tatgeschehen ist von der Zeugin K. soweit konkretisiert worden, wie es vom Opfer einer Vergewaltigung erwartet werden kann. Wenn der Angeklagte unter Hinweis auf seine Knieverletzung und die Knieoperation sowie die dabei implantierte Schraube geltend macht, er habe entgegen der Darstellung der Zeugin K. den Geschlechtsverkehr nicht im Knien ausüben können, steht dies den getroffenen Feststellungen nicht entgegen. Diese stützen sich auf eine Gesamtschau aller Beweismittel einschließlich der Indizien, die die von der Zeugin K. bestätigte Vergewaltigungshandlung zusätzlich stützen. Der Angeklagte war danach in der Lage, den Geschlechtsverkehr mit der Zeugin zu erzwingen. Dass angesichts der eingeschränkten Beugungs- und Belastungsfähigkeit seines Knies bestimmte Körperhaltungen bzw. Positionen für ihn mit großen Schmerzen verbunden gewesen wären, wird von der Kammer nicht verkannt. Insoweit bedarf es keiner ärztlichen Begutachtung. Denn es ist davon auszugehen, dass der Angeklagte sich im Rahmen seiner körperlichen Möglichkeiten verhalten hat, als er den Geschlechtsverkehr mit der Zeugin K. erzwang. Der Zeugin K. ist insoweit auch nicht entgegen zu halten, dass sie davon gesprochen hat, der Angeklagte habe gekniet und sich zwischen ihre Beine gedrängt. Die Kammer wertet diese Bekundung dahin, dass sich der Angeklagte über der auf dem Rücken liegenden Zeugin befand und gegen ihren Widerstand vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeführt hat. Diese Tatschilderung ist hinreichend konkretisiert. Detailliertere Angaben hat die Zeugin nicht gemacht und konnte sie ersichtlich nicht machen."

Einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Sachverständigen Dr. O. zu den im Rahmen der Exploration gemachten Schilderungen der Zeugin K. zur Körperhaltung des Angeklagten bei der Vergewaltigung hat die Strafkammer mit der Begründung abgelehnt, die Bekundungen der Sachverständigen O. würden als wahr unterstellt.

Diese Ausführungen lassen besorgen, daß die Strafkammer die Angaben der Geschädigten K. zur Körperhaltung des Angeklagten beim Geschlechtsverkehr einseitig zu Lasten des Angeklagten interpretiert hat, um eine Vereinbarkeit der Aussage mit dem körperlichen Zustand des Angeklagten herbeizuführen. Die Zeugin K. hat auch in der Hauptverhandlung davon gesprochen, der Angeklagte habe gekniet und sich zwischen ihre Beine gedrängt, was nach Auffassung der Kammer dem körperlichen Zustand des Angeklagten widersprochen hätte. Die Kammer wertet diese Bekundung sodann dahin, daß sich der Angeklagte über der auf dem Rücken liegenden Zeugin befunden und gegen ihren Widerstand vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeführt habe, ohne darzulegen, was die Zeugin genau ausgesagt hat und wie sie sich gegebenenfalls zu den Einwendungen des Angeklagten geäußert hat. Die Kammer geht im Urteil davon aus, daß eine konkretere Tatschilderung dem Opfer einer Vergewaltigung nicht möglich sei, unterstellt aber als wahr, daß die Sachverständige O. Angaben zu den Aussagen des Tatopfers zur Körperhaltung des Angeklagten während der Vergewaltigung machen werde, ohne den Inhalt dieser Aussage mitzuteilen. Dies läßt vermuten, daß das Tatopfer gegenüber der Sachverständigen konkretere Angaben gemacht hat, als die Kammer im Urteil festgestellt hat.

Sollte die Geschädigte gegenüber der Sachverständigen O. und in der Hauptverhandlung konkretere Angaben gemacht haben, hätte die Kammer sich damit auseinandersetzen müssen, ob diese Angaben zutrafen und ob die vom Angeklagten behaupteten körperlichen Einschränkungen der von der Zeugin geschilderten Position nicht entgegengestanden haben.

Einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den konkreten Angaben der Geschädigten zum eigentlichen Kerngeschehen bedurfte es hier insbesondere deshalb, weil auch die Strafkammer eine mögliche nachträgliche Belastungstendenz nicht ausgeschlossen hat. Die Strafkammer hat hinsichtlich mehrerer Vorfälle vor und nach der Tat offen gelassen, ob die vom Angeklagten in Abrede gestellten Angaben der Geschädigten zutreffen. Sie hat auch von der im Rahmen der Beweiswürdigung wiedergegebenen Aussage der Geschädigten abweichende Feststellungen getroffen, ohne hierfür eine Begründung zu geben. So hat die Zeugin ausgesagt, der Angeklagte sei am Wochenende vom 13./14. Oktober 2001 in ihre Wohnung gekommen und habe sie geohrfeigt und geschubst, so daß sie zu Boden gefallen sei (UA S. 51). Die Kammer hat jedoch festgestellt, daß sich der Angeklagte an diesem Wochenende mit der befreundeten Familie H. an der Mosel aufgehalten und auf dem Weg zur Geschädigten einen Verkehrsunfall erlitten habe (UA S. 15/16). Unter diesen Umständen hätte es einer besonders sorgfältigen Darlegung und Abwägung bedurft, daß eine mögliche nachträgliche Belastungstendenz bei der Geschädigten nicht auch zu einer Verfälschung der Angaben zum eigentlichen Tatgeschehen geführt hat. Dies gilt hier um so mehr, als den für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten sprechenden unabhängigen Indizien, insbesondere den Zeugenaussagen zu ihren Telefonaten nach der Tat und der Aussage ihrer Mutter, Besonderheiten hinsichtlich ihres Anzeigeverhaltens gegenüber stehen.

3. Angesichts der zur Aufhebung führenden Sachrüge bedarf es keines Eingehens auf die Verfahrensrügen. Der Senat verweist insoweit aber vorsorglich auf die zutreffende Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 17. Januar 2005 zu den Verfahrensrügen Nr. 6, 8, 13 bis 15 und 17. Ergänzend bemerkt der Senat, daß die Zurückweisung der Befangenheitsanträge als unzulässig gemäß § 26 a StPO ersichtlich nicht den Vorschriften der Strafprozeßordnung entsprach (vgl. hierzu auch BVerfG StraFo 2005, 109).

Ende der Entscheidung

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