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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.01.2003
Aktenzeichen: 2 StR 443/02
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 258 Abs. 2 | |
StPO § 258 Abs. 3 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 17. Januar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. Januar 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten Ö. wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 7. Mai 2002, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben:
a) im Falle II 36 der Urteilsgründe und
b) im gesamten Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Es hat weiter die Einziehung verschiedener Gegenstände und den Verfall sichergestellter Bargeldbeträge angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner wirksam (vgl. BGHSt 38, 4 ff.) auf den Schuldspruch im Fall II 36 der Urteilsgründe und den gesamten Strafausspruch beschränkten Revision die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der geltend gemachte Verstoß gegen § 258 Abs. 2, 3 StPO führt zur Aufhebung des Urteils im angefochtenen Umfang (§ 349 Abs. 4 StPO). Eines Eingehens auf die weitere Verfahrensrüge und auf die Sachrüge bedarf es daher nicht.
II. Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Nach dem Schlußvortrag des Staatsanwalts plädierten die Verteidiger der drei Angeklagten. Dann hatte der Angeklagte das letzte Wort. Anschließend wurde dem Mitangeklagten R. das letzte Wort gewährt. Daraufhin "replizierte" der Verteidiger des Mitangeklagten O.. Sodann erhielt der Mitangeklagte O. das letzte Wort. Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen und mit der Urteilsverkündung fortgesetzt.
Nach den Ausführungen des Verteidigers des Mitangeklagten O. wurde dem Angeklagten (wie auch dem Mitangeklagten R.) nicht noch einmal das letzte Wort erteilt.
In diesem Vorgehen des Gerichts ist ein Verstoß gegen § 258 Abs. 2, 3 StPO zu sehen. Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob mit der Gestattung der nochmaligen Ausführungen des Verteidigers des Mitangeklagten O. wieder in die Verhandlung eingetreten wurde mit der Folge, daß dem Angeklagten schon deshalb erneut das letzte Wort zu erteilen war, weil nicht auszuschließen ist, daß entscheidungserhebliche Umstände zur Sprache kamen (vgl. dazu BGH StV 1992, 551 ff.). Jedenfalls mußte dem Angeklagten hier - unabhängig von einem Wiedereintritt in die Verhandlung - das letzte Wort noch einmal erteilt werden, weil ihm gemäß § 258 Abs. 3 StPO das Recht zusteht, als Letzter noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen. Das gilt zwar nach der Natur der Sache nicht im Verhältnis zu den Mitangeklagten, wobei aber bedeutsame Ausführungen eines Mitangeklagten in dessen letzten Wort unter Umständen eine prozessuale Pflicht des Gerichts zur Wiedereröffnung der Verhandlung herbeiführen können (vgl. hierzu u.a. Senatsurteil vom 11. Juni 1975 - 2 StR 88/75). Das Recht des Angeklagten, als Letzter noch etwas zu seiner Verteidigung anführen zu können, besteht nicht nur, wenn der Staatsanwalt (vgl. BGH NJW 1976, 1951) oder der Nebenkläger (vgl. BGH, Beschl. v. 17. November 1977 - 2 StR 491/77) erwidert haben, sondern selbst dann, wenn sein Verteidiger für ihn gesprochen hat (vgl. auch BGH, Beschl. v. 4. Dezember 1991 - 3 StR 464/91). Es muß um so mehr gelten, wenn der Verteidiger des Mitangeklagten Ausführungen gemacht hat. Denn die Vorschrift des § 258 Abs. 2, 3 StPO verfolgt den Zweck, dem Angeklagten die Möglichkeit einzuräumen, seine Auffassung noch unmittelbar vor der Beratung und Verkündung des Urteils darlegen zu können (vgl. u.a. BGH NStZ 1993, 551).
Die Entscheidung des Reichsgerichts (vgl. RGSt 57, 265 ff.), wonach dem Angeklagten das letzte Wort nicht noch einmal erteilt werden mußte, nachdem dem Vater des minderjährigen Mitangeklagten das Wort gestattet worden war, steht dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Der dortige Sachverhalt ist mit dem hiesigen im entscheidenden Punkt nicht vergleichbar. Das letzte Wort des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters eines Mitangeklagten entspricht dem letzten Wort eines Mitangeklagten. Insoweit kann der Vorsitzende die Reihenfolge des letzten Wortes bestimmen. Denn anders als Verteidiger haben die Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter nach § 67 Abs. 1 JGG die gleichen Rechte wie die Angeklagten (vgl. BGHSt 21, 288). Bezüglich des Verteidigers, dem kein letztes Wort aus eigenem Recht zusteht (vgl. auch KMR-Stuckenberg, StPO § 258 Rdn. 40), bestimmt demgegenüber § 258 Abs. 3 StPO ausdrücklich, daß der Angeklagte, auch wenn sein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen ist, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung auszuführen habe. Daß dies für Ausführungen des Verteidigers des Mitangeklagten erst recht gelten muß, liegt - unabhängig davon, ob die Angeklagten im Verfahren eine übereinstimmende Verteidigungskonzeption verfolgen (insoweit kann allenfalls die Beruhensfrage tangiert sein) - auf der Hand (vgl. auch Dästner in AK-StPO § 258 Rdn. 25).
Dieses Recht, sich als Letzter äußern zu dürfen, wurde dem Angeklagten hier nicht gewährt, so daß ein Verstoß gegen § 258 Abs. 2, 3 StPO vorliegt.
Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils im angefochtenen Umfang. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß bereits der Schuldspruch im Falle II 36 der Urteilsgründe auf der Nichterteilung des letzten Wortes beruht. Denn der Angeklagte war zu dieser Tat nicht geständig. Der Senat kann in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt auch nicht ausschließen, daß die Verurteilung im Fall II 36 der Urteilsgründe sich zum Nachteil des Angeklagten auf die Strafzumessung der beiden zeitlich später liegenden Taten ausgewirkt hat. Dies gilt hier um so mehr, als es sich ebenfalls um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz handelt und es naheliegt, daß die Bemessung der Einzelstrafen aufeinander abgestimmt wurde.
Ende der Entscheidung
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