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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.12.1998
Aktenzeichen: 2 StR 445/98
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 | |
StPO § 264 | |
StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
16. Dezember 1998
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Dezember 1998, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Jähnke,
die Richter am Bundesgerichtshof Niemöller, Detter, Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung und bei der Verkündung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 18. Februar 1998 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen (betreffend das Kind T.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf zweier weiterer Mißbrauchstaten (betreffend das Kind E. ) hat es ihn freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Landgericht sei seiner Pflicht zur erschöpfenden Aburteilung der von der Anklage umfaßten Taten (§ 264 StPO) nicht nachgekommen, und rügt Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
II.
1. Die unverändert zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten - außer den beiden abgeurteilten, im März 1994 an T. begangenen Taten - zur Last gelegt, sich in der Zeit zwischen dem 5. und 16. April 1993 auch zweimal an dem seinerzeit zehn Jahre alten E. vergangen zu haben. Der Anklagesatz beschreibt diese Tatvorwürfe wie folgt: Während der Schulferien, die das Kind in der Wohnung seiner Großmutter und ihres Lebensgefährten, des Angeschuldigten, verbracht habe, sei dieser einmal morgens im Schlafanzug zur Matratze des Jungen gegangen, habe die Hosen bis zu den Knien herabgezogen, sich zu ihm gelegt, sein Geschlechtsteil an Fuß und Bein des Kindes gerieben und auf dessen Bein ejakuliert; ein andermal habe er im Wohnzimmer auf der Couch das Kind auf den Schoß genommen, den Hosenlatz geöffnet, sein Geschlechtsteil hervorgeholt und es bis zum Samenerguß am Körper des Jungen gerieben.
2. Von diesem Anklagevorwurf hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, nachdem es zu dem Ergebnis gelangt war, daß die von E. glaubhaft geschilderten Taten sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vor dem "angeklagten Tatzeitraum" ereignet hätten, ohne daß festzustellen gewesen sei, wann. E. sei nach den übereinstimmenden Aussagen seiner Mutter und Großmutter zwar öfter wochenends und in den Schulferien bei dem Angeklagten und dessen Lebensgefährtin gewesen, nicht aber in den Osterferien 1993 und ebensowenig im Jahre 1994; auch die Sommerferien 1993 kämen als Tatzeitraum nicht in Betracht, da der Angeklagte damals nach einer Operation im Krankenhaus und in Kur gewesen sei.
III.
Der Teilfreispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Zu Unrecht meint die Beschwerdeführerin, das Landgericht habe seiner Pflicht, den Anklagevorwurf in vollem Umfang zum Gegenstand seiner Untersuchung und Entscheidung zu machen, nicht genügt und daher gegen § 264 StPO verstoßen. Dies trifft nicht zu, weil das Gericht den Angeklagten vom Vorwurf, sich an dem Kind E. sexuell vergangen zu haben, freigesprochen, also auch über diesen Teil der Anklage sachlich entschieden hat; die Anklage war damit erschöpft.
2. Der Revisionsangriff geht jedoch in der Sache über die Behauptung eines Verstoßes gegen § 264 StPO hinaus: Die Beschwerdeführerin rügt erklärtermaßen auch und vor allem, der Teilfreispruch sei inhaltlich rechtsfehlerhaft; daß nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung die Mißbrauchstaten zum Nachteil des Kindes E. nicht in den von der Anklage bezeichneten Tatzeitraum fielen und sich auch sonst zeitlich nicht näher einordnen ließen, hätte das Landgericht nicht daran hindern dürfen, den Angeklagten auch wegen dieser Taten zu verurteilen.
Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet. Die Mißbrauchshandlungen, die E. als solche glaubhaft geschildert hatte, waren so, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellten, nicht genügend bestimmt, um den Gegenstand einer Verurteilung bilden zu können (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO; vgl. BGH NStZ 1994, 555); denn die Tatzeiten hatten auch nicht annähernd - etwa in der Form einer hinlänglich begrenzten Zeitspanne - festgestellt werden können.
Zwar ist die Feststellung der Tatzeit nicht stets zur Individualisierung der Tat als eines konkreten, von gleichen oder ähnlichen Vorfällen abgrenzbaren Geschehens notwendig; eine Tat kann auch unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Begehung durch andere tatsächliche Merkmale, etwa das Opfer (z. B. bei Tötungsverbrechen), einen einmaligen Taterfolg oder die sie sonst kennzeichnenden Umstände, derart konkretisiert sein, daß Zweifel an ihrer Unterscheidbarkeit von anderen Taten nicht aufkommen können (BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 8 und 19; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 264 Rdn. 26).
So verhielt es sich hier jedoch nicht. Sexueller Mißbrauch von Kindern begegnet innerhalb eines häuslich-familiären Bereichs typischerweise als Mehrzahl von Übergriffen, die sich nicht selten gleichförmig, weil einem bestimmten Handlungsmuster folgend, über längere Zeit hinweg wiederholen. Zur Individualisierung solcher Taten bedarf es daher regelmäßig auch ihrer zeitlichen Einordnung. Dies entspricht den Anforderungen, die bei Serientaten dieser Art schon an die Anklage zu stellen sind; sie muß außer dem Tatopfer, den wesentlichen Grundzügen des Geschehens und der Mindestzahl der Fälle insbesondere einen bestimmten Tatzeitraum angeben (st. Rspr., BGHSt 40, 44, 46; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 14; zuletzt BGH NJW 1998, 3788). Keine geringeren Anforderungen gelten für die Individualisierung der Tat, die sie nach dem Ergebnis der Verhandlung aufweisen muß, um zum Gegenstand einer Verurteilung gemacht werden zu können.
Die beiden Mißbrauchstaten zum Nachteil des Kindes E. erfüllten diese Voraussetzungen nicht. Es wäre anders, stünde zweifelsfrei fest, daß sich der Angeklagte insgesamt nur zweimal an diesem Kind vergangen haben kann; so verhält es sich aber - zieht man den Inhalt der Anklageschrift in Betracht - hier nicht. Ohne Feststellungen zur Tatzeit ließen sich daher die hier in Rede stehenden Taten nicht zuverlässig von weiteren gleichartigen oder ähnlichen Taten des Angeklagten abgrenzen. Die für die Taten in Frage kommende Zeitspanne war dafür zu weit. Wie in den Urteilsgründen mitgeteilt ist, hatte E. einmal angegeben, er sei erstmals im Alter von fünf oder sechs Jahren (also 1987, 1988 oder 1989) vom Angeklagten mißbraucht worden. Das Landgericht führt dazu aus, dies spreche dafür, daß sich die geschilderten Vorfälle möglicherweise "mehrere Jahre vor dem angeklagten Tatzeitraum" abgespielt hätten. Nimmt man E. Geburtstag, an dem er fünf Jahre alt wurde (25. Juli 1987) und den ersten Tag vor Beginn des Anklagezeitraums (4. April 1993) als Begrenzungsdaten, so handelt es sich um eine Zeitspanne von über fünf Jahren und acht Monaten. Bei solcher Weite des in Betracht zu ziehenden Tatzeitraums waren die Taten jedenfalls angesichts möglicher weiterer Verfehlungen gleicher oder ähnlicher Art nicht mehr hinlänglich bestimmt, um abgeurteilt werden zu können.
Das Landgericht hat daher den Angeklagten von diesem Vorwurf zu Recht freigesprochen. Die Revision war demgemäß zu verwerfen.
Ende der Entscheidung
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