Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.05.1999
Aktenzeichen: 2 StR 529/98
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 357
StGB § 21
StGB § 49 Abs. 1
StGB § 64
StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2 aF
StGB § 2 Abs. 3
StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 nF
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 529/98

vom

5. Mai 1999

in der Strafsache

gegen

1.

2.

3.

wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Mai 1999, an der teilgenommen haben:

Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender,

die Richter am Bundesgerichtshof Theune, Detter, Dr. Bode, Rothfuß als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt und Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten B. und Bo. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 12. Mai 1998 - auch soweit es den Angeklagten S. betrifft - in den Rechtsfolgenaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B. und Bo. werden verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat die Angeklagten der schweren räuberischen Erpressung und des Diebstahls schuldig gesprochen. Verurteilt hat es den Angeklagten S. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten und zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, den Angeklagten Bo. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten, den Angeklagten B. unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die gegen alle Angeklagten gerichtete, in ihrer Wirkung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die Revisionen der Angeklagten B. und Bo. .

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat vollen Erfolg, die Rechtsmittel der Angeklagten sind teilweise begründet.

II.

Nach den Feststellungen verabredeten die Angeklagten und der anderweitig verfolgte R. , zur Verbesserung ihrer finanziellen Situation und zur Finanzierung ihrer Drogenabhängigkeit und Spielsucht (nur Angeklagter S. ), die Filiale der Kreissparkasse Schlüchtern in Sinntal-Oberzell zu überfallen. Sie entwendeten zunächst einen PKW Ford Sierra, den sie zusammen mit einem angemieteten VW Polo beim geplanten Überfall verwenden wollten. "Nach einer weitgehend schlaflosen Nacht und der nachfolgenden Einnahme von Drogen, S. mindestens 1 g Speed, B. und Bo. mindestens jeweils 3 g Kokain" überfielen sie dann am 20. November 1997 die Bank, wobei sie circa 63.000 DM erbeuteten. Ob die von den Angeklagten bei dem Überfall verwendeten Waffen funktionsfähig bzw. geladen waren, konnte das Landgericht nicht feststellen.

Die Strafkammer hat für alle Angeklagten die Voraussetzungen erheblich verminderter Schuldfähigkeit bejaht und die Strafrahmen nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Beim Angeklagten S. ist sie in Übereinstimmung mit einem in der Hauptverhandlung vernommenen Sachverständigen bei beiden Taten von nicht auszuschließender Drogenabhängigkeit sowie Spielsucht und einer dadurch verursachten erheblich verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen. Entgegen den Ausführungen des Sachverständigen hat die Strafkammer auch bei den Angeklagten B. und Bo. eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen, da sie bei der Begehung der Taten "unter Drogeneinfluß standen und sie zudem in der Nacht vor dem Raubüberfall kaum geschlafen hätten".

III.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet.

Bei allen Angeklagten hält die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Soweit das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB im Hinblick auf die "akute euphorische Wirkung der konsumierten Drogen in Verbindung mit dem Schlafmangel" als gegeben ansieht, hat es nicht beachtet, daß die Drogen erst eingenommen wurden, als die Angeklagten zur Begehung des Raubüberfalls entschlossen waren. Eine Einschränkung der Verantwortlichkeit zur Tatzeit wäre dann aber nach den Grundsätzen der actio libera in causa (vgl. dazu Tröndle/ Fischer StGB 49. Aufl. § 20 Rdn. 18 ff.; Detter in Blutalkohol 1999, 3 ff, 13/14 m.w.N.) ohne Bedeutung, da die Angeklagten durch die Verabredung und Planung der später ausgeführten Straftat in uneingeschränkt schuldfähigem Zustand die entscheidende Ursache für die Ausführung gesetzt haben (vgl. BGHSt 21, 381,382; 33, 29, 33).

2. Im übrigen ist die Bejahung erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) auch rechtsfehlerhaft.

a) Zu beanstanden ist schon, daß sich das Landgericht darauf beschränkt, nur das Ergebnis der zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten eingeholten Sachverständigengutachten wiederzugeben. Der Tatrichter ist aber verpflichtet, die wesentlichen Grundlagen mitzuteilen, an die die Schlußfolgerungen des Gutachtens anknüpfen, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen (BGHSt 7, 238 ff.; 12, 311, 314/315; 34, 29, 31; 39, 291, 296 f.; BGHR StPO § 261 - Sachverständiger 5). Der Umfang dieser Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage. Rechtsfehlerhaft teilt die Strafkammer die Anknüpfungspunkte des Sachverständigengutachtens weder hinsichtlich des Angeklagten S. , bei dem der Sachverständige die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht hat, noch hinsichtlich der Angeklagten B. und Bo. , bei denen er sie verneint hat, mit. Sie beschränkt sich in der Begründung lediglich darauf, daß sie beim Angeklagten S. "in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen" von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit ausgeht. Hinsichtlich der Angeklagten B. und Bo. hat das Tatgericht das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit abweichend von dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten entschieden. Daran war es zwar nicht gehindert, es mußte dann aber die maßgeblichen Darlegungen dieses Gutachtens wiedergeben und unter Auseinandersetzung mit ihnen seine Gegenansicht begründen (BGH NStZ 1994, 503; BGHR StPO - Sachverständiger 1 und 5; BGH, Beschl. v. 15. April 1997 - 4 StR 92/97). Auch daran mangelt es.

b) Darüber hinaus ist die Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB auch inhaltlich rechtsfehlerhaft.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Diese kommt nur dann in Betracht, wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuß zu einer Persönlichkeitsveränderung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt. Zu einer erheblichen Verminderung der Hemmungsfähigkeit kann auch die Angst des Drogenabhängigen vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt, führen (BGH NStZ 1989, 17; BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 2, 6, 8 und 12; vgl. Theune NStZ 1997, 57 ff.).

Die Feststellungen belegen bei keinem der Angeklagten ein Erscheinungsbild, aus dem sich solche Kriterien entnehmen lassen könnten.

Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten S. wird auch nicht durch die vom Landgericht bei ihm festgestellte "Spielsucht" gerechtfertigt. "Spielsucht" kann die Voraussetzungen des § 21 StGB nur begründen, wenn der Betroffene psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit aufweist, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind (BGHR StGB § 21 - seelische Abartigkeit 7, 8 - m. Anm. Kröber JR 1989, 380 f - sowie 17; BGH NStZ 1994, 501; StV 1993, 241; 1994, 651; vgl. auch Rasch StV 1991, 126 ff, 129/130; Kellermann NStZ 1996, 335 f.). Entsprechende Feststellungen hat das Landgericht aber nicht getroffen.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist deshalb der Strafausspruch hinsichtlich aller Angeklagter mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Davon erfaßt wird auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten S. in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB, da hier nach den Strafzumessungsgründen eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht (vgl. BGHSt 38, 362,363 m.w.N.).

IV.

Die Rechtsmittel der Angeklagten B. und Bo. sind erfolgreich, soweit sie sich gegen den Strafausspruch hinsichtlich der Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung richten. Im übrigen sind sie im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Das Landgericht hat nicht beachtet, daß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB in der seit 1. April 1998 geltenden Fassung des 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl I 164) gegenüber der angewendeten Regelung des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB aF das mildere Gesetz i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB ist. Nach den Feststellungen ist nicht auszuschließen, daß die beim Überfall verwendeten Waffen nicht funktionsfähig bzw. nicht geladen waren. Bei solchen Waffen handelt es sich dann nicht um gefährliche Werkzeuge im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF (BGHSt 44, 103 ff.; BGH NStZ 1998, 567, 568), so daß nach neuem Recht nur eine schwere räuberische Erpressung im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB gegeben ist mit einer Mindeststrafe - ohne Berücksichtigung einer Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB - von drei Jahren. Das Landgericht ist nach dem zur Tatzeit geltenden Recht, da es - rechtsfehlerfrei - minder schwere Fälle verneint hat, jeweils von einer Mindeststrafe von fünf Jahren ausgegangen. Unter Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB hätte die Strafkammer aber eine Mindeststrafe von drei Jahren gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB nF zugrunde legen müssen.

Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht mildere Strafen verhängt hätte, wenn es von dem zutreffenden Strafrahmen ausgegangen wäre. Die wegen schwerer räuberischer Erpressung verhängten Strafen müssen deshalb auch zugunsten der Angeklagten B. und Bo. aufgehoben werden. Keinen Erfolg hat deren Revision aber hinsichtlich der wegen Diebstahl verhängten Einzelstrafen (jeweils sechs Monate), da auszuschließen ist, daß diese von den aufgehobenen Strafen zu Lasten der Angeklagten beeinflußt sind.

V.

Auch die gegen den Angeklagten S. , der keine Revision eingelegt hat, wegen schwerer räuberischer Erpressung verhängte Einzelstrafe (sieben Jahre und drei Monate), ist zu seinen Gunsten aufzuheben, da der gleiche Rechtsfehler den zugrundegelegten Strafrahmen zu seinen Lasten beeinflußt hat (§ 357 StPO).

Ende der Entscheidung

Zurück