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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 06.03.2002
Aktenzeichen: 2 StR 530/01
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 23 Abs. 2 | |
StGB § 49 Abs. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
6. März 2002
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. März 2002, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 15. August 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat das Verfahren gegen die Angeklagten "wegen eines Verfahrenshindernisses" (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK - rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung) durch Prozeßurteil eingestellt und dem Angeklagten S. eine Entschädigung wegen der erlittenen Untersuchungshaft zugebilligt. Die hiergegen eingelegte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsurteils.
I.
Den Angeklagten wird zur Last gelegt, in wechselnder Beteiligung als Mitglieder einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung räuberischer Erpressungen verbunden hat, Schutzgelderpressungen versucht zu haben. Die Angeklagten sollen als Aktivisten der "Arbeiterpartei Kurdistan" (PKK) in der Zeit von Oktober 1993 bis November 1993 versucht haben, von Landsleuten - unter Hinweis auf drohende Gewaltaktionen der PKK - Gelder zur Finanzierung der Organisation zu erlangen. Den Angeklagten S. und B. wird versuchte schwere räuberische Erpressung in drei Fällen vorgeworfen, dem Angeklagten D. in einem Fall.
II.
Das Landgericht hat zum einen festgestellt, daß im Oktober 1994 die Zustellung der Anklage verfügt wurde, zum anderen daß das Verfahren gegen die früheren Mitangeklagten Y. und T. im Juni 1996 (§ 205 StPO) und gegen G. (§ 153 b Abs. 3 und 4 StPO) sowie O. (§ 154 Abs. 2 StPO) jeweils im Dezember 2000 eingestellt wurde. Eine weitere Förderung des Verfahrens zwischen Oktober 1994 und Eröffnung durch Beschluß vom 10. Juli 2001 sei nicht erkennbar. Die Kammer ist der Auffassung, daß im vorliegenden Verfahren eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliege und damit ein Verfahrenshindernis eingetreten sei. Hierfür sei maßgebend, daß das Verfahren ohne ersichtliches Hindernis fast sieben Jahre lang "praktisch nicht betrieben" worden sei. Die drei Angeklagten hätten sich in dieser Zeit in Deutschland nichts weiter zuschulden kommen lassen. Es handele sich bei ihnen auch nicht um die "Haupttäter", gegen die das Verfahren bereits eingestellt worden sei. Die Belastung mit einer Verfahrensdauer von über sieben Jahren könne angesichts des relativ geringen Tatumfangs der drei Angeklagten nach Auffassung der Kammer nur dahingehend gemindert werden, daß sich nach dieser langen Zeit eine Bestrafung überhaupt verbiete. Da die Angeklagten keine Angaben zur Sache gemacht haben, würde eine weitere Aufklärung des Sachverhalts mit möglichen Rechtshilfeersuchen in die Türkei eine unzumutbare weitere Belastung und Härte bedeuten.
III.
Das angefochtene Urteil war aufzuheben; es wird den vom Senat in BGHSt 46, 159, ff. aufgestellten Grundsätzen nicht gerecht. Der Senat kann nicht abschließend prüfen, ob sich hier aus der Verletzung des Beschleunigungsgebots ein zur Einstellung zwingendes Verfahrenshindernis ergibt.
Im Prozeßurteil, durch welches das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eingestellt wird, hat der Tatrichter sowohl die Verfahrenstatsachen als auch Feststellungen zum Schuldumfang des Angeklagten und die der Prognose über die weitere Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen sowie die die Entscheidung tragende Gesamtwürdigung im einzelnen und in nachprüfbarer Weise darzulegen (vgl. BGH a.a.O.).
Die Prüfung aufgrund des dem Senat zugänglichen Akteninhalts erlaubt hier zwar die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, nicht aber eine Entscheidung, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere auch des den Angeklagten zuzurechnenden Schuldumfangs eine Verfahrenseinstellung erfolgen muß, die nur in außergewöhnlichen Einzelfällen geboten ist.
Der Tatrichter hat bereits die Verfahrenstatsachen nicht nachprüfbar dargelegt, sondern sich im wesentlichen darauf beschränkt mitzuteilen, daß das Verfahren fast sieben Jahre lang "praktisch nicht betrieben wurde". Es werden weder der Beginn des Zeitraums noch die Tätigkeiten von Staatsanwaltschaft und Gericht im einzelnen mitgeteilt. Die Wertung des Tatrichters, das Verfahren sei "praktisch" nicht betrieben worden, ist daher nicht nachprüfbar. Vor allem aber wird der den Angeklagten zuzurechnende Schuldumfang nicht erläutert, sondern ohne nähere Begründung als "relativ gering" bezeichnet. Diese Einschätzung, die bei den vorgeworfenen Straftaten der versuchten schweren räuberischen Erpressung ohne die gebotene Erläuterung nicht naheliegt, kann regelmäßig nicht ohne tatsächliche Feststellungen zur Tatschuld des Angeklagten beurteilt werden. Dies zeigt sich hier schon daran, daß vom Tatrichter z. B. einerseits zu prüfen ist, ob die Angeklagten als Mittäter oder Gehilfen anzusehen sind und andererseits, ob im Falle 4, in dem das Opfer letztlich Geld bezahlte, statt Versuch auch Vollendung der Tat in Betracht kommt oder ob bei Annahme eines Versuchs von der fakultativen Strafmilderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abgesehen wird. In dem angefochtenen Urteil wird weiter auch nicht erörtert, warum bei in Betracht kommenden mehrjährigen Freiheitsstrafen nicht durch - unter Umständen deutliche - Strafminderung ein Ausgleich des Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot geschaffen werden kann. Weiter wird weder im einzelnen ausgeführt, warum vorhandene Zeugen nicht zu einer Aufklärung ausreichen noch wird dargelegt, weshalb die zögerliche Behandlung des Falles für die Angeklagten eine derart unzumutbare Belastung darstellt.
Der Senat hat (BGHSt 46, 159, 176) u.a. auch deshalb die Darlegung der vorstehend aufgezeigten Umstände zur Pflicht gemacht, weil anderenfalls die Gefahr bestünde, daß sich das Tatgericht insbesondere bei schwierigen und umfangreichen Verfahren durch nicht (ausreichend) begründete und daher auch nicht überprüfbare Prozeßentscheidungen der Aufgabe entheben könnte, auch solche Verfahren bei straffer Verfahrensführung und angemessener Beschränkung des Prozeßstoffs in vertretbarer Zeit einer Sachentscheidung zuzuführen. Nach dem Akteninhalt kommt vorliegend bei der gebotenen zügigen Sachbehandlung eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Rechtsfolgenentscheidung durchaus noch in Betracht.
Ende der Entscheidung
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