Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 2 StR 573/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 20
StGB § 21
StGB § 63
StGB § 67 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 573/05

vom 15. März 2006

in der Strafsache

gegen

wegen Freiheitsberaubung u. a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. März 2006, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten, der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß, die Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juli 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat u. a. folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte befindet sich seit 1991 in psychiatrischer Behandlung, wobei im Jahre 2001 eine "angstdepressive Psychose mit paranoiden Akzenten mit einer zunehmenden hirnorganischen Komponente (Arterienverkalkung)" diagnostiziert wurde.

Am 25. November 2003 ging der Angeklagte zu seinem Zahnarzt. Dort geriet er in heftige Erregung, als seine Zahnprothese wider Erwarten nicht fertig gestellt war, zog ein mitgebrachtes Küchenmesser aus der Tasche, richtete dies in einem Abstand von einem halben Meter auf den Zahnarzt K. und drohte, diesem die Kehle durchzuschneiden. Als die Zeugin P. den Angeklagten zu beruhigen versuchte, drohte er, auch diese fertig zu machen. Als K. die Polizei verständigen wollte, sagte der Angeklagte zu ihm, es werde Blut fließen, wenn die Polizei verständigt werde. Schließlich verließ der Angeklagte die Praxis.

Am 17. Februar 2004 wollte ein Mitarbeiter der Deutschen Telekom AG in der Wohnung des Angeklagten an einer Telefonbuchse arbeiten. Hierbei stieß er eine Vase des Angeklagten zu Boden, die zerbrach. Bei einem nachfolgenden Streitgespräch über defekte Telefone wurde der Angeklagte plötzlich wütend, schloss die Wohnungstür ab, ergriff ein Küchenmesser und forderte aus einem Abstand von drei bis vier Metern von dem Zeugen 50 € Schadensersatz für die zerbrochene Vase. Als der Zeuge aus dem Fenster entkommen wollte, hielt ihm der Angeklagte das Messer vor, so dass der Zeuge etwa 20 Minuten lang in der Wohnung des Angeklagten festgehalten wurde. Über sein Mobiltelefon konnte er das Eintreffen einer Polizeistreife erreichen, worauf der Angeklagte das Messer in die Küchenschublade zurücklegte und die Polizei einließ. Bei beiden Vorfällen "war die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten hinsichtlich des Unrechtsgehalts seiner Tat auf Grund eines hirnorganischen Psychosyndroms (exogene Psychose) aufgehoben."

Hierzu hat die Kammer ausgeführt:

"Dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten hinsichtlich des Unrechtsgehalts seiner Tat auf Grund eines hirnorganischen Psychosyndroms unbekannter Genese (exogene Psychose) aufgehoben war, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen. Die Diagnose begründet sich aus den aufgetretenen Symptomen, nämlich den mnestischen Defiziten, den feststellbaren paranoiden Überzeugungen, in denen der Angeklagte nicht korrigierbar ist, den Perseverationstendenzen sowie dessen Affektinkontinenz, die mit einer Störung der Impulskontrolle verbunden ist. Diese Diagnose des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht in Übereinstimmung mit den von dem Sachverständigen beigezogenen Krankenunterlagen."

Die Kammer ist demnach der Auffassung, dass der Angeklagte ohne Schuld gehandelt habe, da er im Zeitpunkt der Taten auf Grund einer krankhaften seelischen Störung nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen. Von einer Unterbringung nach § 63 StGB hat der Tatrichter abgesehen, da er nicht die Überzeugung gewinnen konnte, "dass die Begehung weiterer erheblicher und allgemein gefährlicher Straftaten in einem für die Anordnung nach § 63 StGB ausreichenden Grad wahrscheinlich ist" (UA S. 6).

II.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft greift durch.

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft beim Angeklagten die Voraussetzung des § 20 StGB zur Zeit der Tat bejaht.

Die geschilderten Symptome wie mnestische Defizite, paranoide Überzeugungen, Perseverationstendenzen und Affektinkontinenz werden vom Tatrichter in den Urteilsausführungen nicht durch Tatsachenfeststellungen belegt. Die Diagnose, dass beim Angeklagten ein hirnorganisches Psychosyndrom unbekannter Genese (exogene Psychose) vorliegt, ist demnach nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass diese Diagnose zutrifft und weiter - wie das Landgericht - eine krankhafte seelische Störung annimmt, folgt daraus aber keineswegs, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das Unrecht seines Tuns zum Zeitpunkt der Taten aufgehoben war. Die Strafkammer verweist hierzu auf die "schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen und die Erkenntnisse aus den von dem Sachverständigen beigezogenen Krankenunterlagen" (UA S. 5). Einzelheiten hierzu werden nicht mitgeteilt. Dem Gutachten eines Sachverständigen darf sich das Gericht aber nicht einfach anschließen (vgl. hierzu u. a. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 17). Will es dem Ergebnis ohne Angabe eigener Erwägungen folgen, so müssen in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergegeben werden (vgl. Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. Rdn. 13 zu § 267 m.w.N.). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die - ohne Tatsachengrundlage - dargelegten Symptome lassen nicht den Schluss auf aufgehobene Einsichtsfähigkeit zu. "Affektinkontinenz, die mit einer Störung der Impulskontrolle verbunden ist" (UA S. 5) legt eher eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nahe. Das jeweilige Tatverhalten deutet auch nicht auf eine aufgehobene Einsichtsfähigkeit hin; im zweiten Fall hat der Angeklagte bei Erscheinen der Polizei das Messer in die Küchenschublade zurückgelegt.

Den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit lässt sich daher nicht entnehmen, dass beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten die Unrechtseinsichtsfähigkeit vollständig aufgehoben war. Wenn auch einige der aufgezeigten Symptome auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten hindeuten, so kann der Senat jedoch aus den Feststellungen nicht auf eine völlige Aufhebung seiner Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten schließen. Den Urteilsausführungen zu § 63 StGB ist vielmehr zu entnehmen, dass beim Angeklagten "eine Hemmschwelle", über Drohgebärden hinauszugehen, noch vorhanden ist" (UA S. 7). Da demgemäß nicht rechtsfehlerfrei festgestellt wurde, dass der Angeklagte ohne Schuld handelte, war der Freispruch aufzuheben.

2. Im Hinblick darauf, dass bereits die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sind, kommt es auf die Frage, ob auch die Zurückweisung des Antrags auf Unterbringung nach § 63 StGB rechtsfehlerhaft war, nicht an.

Sollte der neue Tatrichter positiv feststellen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Taten ohne Schuld oder jedenfalls mit erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt hat, wird er bei der Prüfung auch der Voraussetzungen des § 63 StGB - gegebenenfalls in Verbindung mit § 67 b StGB - zum einen zu beachten haben, dass die festgestellten Taten nicht bloße Lästigkeiten darstellen und zum anderen, dass für die Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten eine gewisse Wahrscheinlichkeit ausreicht (vgl. u. a. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 1).

Ende der Entscheidung

Zurück