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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.06.1999
Aktenzeichen: 2 StR 68/99
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
16. Juni 1999
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Juni 1999, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, die Richter am Bundesgerichtshof Niemöller, Detter, Dr. Bode, Rothfuß als beisitzende Richter
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 8. September 1998 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt wurde, und im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und sexueller Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Nebenklägerin mit der Sachrüge. Ungeachtet des weitergehenden Revisionsantrags ergibt sich aus der Begründung des Rechtsmittels, daß die Nebenklägerin die Ansicht des Landgerichts angreift, der Angeklagte habe zur Tötung seines Opfers nicht dessen Arg- und Wehrlosigkeit ausgenutzt. Danach erstrebt die Nebenklägerin der Sache nach einen Schuldspruch wegen Mordes an ihrem Sohn. Das somit zulässige Rechtsmittel ist begründet, da die Verneinung des Mordmerkmals der Heimtücke der rechtlichen Prüfung nicht standhält.
II.
1. Der Angeklagte gewährte dem Tatopfer S. und dessen Freundin Unterkunft und Verpflegung, ärgerte sich aber u.a. darüber, daß sie sich nicht an den Kosten der gemeinsamen Haushaltsführung beteiligten. Zwischen dem Angeklagten und S. kam es deshalb im Keller eines Abbruchhauses zu einer verbalen Auseinandersetzung. Dabei erklärte S., er werde dem Angeklagten kein Geld geben und fügte hinzu: "Wenn Dich das stört, gehen wir eben, wir finden eine andere Bleibe." Dieses Streitgespräch erboste den Angeklagten. Er fühlte sich ausgenutzt und in seinem Stolz verletzt. In ihm stieg eine Welle der Wut hoch. Der Angeklagte und S. standen sich in dem unbeleuchteten Keller gegenüber. Von außen drang nur soviel Licht ein, daß der Angeklagte die Silhouette des S. erkennen konnte. Der Angeklagte ergriff ein neben ihm liegendes Beil, das in einen Stoffbeutel eingewickelt war, und schlug S. damit achtmal wuchtig, gezielt und in schneller Folge auf den Kopf. S. schrie und versuchte, die ersten Schläge, für die der Angeklagte die stumpfe Seite des Beils benutzte, abzuwehren. Dabei wurde ihm der linke Zeigefinger gebrochen. S. brach infolge der Schläge zusammen. Der Angeklagte schlug nun mit der Schneide des Beils weiter wuchtig und gezielt auf den Scheitel des zusammengeknickten oder bereits am Boden liegenden S. ein, bis er nicht mehr schrie. S. starb wenige Minuten später an den erlittenen Schädel- und Gehirnverletzungen.
Das Landgericht meint, der Angeklagte habe nicht die Arg- und Wehrlosigkeit des S. zur Tötung ausgenutzt. Er und S. hätten sich schon vor der tätlichen in einer lautstarken verbalen Auseinandersetzung gegenübergestanden. Von der Einlassung in der richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren, S. habe sich beim Erheben des Beils vom Angeklagten abgewandt, sei der Angeklagte in der Hauptverhandlung abgerückt. Auch das Verletzungsbild spreche dafür, daß der Angeklagte zunächst auf den gegenüberstehenden S. eingeschlagen habe. Gegen dessen Wehrlosigkeit spreche, daß S. versucht habe, die tödlichen Schläge abzuwehren. Bei der festgestellten Spontantat sei auch ein bewußtes Ausnutzen der Tatsituation unwahrscheinlich. Dafür, daß der Angeklagte S. in den Keller gelockt habe, um ihn dort zu töten, gebe es keine Anhaltspunkte.
2. Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft, weil sie den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend berücksichtigen und das Landgericht ohne hinreichende Begründung ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers durch den Angeklagten verneint hat.
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Arglos ist, wer sich keines Angriffs seitens des Täters versieht. Wesentlich ist, daß der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 32, 382, 384; 39, 353, 368; Senatsurteil NStZ-RR 1997, 168). Die Überraschung des Opfers entfällt, wenn es einen derartigen Angriff des Täters für möglich hält. Ein der Tat vorausgehender bloßer Wortwechsel oder eine nur feindselige Atmosphäre schließen Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat. Erforderlich für die Beseitigung der Arglosigkeit ist auch bei einem vorhergehenden Streit, daß das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (BGHSt 33, 363; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21). Arg- und Wehrlosigkeit können auch dann gegeben sein, wenn der Täter dem Opfer feindselig gegenübertritt, das Opfer die drohende Gefahr aber erst im letzten Augenblick erkennt, so daß ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15, 16; Senatsurteil NStZ-RR 1997, 168). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Abwehrversuche, die das durch einen überraschenden Angriff in seinen Verteidigungsmöglichkeiten behinderte Opfer im letzten Moment unternommen hat, stehen der Heimtücke daher nicht entgegen (BGH NJW 1996, 471 m.w.N.).
b) Die rechtliche Bewertung des festgestellten Sachverhalts durch das Landgericht trägt diesen Grundsätzen nicht hinreichend Rechnung. Der Annahme von Arglosigkeit des S. steht nicht entgegen, daß sich der Angeklagte und S. schon vor der tätlichen in einer lautstarken verbalen Auseinandersetzung gegenübergestanden hatten. S. mußte unter den gegebenen Umständen nicht befürchten, daß dieser Streit in gegen sein Leben gerichtete Tätlichkeiten einmünden könnte, zumal es bisher noch nicht zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem Angeklagten gekommen war. Den Feststellungen des Tatrichters läßt sich auch nicht entnehmen, daß S. den plötzlichen und unerwarteten Angriff überhaupt wahrnehmen konnte. Vielmehr liegt das Gegenteil nahe: Zum einen war das als Tatwaffe verwendete Beil in einen Stoffbeutel eingewickelt und als solches und damit auch in seiner Gefährlichkeit nicht erkennbar. Zudem legt das Landgericht nicht dar, daß S. bei den gegebenen Sichtverhältnissen in dem Keller überhaupt erkennen konnte, daß der Angeklagte einen lebensbedrohenden Angriff auf ihn verübte. Der Keller war unbeleuchtet. Aufgrund des von außen eindringenden Lichts konnte der Angeklagte lediglich die Silhouette des Tatopfers erkennen. Es ist davon auszugehen, daß die Sichtverhältnisse für S. nicht besser waren. Daß die mitgeführte Taschenlampe seine Sichtmöglichkeiten entscheidend verbessert haben könnte, ist nicht festgestellt. Das Landgericht hätte daher die sich aufdrängende Frage erörtern müssen, ob S. unter diesen Umständen überhaupt erkennen konnte, daß der Angeklagte zu einem Beil griff, um damit auf ihn einzuschlagen.
Entgegen der Annahme des Landgerichts spricht nicht gegen die Wehrlosigkeit des S., daß dieser noch versuchte, die tödlichen Schläge abzuwehren. Belegt wird dieser Abwehrversuch durch den Bruch des linken Zeigefingers des Tatopfers. Selbst wenn man zugunsten des Angeklagten davon ausgeht, daß diese einzige festgestellte Abwehrverletzung durch den ersten oder einen der ersten Schläge verursacht wurde, entfiele damit nach den dargelegten Grundsätzen nicht das Merkmal der Wehrlosigkeit, weil der Angeklagte wegen der gegebenen Sichtverhältnisse dem überraschenden Angriff mit dem Beil hilflos ausgeliefert und in seinen Verteidigungsmöglichkeiten entscheidend behindert war.
Auch ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei verneint. Hierfür genügt es, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinn erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 1, 25; BGH NStZ 1984, 506; Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 47). Der Angeklagte stand zur Tatzeit weder unter Alkohol- noch Drogeneinfluß und war uneingeschränkt schuldfähig. Daß ihm nicht bewußt gewesen sein könnte, daß sein Opfer im dunklen Keller seinem überraschenden Angriff schutzlos ausgeliefert war, liegt fern. Dies hätte das Landgericht daher nicht allein mit dem Hinweis auf eine Spontantat und ohne nähere Bewertung der gesamten Tatumstände einschließlich der intellektuellen Fähigkeiten des Angeklagten als "unwahrscheinlich" ansehen dürfen.
3. Mit der Aufhebung der Verurteilung wegen Totschlags entfällt die Grundlage für die Gesamtfreiheitsstrafe.
Ende der Entscheidung
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