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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.04.2004
Aktenzeichen: 3 StR 112/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 | |
StPO § 349 Abs. 4 | |
StGB § 24 | |
StGB § 24 Abs. 2 Satz 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
27. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. April 2004 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 10. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1. a) Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 28. November 2001 wegen Anstiftung zur tateinheitlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat der Senat das Urteil aufgehoben, soweit es den Angeklagten betraf, die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt indes aufrechterhalten (NStZ 2003, 253).
Nach diesen Feststellungen hatte der Angeklagte den Entschluß gefaßt, den von Fremdbetrieben genutzten Hallenkomplex eines ihm gehörenden Grundstücks zerstören zu lassen, und deshalb den früheren Mitangeklagten S. mehrfach gebeten, ihm jemanden zu vermitteln, der gegen Zahlung von Geld die Zerstörung der Hallen übernehmen würde. S. sprach den früheren Mitangeklagten O. an, der seinerseits zwei Ukrainer, P. und Ob. , für die Tat gewinnen konnte. Diese kamen nach Deutschland und bereiteten in der Nacht zum 6. August 2000 die Gebäude zur Zerstörung vor. Sie schütteten eine größere Menge Benzin in den Hallen aus, montierten ein Schlauchsystem an die Gasleitung zur Erzeugung eines Luft-Gas-Gemisches und bauten mit Zeitschaltuhren versehene Elektrogeräte auf. Sie setzten diese Vorrichtungen sodann aber nicht in Betrieb, sondern entfernten sich vom Tatort und konnten Deutschland verlassen. Die Vorrichtungen wurden entdeckt und konnten beseitigt werden. Ein Recycling-Betrieb, der den überwiegenden Teil der Hallenfläche und Büroräume vom Angeklagten angemietet hatte, erlitt durch die Kontaminierung von Kunststoffgranulat mit Benzindämpfen einen Gesamtschaden von 1,6 Mio. DM.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg, weil das Landgericht bei seiner Entscheidung, das Verhalten des Angeklagten als Anstiftung einzustufen, eine Reihe von gewichtigen, für eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umständen nicht erkennbar in die Abwägung einbezogen hatte. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg, weil das Landgericht nicht berücksichtigt hatte, daß die Tat durch die Haupttäter nicht vollendet worden war.
b) Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangener versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zwar hat es aufgrund eines Beweisantrags des Angeklagten auf Vernehmung der beiden Ukrainer P. und Ob. im Wege der Wahrunterstellung (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) zum äußeren Sachverhalt folgendes ergänzend festgestellt: Der Angeklagte erschien gegen Mitternacht in dem Hallenkomplex und verständigte sich mit den Ukrainern dahin, daß diese die bereits weit vorangetriebenen Vorbereitungen für eine Zerstörung des Gebäudes einstellten. Sodann überprüfte er mit ihnen, daß die Stromversorgung ausgeschaltet und die Gaszufuhr gesperrt war. Anschließend verließ er mit ihnen den Gebäudekomplex.
Die Voraussetzungen für einen Rücktritt des Angeklagten hat das Landgericht gleichwohl verneint. Nach seiner Auffassung hätte der Angeklagte angesichts des durch die Benzindämpfe entstandenen explosiven Luft-Gas-Gemisches, das auch von einem Dritten durch eine brennende Zigarette, das Wiedereinschalten der Stromversorgung o. ä. hätte entzündet werden können, hierfür mehr tun, etwa die Gebäude lüften oder Polizei bzw. Feuerwehr alarmieren müssen.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Sie hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
2. Die Begründung, mit der das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten abgelehnt hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Grundlage für diese Entscheidung waren neben den aufrechterhaltenen Feststellungen des ersten Urteils auch die nunmehr ergänzend getroffenen Feststellungen. Letztere hatte das Landgericht zu berücksichtigen, weil sie sich mit den bei Aufhebung des ersten tatrichterlichen Urteils durch den Senat aufrechterhaltenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt widerspruchsfrei verbinden lassen (vgl. hierzu Wohlers in SK-StPO 33. Lfg. § 353 Rdn. 29 f.).
Damals war für das Landgericht offen geblieben, weswegen die Ukrainer "die von ihnen installierten Vorrichtungen letztlich nicht in Gang" setzten (UA S. 12 = UA S. 16 des ersten Urteils). In gleicher Weise war unklar geblieben, ob der Angeklagte die beiden Ukrainer - wie ursprünglich geplant - zu dem Hallenkomplex gefahren und sich danach entsprechend seiner Ankündigung in eine Gaststätte begeben hatte, um sich ein Alibi zu verschaffen; Anhaltspunkte dafür, daß er sich in dem Gebäude aufgehalten hatte, hatten sich für die Strafkammer damals nicht ergeben (UA S. 9 = UA S. 13 des ersten Urteils). Damit ist aber die Feststellung nicht unvereinbar, daß er sich später - nach weitgehendem Abschluß der Tatvorbereitungen - dorthin begab und das Vorhaben abbrach.
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß das Landgericht damals zur Begründung, warum der Angeklagte nur als Anstifter und nicht als Mittäter anzusehen sei, darauf abgehoben hat, der Angeklagte habe "keine Möglichkeiten" gehabt, "ihr (d. h. der Ukrainer) Vorgehen zu steuern" (UA S. 37 des ersten Urteils). Insoweit handelt es sich nur um eine rechtliche Würdigung, in der keine Feststellungen gefunden werden können.
b) Auf der Basis dieser ergänzenden Feststellungen hat das Landgericht zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch verneint. Sind - wie hier - an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert (§ 24 Abs. 2 Satz 1 StGB). Erforderlich ist ein Verhalten des Beteiligten, das zum einen auf die Verhinderung des tatbestandlichen Erfolgs gerichtet ist und diesen zum anderen tatsächlich verhindert. So liegt es aber hier.
aa) Die geplante Tat wurde nicht vollendet. Weder wurde der Hallenkomplex mit den sich in ihm befindlichen Betriebsstätten und Warenlagern in Brand gesetzt noch eine Explosion unter Gefährdung bedeutender Sachwerte ausgelöst. An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, daß wegen des bereits durch das Ausschütten von Benzin entstandenen hochexplosiven Luft-Gas-Gemisches allein durch ein zufälliges Hinzutreten ahnungsloser Dritter ein der ursprünglich geplanten Tat vergleichbares Schadensereignis hätte verursacht werden können (vgl. UA S. 12 = UA S. 16 des alten Urteils); denn derartiges ist nicht geschehen.
bb) Für die Verhinderung der Vollendung war das Handeln des Angeklagten kausal. Es ist auf das Eingreifen des Angeklagten zurückzuführen, daß die Tat nicht zur Vollendung gekommen ist. Nach den ergänzenden Feststellungen haben die beiden Ukrainer auf die Aufforderung des Angeklagten hin die weiteren Tätigkeiten, die nach dem Tatplan notwendig gewesen wären, um das Gebäude durch Explosion und Brand zu zerstören, eingestellt. Damit hat der Angeklagte durch sein Verhalten am Tatort eine neue Kausalkette in Gang gesetzt, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich geworden ist. Dabei ist bedeutungslos, daß - wie hier durch das Ausbleiben einer zufälligen Zündung durch einen ahnungslosen Dritten - auch andere, vom Willen des Täters unabhängige Umstände zur Verhinderung der Tatvollendung beigetragen haben (BGH NJW 1985, 813, 814; NStZ 1999, 128).
cc) Die Ausführungen des Landgerichts zu der Frage, ob das ergänzend festgestellte Verhalten des Angeklagten beim nächtlichen Aufsuchen des Tatorts auf die Nichtvollendung der Tat gerichtet war, sind unklar, unvollständig und lassen eine Verletzung des Zweifelssatzes besorgen.
Bei den Feststellungen der Strafkammer zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten unter Abschnitt II. 3 der Urteilsgründe (UA S. 19) fehlen jegliche Darlegungen dazu, was der Angeklagte bezweckte, als er gegen Mitternacht am Tatort erschien und die Mittäter zum Abbruch der weiteren geplanten Tathandlungen veranlaßte. Soweit die Strafkammer bei den Rechtsausführungen zur Verneinung des strafbefreienden Rücktritts darlegt, "es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, daß bzw. warum der Angeklagte, der bis dahin die Verwirklichung der Tat zielstrebig verfolgte, nun auf ein Mal spontan seine Einstellung geändert haben sollte" (UA S. 27), fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Frage, welchen Sinn das geschilderte Verhalten sonst gehabt haben könnte. Denn bei unbefangener Betrachtung spricht zunächst alles dafür, daß ein Angeklagter, der seine Mittäter zum Abbruch der geplanten Tatvorbereitungen veranlaßt und sicherstellt, daß die vorgesehene Zündvorrichtung außer Betrieb bleibt und das zusätzliche Brand- und Explosionsmittel Gas nicht zum Einsatz kommt, damit die Vollendung der Tat verhindern will. Die Formulierung der Strafkammer ("nicht vorgetragen ...") läßt zudem besorgen, sie habe nicht bedacht, daß der Zweifelssatz auch für die Anwendung der Rücktrittsvorschriften gilt (vgl. BGH StV 1995, 509).
dd) Soweit das Landgericht den Rücktritt verneint hat, weil der Angeklagte über das bloße Beenden der Aktivitäten hinaus noch weitere Maßnahmen hätte ergreifen können, um - etwa durch Lüften des Hallenkomplexes oder durch Alarmierung von Polizei und Feuerwehr - das bereits vorhandene Gefährdungspotential zu beseitigen (UA S. 26), überspannt es die Anforderungen, die § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB an den Rücktritt stellt.
Hat der Täter - wie hier der Angeklagte durch sein Verhalten am Tatort - eine neue Kausalkette in Gang gesetzt, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich geworden ist, so ist es unerheblich, ob er mehr als von ihm getan zur Verhinderung des Taterfolgs hätte leisten können (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 233; NStZ 1999, 128 jeweils zu § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB m. w. N.). Soweit die Entscheidung BGHSt 31, 46, 49 dahingehend verstanden worden ist, daß auch bei kausaler Erfolgsverhinderung "bestmögliche" Bemühungen des Täters erforderlich seien, um einen strafbefreienden Rücktritt annehmen zu können, handelt es sich um eine nicht zutreffende Interpretation dieser Entscheidung (vgl. BGHSt 48, 147 m. w. N.).
3. Damit muß das Urteil mit den ihm zugrundeliegenden, ergänzenden Feststellungen aufgehoben werden. Die vom Senat im ersten Revisionsurteil aufrechterhaltenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt sind davon nicht berührt.
Die Behandlung des Beweisantrags auf Vernehmung der beiden Ukrainer gibt dem Senat Anlaß zu dem Hinweis, daß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO die Wahrunterstellung nur für erhebliche Beweistatsachen vorsieht. Die Art, in der die Strafkammer bei der Entscheidung über § 24 StGB mit den zuvor als wahr unterstellten Beweistatsachen umgegangen ist, läßt besorgen, daß sie diese von Anfang an irrtümlich als für die Entscheidung ohne Bedeutung angesehen hat. Zudem liegt es nicht fern, daß sie damit auch den "legalen Bereich der Wahrunterstellung" (Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 91) verlassen hat: Hält das Gericht eine erhebliche entlastende Beweisbehauptung nicht für erwiesen und sieht es keine Möglichkeit, sie durch Beweiserhebung oder nach ergebnisloser Beweiserhebung argumentativ zu widerlegen, so kann es durch Wahrunterstellung seiner Vorauswürdigung Rechnung tragen. Besteht hingegen begründete Aussicht, daß die behauptete, dem Angeklagten günstige Fallgestaltung durch eine Beweisaufnahme ausgeschlossen werden kann, so ist es dem Tatgericht nicht gestattet, diese als unwiderlegbar seiner Entscheidung zugrundezulegen (vgl. Herdegen, aaO).
Ende der Entscheidung
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