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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 26.06.2008
Aktenzeichen: 3 StR 152/08
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 20 | |
StGB § 21 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 26. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Juni 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, die Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Graf, Dr. Schäfer als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt aus Hannover als Verteidiger,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. Dezember 2007 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhebt und im Einzelnen beanstandet, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, der Angeklagte sei vom unbeendeten Versuch der Tötung seines Opfers strafbefreiend zurückgetreten. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. 1. Der Schuldspruch hält entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin der rechtlichen Nachprüfung stand. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der Angeklagte die Nebenklägerin an deren Arbeitsplatz töten, indem er zunächst auf sie einschlug, sie unmittelbar danach heftig würgte und ihr schließlich mit einem Brieföffner zahlreiche, zum Teil konkret lebensbedrohliche Stichverletzungen beibrachte. Sodann ließ er von ihr ab, begab sich in einen anderen Bereich des Büros, brachte sich selbst Stichverletzungen am Oberkörper bei und sprang aus dem Fenster. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte nach seiner Vorstellung noch nicht alles zur Tötung der Nebenklägerin Erforderliche getan hatte, als er aufhörte, auf sie einzustechen. Die Strafkammer hat dabei zum einen darauf abgestellt, dass der Angeklagte ausrief "Jetzt reicht es erst mal". Ohne die Möglichkeit einer anderen Deutung zu übersehen, ist sie zu der Auffassung gelangt, der Angeklagte habe damit zum Ausdruck gebracht, der Nebenklägerin nunmehr einen ausreichenden Denkzettel gegeben zu haben. Sie hat zum anderen auch auf den Eindruck abgestellt, den die Nebenklägerin von den Worten des Angeklagten und seinen anschließenden selbstverletzenden Handlungen gewonnen hat. Die Überzeugung des Landgerichts, der Angeklagte sei davon ausgegangen, der Nebenklägerin noch keine tödlichen Verletzungen beigebracht zu haben, beruht damit auf einer möglichen, mithin vom Revisionsgericht hinzunehmenden Beweiswürdigung. Insbesondere bedurfte es vor diesem Hintergrund keiner ausdrücklichen Erörterungen, ob der Angeklagte nach Abschluss der letzten Verletzungshandlung den Eintritt des Todes des Opfers zumindest für möglich hielt oder sich hierzu eventuell gar keine Gedanken machte. Die Frage einer "Korrektur des Rücktrittshorizonts" stellt sich nicht. Auch ein Fehlschlagen des Versuchs kommt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht in Betracht.
2. Indes hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat seine Überzeugung, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei Begehung der Tat erheblich beeinträchtigt gewesen, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Die Strafkammer ist den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen gefolgt. Danach könne bei dem Angeklagten eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung ausgeschlossen werden; die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit beruhe vielmehr auf einer krankhaften seelischen Störung. Im Anschluss an diese Behauptung ist dem Urteil allerdings nichts mehr zu entnehmen, was die Annahme dieses Eingangsmerkmals des § 20 StGB belegen könnte. Vielmehr wird eine bestehende "Anpassungsstörung bei unausgeglichener Primärpersönlichkeit" festgestellt, die im unmittelbaren Tatvorfeld wegen beruflicher Schwierigkeiten und wegen des ablehnenden Verhaltens der Nebenklägerin gegenüber dem Angeklagten nochmals "eine Akzentuierung erfahren" habe. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu belegen jedoch weder das bei Anpassungsstörungen allenfalls in Betracht kommende Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit, noch wird festgestellt, wie sich ein solches Störungsbild auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. BGHSt 49, 347, 356). Zuletzt geben die Urteilsgründe Anlass zu der Besorgnis, dass der Tatrichter den Unterschied zwischen der Annahme eines Eingangsmerkmals und der Bejahung erheblich verminderter Schuld unbeachtet gelassen hat (hierzu Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57, 58): Die Frage der Erheblichkeit der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit i. S. d. § 21 StGB ist eine Rechtsfrage, die der Richter nach sachverständiger Beratung in eigener Verantwortung aufgrund einer Gesamtabwägung aller wesentlichen Tatumstände und der Täterpersönlichkeit zu beantworten hat. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese Anforderungen sind umso höher, je schwerer wiegend das in Rede stehende Delikt ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 43, 66, 77 f.).
Über den Rechtsfolgenausspruch muss deshalb erneut entschieden werden. Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung schuldunfähig war.
Ende der Entscheidung
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