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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: 3 StR 157/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 358 Abs. 2
StGB § 46
StGB § 51 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 157/08

vom 27. Mai 2008

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. November 2007 im Strafausspruch mit den Feststellungen zur Verfahrensverzögerung aufgehoben; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf verfahrens- und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) vorgenommene Kompensation begegnet hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Strafkammer hat an sich Einzelstrafen von dreimal einem Jahr und sechs Monaten, zweimal einem Jahr, zweimal neun Monaten, einmal drei Jahre und zehn Monaten und eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten als verwirkt angesehen. Es hat sodann zum Ausgleich der festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von knapp 16 Monaten von allen eigentlich als schuldangemessen erachteten Einzelstrafen einen bezifferten Strafabschlag von jeweils drei Monaten vorgenommen und eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verhängt.

Die vom Landgericht bei der Kompensation gewählte Verfahrensweise ("Strafabschlagslösung") entspricht nicht der nach Verkündung des angefochtenen Urteils geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860). Dadurch ist der Angeklagte beschwert, weil sich durch das Vollstreckungsmodell der Zeitpunkt, zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nach vorne verlagert. Der nicht vorbestrafte Angeklagte könnte deshalb - bei Vorliegen der übrigen, nicht von vornherein ausgeschlossenen Voraussetzungen des § 57 StGB - früher als nach dem Strafabschlagsmodell aus dem Strafvollzug entlassen werden.

2. Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells wird der neue Tatrichter Folgendes zu beachten haben (s. im Einzelnen BGH NJW 2008, 866 f.):

a) Auch bei der jetzt gebotenen Anwendung des Vollstreckungsmodells sind Art und Ausmaß der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung konkret zu ermitteln und im Urteil darzustellen. Hierbei wird zu beachten sein, dass nicht - wie in der angefochtenen Entscheidung angenommen - die gesamte Verfahrensdauer von der Anklageerhebung bis zum Beginn der Hauptverhandlung uneingeschränkt und pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angesehen werden kann. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass in diesem Zeitraum auch notwendige, den Fortgang des Verfahrens fördernde Tätigkeiten vorgenommen wurden, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen und dauern durfte, ohne dass darin eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesehen werden könnte (vgl. Senat, Urt. vom 6. März 2008 - 3 StR 541/07). Es wird deshalb festzustellen sein, welcher Zeitraum bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung für die Erledigung der entsprechenden Maßnahmen beansprucht werden durfte. Dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen.

b) Der neue Tatrichter wird sodann zunächst nach den Kriterien des § 46 StGB schuldangemessene, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafen festzusetzen und aus diesen eine Gesamtstrafe zu bilden haben. Dabei wird zu prüfen sein, inwieweit der zeitliche Abstand zwischen den begangenen Taten und dem Urteil sowie die Verfahrensdauer als solche bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht (zu den hierbei durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO gezogenen Grenzen vgl. etwa Senat, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 71/08).

c) Daran anschließend ist im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Entscheidend für diese Festlegung sind die Umstände des Einzelfalls wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Dabei muss im Auge behalten werden, dass die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es regelmäßig aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.

3. Die ungenügenden Feststellungen zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung waren aufzuheben, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen. Die übrigen Strafzumessungstatsachen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, diesbezüglich ergänzende Feststellungen zu treffen, die indes zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.

Ende der Entscheidung

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