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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.07.1999
Aktenzeichen: 3 StR 160/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 2 | |
StGB § 21 | |
StGB § 20 | |
StGB § 63 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
14. Juli 1999
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts - zu Ziffer 2 auf dessen Antrag - am 14. Juli 1999 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 23. Dezember 1998 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Die Revision der Angeklagten, mit der das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, ist zum Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO; insoweit hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Demgegenüber hat die Maßregelanordnung keinen Bestand, weil die Voraussetzungen der Unterbringung der Angeklagten gemäß § 63 StGB im Urteil nicht ausreichend dargetan worden sind.
1. Nach den Feststellungen tötete die Angeklagte ihren Bekannten R. Anfang Juni 1998 in dessen Wohnung mit fünf Messerstichen in den Hals. Die Angeklagte hatte R. , der stark alkoholabhängig war, im Sommer 1997 auf einem Szenetreff für Drogenabhängige kennengelernt. R. stellte in den folgenden Monaten der Angeklagten und ihrem Freund häufiger seine Wohnung zum Drogenkonsum zur Verfügung. Als der Freund der Angeklagten im November 1997 eine Haftstrafe antreten mußte, kümmerte sich R. vermehrt um die Angeklagte, die er nahezu täglich traf. Er gestand ihr, daß er sado-masochistisch veranlagt sei; es gelang ihm auch, die Angeklagte dazu zu veranlassen, ihn zu schlagen und ihm ihren Urin zum Trinken zu überlassen. Die Angeklagte kam diesen Wünschen teils widerwillig nach, teils fand sie es reizvoll, über R. auf diese Weise Macht ausüben zu können. Am Abend des Tattages hatte R. die Angeklagte, die schon morgens zusammen mit ihm Alkohol getrunken und im Verlauf des Tages zwei Tabletten eines Benzodiazepinpräparates sowie 5 ml Methadon eingenommen hatte, gebeten, ihn nicht nur zu schlagen, sondern auch zu fesseln und zu knebeln; außerdem verlangte er, daß sie seinen Urin trinken und mit ihm sexuell verkehren solle. Die Angeklagte fesselte und knebelte zwar R. wunschgemäß mit einer Strumpfhose, sie war jedoch erbost über die Weiterungen der sexuellen Wünsche des R. und entschloß sich deshalb, diesen zu töten, was sie mit Hilfe eines Klappmessers aus der Wohnung des Tatopfers auch tat.
Das Landgericht hat weiter festgestellt, daß die Angeklagte, die bereits im Sommer 1985 ihren ersten Ehemann durch einen Messerstich in den Hals im Affekt getötet hatte und deshalb wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden war, auch bei Ausführung des Tötungsdelikts zum Nachteil des R. in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert und deshalb nur eingeschränkt schuldfähig war. Als Grundlage für die Anwendung des § 21 StGB hat das Landgericht eine erhebliche Persönlichkeitsstörung der Angeklagten angenommen, die in Verbindung mit der ergänzenden Wirkung der aktuellen Alkoholisierung von maximal 1,76 Promille zum Zeitpunkt der Tat und des eingenommenen Methadons und Benzodiazepinpräparats zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit geführt habe. Auch die Art der Beziehung der Angeklagten zum Tatopfer soll sich mindernd auf deren Schuldfähigkeit ausgewirkt haben. Nach den Urteilsausführungen handelt es sich bei der Persönlichkeitsstörung der Angeklagten, die das Landgericht der vernommenen Sachverständigen folgend als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB gewertet hat, um eine sog. gemischte Persönlichkeitsstörung. Diese enthalte dissoziale Anteile mit gering ausgeprägter Impulskontrolle und niedriger Schwelle für Aggressionen und weise ferner asthenische Merkmale auf mit der Neigung, Verantwortung für wichtige Teile des eigenen Lebens anderen zu überlassen, außerdem seien Anzeichen einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven und vom Borderline-Typus zu finden.
Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht damit gerechtfertigt, daß diese Persönlichkeitsstruktur die Gefahr begründe, daß es auch in Zukunft in persönlichen Beziehungen und Partnerschaften der Angeklagten, insbesondere bei Frustrationen im Nah- und im Intimbereich, zu elementaren Wut- und Aggressionsauslösungen kommen werde.
2. Diese Feststellungen und Bewertungen sind nicht geeignet, die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB zu rechtfertigen. Diese setzt zunächst die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, und ferner, daß der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist, d.h. mit diesem in einem kausalen, symptomatischen Zusammenhang steht (BGH NStZ 1999, 128; BGHR StGB § 63 Zustand 26; Gefährlichkeit 15 und Tat 5). Dabei können zwar auch nicht pathologisch bedingte Störungen Anlaß für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein, wenn sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen (BGHSt 34, 22, 28). Die Diagnose einer wie auch immer gearteten Persönlichkeitsstörung läßt jedoch zunächst für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (vgl. BGHSt 42, 385 m. Anm. Kröber/Dannhorn NStZ 1998, 80, 81; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 67 f.). Vielmehr bedarf es einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und ihrer Entwicklung, um feststellen zu können, ob die Störungen des Täters sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen wie krankhafte seelisch Störungen - auch im Hinblick auf seine Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten - stören, belasten oder einengen (vgl. BGHSt 37, 397, 401; BGH NStZ 1996, 380 m. Anm. Winckler/Foerster in NStZ 1997, 334; BGH NStZ 1997, 485).
a) Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Sie bieten insbesondere keine ausreichende Grundlage für eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit der Angeklagten und ihrer Entwicklung, des Gewichts ihrer Persönlichkeitsstörung und deren Zusammenhang mit der konkreten Tat. Die Umschreibung der Störung als "gemischte Persönlichkeitsstörung" mit dissozialen und asthenischen Anteilen, sowie mit Anzeichen einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven und vom Borderline-Typus ist so knapp und allgemein gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die Störungen der Angeklagten den für die Annahme des § 21 StGB erforderlichen Schweregrad erreichen und ob sie dauerhaft sind. Mit einer bloßen Klassifizierung einzelner Auffälligkeiten läßt sich die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht belegen; es kommt vielmehr entscheidend auf die Beschreibung und Gewichtung der einzelnen von der Sachverständigen erhobenen Befunde und die Mitteilung der Tatsachen und Umstände an, auf die die Sachverständige ihre Wertungen gestützt hat. In den Urteilsgründen fehlt es aber schon an einer Darlegung der möglichen Ursachen der bei der Angeklagten festgestellten Persönlichkeitsdefizite. Zwar teilt das Urteil mit, daß die Angeklagte seit Jahren Alkoholmißbrauch betreibt, seit 1989 heroinabhängig ist und mehrfach vergeblich versucht hat, von ihrer Sucht loszukommen. Ob und in welchem Umfang diese Umstände mit den Persönlichkeitsdefiziten der Angeklagten im Zusammenhang stehen, erörtert das Urteil nicht, obwohl die festgestellten Umstände danach drängen. Offen bleibt auch, aus welchem Grund die Angeklagte im Mai 1998 einen Suizidversuch unternommen hat und warum sie stationär psychiatrisch behandelt wurde. Dies hätte näherer Darlegung bedurft, weil sich gerade hieraus Anhaltspunkte für die Bewertung und Gewichtung der Störungen der Angeklagten ergeben könnten.
b) Schließlich bleibt auch unklar, in welcher Form sich die Persönlichkeitsstörung der Angeklagten bei der konkreten Tat ausgewirkt hat. Ein konkretes Wirksamwerden bei der Tat versteht sich nicht von selbst, da die Angeklagte sich zunächst auf das Verlangen des Tatopfers eingelassen und dieses deshalb gefesselt und geknebelt hat. Das Urteil führt zwar weiter aus, daß die Angeklagte den Entschluß zur Tötung des R. gefaßt hat, weil sie erbost über dessen weiter als bisher üblich gehende sexuellen Wünsche war. Eine solche Reaktion ist allerdings auch normalpsychologisch zu erklären. Warum sie Folge einer als schwerer anderen seelischen Abartigkeit klassifizierten Persönlichkeitsstörung sein soll und auf welche die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigende Art und Weise sich die Persönlichkeitsstörung auf den Tatentschluß und die Tatausführung ausgewirkt haben können, erschließt sich aus dem Urteil hingegen nicht. Der knappe Hinweis des Landgerichts, die Art der Beziehung der Angeklagten zum Opfer, durch die sie sich fortlaufend gekränkt, provoziert und mißachtet gefühlt habe, stelle kein eigenständiges Krankheitsbild dar, sondern sei Folge der bestehenden Persönlichkeitsstörung (vgl. UA S. 16), ist ohne nähere Erläuterung nicht verständlich und vermag insbesondere den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen Tat und möglichen erheblichen Persönlichkeitsstörungen der Angeklagten nicht zu belegen.
c) Schließlich ergeben sich auch aus dem Umstand, daß die Angeklagte bereits 1985 einmal eine Bezugsperson getötet hat, nach den bisherigen Feststellungen keine zureichenden Anhaltspunkte für einen symptomatischen Zusammenhang zwischen möglichen Persönlichkeitsstörungen der Angeklagten und ihrem delinquenten Verhalten; damit fehlt es auch an einer zureichenden tatsächlichen Grundlage für eine Gefährlichkeitsprognose, die eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigen könnte. Wie dem Urteil lediglich zu entnehmen ist, hatte die Angeklagte 1985 ihren ersten Ehemann nach wochenlangen Demütigungen durch Schläge und Beleidigungen im Affekt getötet. Umstände, die dafür sprechen könnten, daß bereits damals eine krankhafte Störung oder eine den jetzigen Persönlichkeitsstörungen vergleichbare schwere andere seelische Abartigkeit für die Tat von Bedeutung war, legt das Urteil nicht dar. Ob dem früheren Geschehen aus sonstigen Gründen für die jetzige Beurteilung der Schuldfähigkeit der Angeklagten und ihrer Gefährlichkeit im Sinne des § 63 StGB zumindest indizielle Bedeutung zukommt, hätte näherer Darlegungen bedurft.
Ende der Entscheidung
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