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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.05.2000
Aktenzeichen: 3 StR 161/00
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
17. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 17. Mai 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 9. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren drei Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils, weil gegen die Beweiswürdigung der Strafkammer durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen.
1. In der Nacht zum 18. Juli 1998 wurde G. in seiner Wohnung durch 19 in Tötungsabsicht geführte wuchtige Messerstiche getötet. Nach den Feststellungen war der Angeklagte, der sich bei der Tatausführung eine blutende Wunde zuzog und im Wohnungsflur Bluttropfspuren hinterließ, der Täter. Einzelheiten zur Tatausführung und zum Motiv des Angeklagten konnten nicht festgestellt werden. Am Nachmittag vor der Tat hatte vor dem Haus, in dem der Angeklagte und das Tatopfer wohnten, ein Trinkgelage stattgefunden, an dem mehrere Bekannte des G. , nicht aber der Angeklagte teilnahmen und bei dem es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Zeugen K. und G. kam.
Der Angeklagte hat die Tötung des G. bestritten. Er hat sich dahingehend eingelassen, zu dem Getöteten keinen Kontakt gehabt zu haben und niemals in dessen Wohnung gewesen zu sein.
2. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im wesentlichen auf folgende Beweiswürdigung:
An einem im Wohnzimmer der Wohnung des G. gefundenen Zigarettenrest befanden sich molekulargenetische Spuren, die nach den Ausführungen eines Sachverständigen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:48,6 Milliarden dem Angeklagten zuzuordnen sind. Verursacher von zwei im Flur der Wohnung vorgefundener Bluttropfspuren ist nach dem DNA-Gutachten der Angeklagte mit einer Sicherheit von ca. 1:60 Billionen aller männlichen Personen.
Hierzu hat das Landgericht ausgeführt: Aus den am Zigarettenrest vorgefundenen Spuren des Angeklagten folge noch nicht zwingend, daß dieser in der Wohnung des Getöteten gewesen sein müsse, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme G. den Zigarettenrest, der in einem Beutel mit weiteren Zigarettenresten sichergestellt worden sei, auch außerhalb des Hauses gefunden und mitgenommen haben könne, um den restlichen Tabak - seiner Gewohnheit entsprechend - für sich zu verwerten. Jedoch sei auf Grund der Blutspuren zwingend davon auszugehen, daß der Angeklagte in der Wohnung des G. gewesen und seine Einlassung in diesem Punkt falsch sei. Aus dieser Tatsache allein könne zwar noch nicht zwingend geschlossen werden, daß der Angeklagte G. auch getötet habe. Dies lasse sich jedoch aus dem weiteren Umstand folgern, daß er wahrheitswidrig behauptet habe, niemals in der Wohnung gewesen zu sein, und diese Behauptung auch nach eindringlichen Vorhalten des Sachverständigengutachtens aufrechterhalten habe. Wenn der Angeklagte die Tat nicht begangen hätte, hätte es sich spätestens nach den eindringlichen Vorhalten aufgedrängt, den Aufenthalt in der Wohnung einzuräumen, und Zeit sowie Umstände eines "harmlosen" Besuchs zu schildern. Da an der Eingangstür zur Wohnung des G. keine Aufbruchsspuren vorgefunden worden seien, müsse dieser den Täter gekannt und in die Wohnung eingelassen haben. Der Angeklagte habe die Möglichkeit gehabt, sich im Einverständnis mit G. Zutritt zu dessen Wohnung zu verschaffen, da er in demselben Haus wie der Getötete gewohnt und diesen vom Sehen her gekannt habe. Nach dem Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen sei es möglich, daß sich der Täter bei dem Tatgeschehen eine blutende Verletzung zugezogen hat.
3. Diese Überzeugungsbildung des Tatrichters begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die aus der widerlegten Einlassung des Angeklagten, er sei niemals in der Wohnung des G. gewesen, hergeleitete Schlußfolgerung auf die Täterschaft des Angeklagten ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Annahme, daß sich aus dem Leugnen des Angeklagten nur schließen lasse, er habe G. getötet, läßt besorgen, daß der Tatrichter nicht ausreichend bedacht hat, daß der Widerlegung einer bewußt wahrheitswidrigen Einlassung allein nur ein begrenzter Beweiswert für die Täterschaft zukommt, weil auch ein Unschuldiger vor Gericht Zuflucht zur Lüge nehmen kann (vgl. BGHSt 41, 153, 156; BGH NStZ 1986, 325; StV 1985, 356, 357; BGHR StPO § 261 Beweiskraft 3; Schlüchter in SK StPO 6. Lfg. § 261 Rdn. 64 b jew. m.w.Nachw.). Aus diesen falschen Angaben des Angeklagten allein darf ebensowenig ein sicherer Schluß auf die Täterschaft gezogen werden wie bei einem mißlungenen Alibibeweis. Insbesondere muß sich das Tatgericht bei der Beweiswürdigung bewußt sein, daß eine wissentlich falsche Einlassung des Angeklagten ihren Grund nicht nur darin haben kann, daß er die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat und verbergen will, vielmehr auch eine andere Erklärung finden kann. Soll die nachgewiesene Lüge als Belastungsindiz dienen, setzt dies voraus, daß mit rechtsfehlerfreier Begründung dargetan wird, warum eine andere Erklärung nicht in Betracht kommt oder den Umständen nach so fern liegt, daß sie ausscheidet (BGHSt 41, 153 ff.).
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht. Die Formulierung des Landgerichts, daß aus dem widerlegten Leugnen des Angeklagten "nur" der Schluß auf dessen Täterschaft gezogen werden kann, deutet darauf hin, daß es eine andere Erklärungsmöglichkeit nicht bedacht haben könnte. Insbesondere befaßt sich das Urteil nicht mit der Möglichkeit, daß der Angeklagte, dessen Intelligenz im unteren Normbereich liegt (UA S. 15), mit seiner Einlassung von vorneherein keine Verdachtsmomente gegen sich aufkommen lassen wollte, weil er, worauf die Revision zu Recht hinweist, nicht mit einer von ihm nicht begangenen Tat in Verbindung gebracht werden wollte und weil er auf Grund seiner eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, seine eingeschlagene Verteidigungsstrategie zu ändern.
b) Ein Mangel der Beweiswürdigung liegt vor allem auch darin, daß die Strafkammer nicht erkennbar geprüft hat, ob die im Flur der Wohnung des Getöteten gefundenen Blutspuren des Angeklagten überhaupt in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt gelegt worden sind oder sein können. Zu ihrem Alter verhält sich das Urteil nicht. Dieses ist für den Indizwert der Blutspuren von wesentlicher Bedeutung. Nur wenn die Blutspuren des Angeklagten im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen verursacht worden sein können, wäre dies ein gewichtiges Indiz für die Täterschaft des Spurenverursachers.
c) Wegen der fehlenden Aufbruchsspuren hat die Strafkammer ein weiteres Indiz für die Täterschaft des Angeklagten darin gesehen, daß der Getötete den Täter gekannt und in seine Wohnung eingelassen hat. Eine solche Zugangsmöglichkeit in die Wohnung hatten aber nach den Feststellungen auch weitere Personen, vor allem die Zechkumpane des Tatopfers, die dieses im übrigen besser kannten als der Angeklagte, dem der getötete G. nur flüchtig bekannt war. Dazu kommt, daß der Zechkumpan K. kurz vor der Tat in eine tätliche Auseinandersetzung mit G. verwickelt war. Mit diesen Umständen hätte sich der Tatrichter im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung aller den Angeklagten be- und entlastenden Indizien erkennbar befassen und sie in seine Entscheidung einbeziehen müssen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und 11; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 50). Insbesondere hätte es der Darlegung bedurft, warum die Zechkumpane des Tatopfers, namentlich der Zeuge K. und der ersichtlich im selben Haus wie der Angeklagte und das Tatopfer wohnende Zeuge H. , als Täter ausscheiden. Daß von ihnen keine Blutspuren in der Wohnung des Getöteten gefunden wurden, spricht nicht gegen eine Täterschaft. Denn der Täter muß sich beim Tatgeschehen nicht notwendig selbst eine blutende Verletzung zugezogen haben, da zu einem Kampfgeschehen zwischen Täter und Opfer bisher nichts festgestellt ist.
Ende der Entscheidung
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