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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.06.2007
Aktenzeichen: 3 StR 194/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 64
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 194/07

vom 13. Juni 2007

in der Strafsache

gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 13. Juni 2007 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. Dezember 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer (richtig: besonders schwerer) räuberischer Erpressung und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zum Rechtsfolgenausspruch hat das Rechtsmittel Erfolg.

1. Die im Rahmen der Sachrüge erhobene Beanstandung, das Landgericht habe bei der Strafzumessung eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) nicht berücksichtigt, ist als Verfahrensrüge auszulegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 344 Rdn. 10). Sie ist zulässig, weil sich bereits aus der Revisionsbegründung im Zusammenhang mit den Feststellungen des Urteils der vom Generalbundesanwalt vermisste Vortrag ergibt, dass sich der Angeklagte während des Zeitraums, in dem die Justizbehörden mit der Ermittlung seines Aufenthalts beschäftigt waren, in Haft befand. Die Rüge führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

Angesichts der Verfahrensdauer und des Umstandes, dass das Verfahren keine besonderen Schwierigkeiten aufwies, hätte der Tatrichter erkennbar prüfen und entscheiden müssen, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, für die eine messbare Kompensation geboten ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7, 13). Bereits im Ermittlungsverfahren kam es zu mehreren nicht nachvollziehbaren Verzögerungen. Die Ausführung der Zuleitungsverfügung vom 8. Februar 2005, mit der die Staatsanwaltschaft die Akten an die Polizei übersandte, dauerte knapp zwei Monate. Obwohl die Staatsanwaltschaft bereits am 26. August 2005 die Fertigung der Anklage in Reinschrift verfügte, datiert diese vom 7. November 2005. Im Zwischenverfahren wurde mehrere Monate lang der Aufenthalt des Angeklagten ermittelt und das Verfahren nicht gefördert, obwohl gegen ihn von der Staatsanwaltschaft Wuppertal eine Haftstrafe vollstreckt wurde.

2. Das Landgericht hat zudem mit einer rechtlich bedenklichen Begründung die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt.

Nach den Feststellungen trank der Angeklagte seit dem sechzehnten oder siebzehnten Lebensjahr fast täglich etwa drei Flaschen Bier sowie Alkopops. Außerdem rauchte er seit dieser Zeit regelmäßig bis zu zwei Gramm Marihuana am Tag. Zusätzlich nahm er im Tatzeitraum häufig Kokain mit einer durchschnittlichen Tagesdosis von zwei bis drei Gramm und an den Wochenenden Amphetamine zu sich. Vor den Taten hatte der Angeklagte im Verlauf des Tages Alkohol in nicht feststellbarer Menge sowie zwei Gramm Kokain konsumiert. Mit dem bei der Erpressung erbeuteten Geld kaufte er unmittelbar nach der Tat Alkohol.

Das sachverständig beratene Landgericht hat einen Hang des Angeklagten, Alkohol oder Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, im Wesentlichen mit der Begründung verneint, eine monothematische Ausrichtung auf Rauschmittelkonsum sei ebenso wenig festzustellen wie eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit oder eine körperliche bzw. psychische Verwahrlosung; vielmehr habe der Angeklagte, der nie unter Entzugserscheinungen gelitten habe, sein Konsumverhalten zu steuern vermocht und sei auch in der Lage, Abstinenzphasen einzuhalten.

Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist. Für einen Hang ist eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit nicht erforderlich; vielmehr ist ausreichend eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren, ohne dass der Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht sein muss (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 64 Rdn. 6). Die getroffenen Feststellungen zum Konsumverhalten sprechen für eine solche den Angeklagten beherrschende Neigung und sind mit dem Schluss, er könne den Gebrauch von Rauschmitteln steuern, nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen. Für die Annahme eines Hanges ist nicht erforderlich, dass sich die Neigung nur auf ein spezielles Rauschmittel bezieht oder die Unfähigkeit besteht, den Konsum im Einzelfall zu begrenzen (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 64 Rdn. 6, 6 a, 7). Die Menge und die Häufigkeit des Rauschmittelkonsums legen die Annahme eines Hanges beim Angeklagten nahe. Soweit sich das Landgericht an dessen Feststellung aus der Erwägung gehindert sieht, die Arbeitsfähigkeit des Angeklagten sei nicht eingeschränkt gewesen, geht dies schon deswegen fehl, weil der Angeklagte bis heute mit Ausnahme einer kurzfristigen Beschäftigung keiner geregelten Arbeitstätigkeit nachging.

Die Frage der Unterbringung nach § 64 StGB bedarf daher neuer Prüfung und Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 363).

Ende der Entscheidung

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