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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: 3 StR 201/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 244 Abs. 3
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2
StPO § 337 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 201/05

vom 15. Dezember 2005

in der Strafsache

wegen schweren Raubes

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Dezember 2005, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf,

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Pfister, Becker, Hubert als beisitzende Richter,

Richter am Landgericht als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 17. November 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat de n Angeklagten wegen schweren Raubes in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

Das Landgericht hat gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO verstoßen, indem es einen Beweisantrag auf Vernehmung weiterer Tatzeugen abgelehnt hat. Auf diesem Rechtsfehler kann das Urteil im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO beruhen.

1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde: Vier mit ladungsfähiger Anschrift im Inland benannte polnische Staatsbürger sollten bekunden, dass der Angeklagte nicht mit einem der Täter eines der abgeurteilten Raubüberfälle identisch sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, der ehemalige Mitangeklagte habe gesehen, dass sich die benannten Zeugen auf dem Boden liegend in direkter Nähe und in Blickkontakt zu den beiden Tätern des Raubüberfalls befunden und einen von ihnen bei der Entnahme von Geld aus einer Kasse beobachtet hätten. Das Landgericht hat den Antrag als Beweisermittlungsantrag qualifiziert und die Erhebung des Beweises im Hinblick auf die Aufklärungspflicht als nicht erforderlich angesehen. Es handele sich um eine Behauptung aufs Geratewohl, weil auch vier anderen - bereits vernommenen - Tatzeugen, die ebenfalls auf dem Boden gelegen und in einem Fall sogar Körperkontakt mit den Tätern gehabt hätten, keine sicheren Angaben zur Frage der fehlenden Personengleichheit möglich gewesen seien.

2. Die Einordnung als Beweisermittlungsantrag durch das Landgericht hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Antrag des Angeklagten genügt vielmehr den Anforderungen, die an einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO zu stellen sind. Er enthält das unbedingte Verlangen, dass zum Nachweis eines bestimmt behaupteten, konkreten Sachverhalts durch Gebrauch eines bestimmt bezeichneten Beweismittels Beweis erhoben wird (vgl. Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 43 m. w. N. zur st. Rspr.).

Insbesondere weist der Antrag mit der Behauptung mangelnder Personenidentität eine hinreichend bestimmte - gegenwärtige - Beweistatsache auf. Es ist anerkannt, dass auch zeitlich nach dem Tatgeschehen liegende Be-obachtungen im Gerichtssaal oder andernorts Gegenstand des Zeugenbeweises sein können, etwa wenn ein Zeuge sich darüber äußern soll, ob er eine ihm dort gegenübergestellte Person wieder erkennt (vgl. BGHSt 16, 204, 205; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 17; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß 1983 S. 173). Dass der Antragsteller die Aussagen der Zeugen im Vorhinein regelmäßig nicht kennt, sondern deren Inhalt lediglich vermutet, ist unschädlich (vgl. BGHSt 21, 118, 121, 125; BGH StV 1993, 3).

Dem Erfordernis der Konnexität im Sinne eines verbindenden Zusammenhangs zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 244 Rdn. 21) wird ebenfalls hinreichend Rechnung getragen. In der Antragsbegründung ist - unabhängig von der Frage der Richtigkeit - ein nachvollziehbarer Grund dafür angegeben worden, warum die bezeichneten Zeugen in der Lage sein sollen, Angaben zur Personenungleichheit zu machen, wobei offen bleiben kann, ob insoweit bereits ihre Anwesenheit am Tatort ausreichend gewesen wäre (vgl. BGHSt 43, 321, 329 f.) oder ob es der zusätzlichen Mitteilung bedurfte, dass die Zeugen eine besonders gute Beobachtungsposition innehatten. Weitergehende Anforderungen sind an das Merkmal der Konnexität unter den gegebenen Umständen jedenfalls nicht zu stellen. Bei unmittelbaren Tatzeugen liegt auf der Hand, warum diese überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können sollen (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 43, 44). Es bedarf nicht der Darlegung noch weiter ins Detail gehender Umstände, damit das Gericht die Ablehnungsgründe der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache oder der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels sinnvoll prüfen kann (vgl. BGHSt 40, 3, 6; 43, 321, 330).

3. Das Urteil kann in seiner Gesamtheit auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages beruhen. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten in dem betreffenden Fall durch die Aussagen der weiteren Zeugen erschüttert worden wäre. Dies hätte zur Folge haben können, dass das Landgericht, das den Angeklagten in allen fünf Fällen maßgeblich aufgrund der als glaubhaft bewerteten Angaben des früheren Mitangeklagten für überführt hält und keine Anhaltspunkte für eine wechselnde Tatbeteiligung sieht, auch die Frage der Täterschaft in den verbleibenden vier Fällen anders beurteilt hätte.

Ende der Entscheidung

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