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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.09.2002
Aktenzeichen: 3 StR 263/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 78 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 263/02

vom

5. September 2002

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. September 2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 6. März 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs seiner am 15. Juni 1982 geborenen Stieftochter Janine A. in sechs Fällen - begangen zwischen dem 15. Juni 1992 und dem 15. Juni 1994/1995 - freigesprochen. Hiergegen richtet sich die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Beweiswürdigung des Landgerichts in sachlich-rechtlicher Hinsicht beanstandet wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat den Angeklagten, der den Tatvorwurf pauschal bestritten hat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten Janine A. nicht zu überwinden vermochte. Die Beweiswürdigung der Jugendkammer hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar ist es vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen, wenn der Tatrichter deshalb freispricht, weil er Zweifel an der Schuld des Angeklagten nicht überwinden kann. Denn die Würdigung der erhobenen Beweise ist grundsätzlich allein Sache des Tatrichters. Revisionsrechtlich überprüfbar ist insoweit lediglich, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wesentliche Feststellungen unberücksichtigt läßt oder naheliegende Schlußfolgerungen nicht erörtert, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 m. w. N.). Bestreitet der Angeklagte wie hier den Tatvorwurf pauschal und hängt die Entscheidung allein davon ab, ob der vermeintlich Geschädigten zu glauben ist, so muß der Tatrichter im Rahmen einer Gesamtschau erkennen lassen, daß er alle Umstände, die geeignet sind, seine Entscheidung zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH NStZ-RR 2002, 174 m. w. N.). Dies gilt auch dann, wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird, weil sich das Tatgericht von der Richtigkeit der belastenden Aussage nicht überzeugen konnte. Die erforderliche umfassende Abwägung ist in den Urteilsgründen darzustellen (BGH aaO).

An diesen Grundsätzen gemessen erweist sich die Beweiswürdigung des Urteils als rechtsfehlerhaft.

a) Zur Aussage der Geschädigten Janine A. wird lediglich mitgeteilt, sie habe in der Hauptverhandlung "den angeklagten Sachverhalt voll reproduziert". Mit dieser Wendung wird die Jugendkammer unter den gegebenen Umständen den Darstellungsanforderungen nicht gerecht. Insbesondere fehlt die Darstellung der tatbezogenen Realkennzeichen, die nach den Ergebnissen des Glaubwürdigkeitsgutachtens der psychologischen Sachverständigen Dr. W. in den Bekundungen vorhanden waren (UA S. 9). Infolge dieses Mangels läßt das Urteil nicht die Nachprüfung zu, ob - worauf die Jugendkammer entscheidungstragend abstellt - spezifische Befragungen der Mutter der Geschädigten, der Zeugin Ilka A. , die geeignet gewesen sein könnten, die Aussage ihrer Tochter zu beeinflussen, tatsächlich nicht ausgeschlossen werden können.

b) Auch zur Entstehung der Aussage der Geschädigten, die in Fällen wie dem vorliegenden kritisch zu prüfen und aufzuklären ist (BGH NStZ 1999, 45; 2000, 496, 497), ist die Darstellung im angefochtenen Urteil unzureichend. Zwar stellt die Jugendkammer fest, daß sich die Zeugin Ilka A. am 1. Oktober 1999 telefonisch an den "Wendekreis Elmshorn" - eine "Anlauf- und Beratungsstelle gegen sexuellen Kindesmißbrauch" - wandte. In diesem Zusammenhang bleibt aber wegen der Formulierung, die Halbschwestern der Geschädigten Lisa und Kathrin "sollen" vom gemeinsamen Duschen mit dem Angeklagten, der dabei eine Erektion bekomme, berichtet haben (UA S. 5), offen, ob die Jugendkammer von diesem - im übrigen auch für den Tatvorwurf möglicherweise indiziell bedeutsamen - Vorfall überzeugt ist und er Auslöser für die ersten Aktivitäten der Mutter der Geschädigten und die belastenden Aussagen der Geschädigten war.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

2. Die Anklage gibt Anlaß zu dem Hinweis, daß für den Fall der Schuldfeststellung die Verjährung der in Tateinheit angeklagten Vorwürfe des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen zu prüfen sein wird. Ein Ruhen der Verjährung scheidet insoweit aus, weil der sexuelle Mißbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) nicht in die Regelung des § 78 b StGB einbezogen ist (vgl. BGH, Beschl. vom 5. Mai 1998 - 4 StR 151/98; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 78 b Rdn. 3 a aE). Das tateinheitliche Zusammentreffen mit dem (nicht verjährten) sexuellen Mißbrauch eines Kindes berührt den Lauf der Verjährungsfrist des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen nicht (BGH NStZ 1990, 80, 81).

Ende der Entscheidung

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