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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.08.2007
Aktenzeichen: 3 StR 266/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 136 a
StPO § 338 Nr. 3
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt.
StGB § 63
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 266/07

vom 14. August 2007

in der Strafsache

gegen

wegen Betruges u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. August 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 14. November 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 15 Fällen und wegen Betruges in zwei Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie wegen Untreue, wegen Betruges in drei Fällen und wegen versuchten Betruges in sechs Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 3 StPO Erfolg. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch des Angeklagten, das wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden der Strafkammer gerichtet war, zu Unrecht zurückgewiesen (§ 24 Abs. 2 StPO).

1. Der Beanstandung liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde: Dem Angeklagten lag zur Last, in zahlreichen Fällen Gelder, die er als Rechtsanwalt von Mandanten zur treuhänderischen Verwaltung erhalten hatte, für eigene Zwecke verwendet zu haben. Nach Anklageerhebung kam es zu einem Gespräch zwischen dem Vorsitzenden, der Berichterstatterin, dem damaligen Verteidiger sowie dem Dezernenten der Staatsanwaltschaft. Dabei erklärte der Verteidiger, er strebe - um dem Angeklagten eine Verbüßung im offenen Vollzug zu ermöglichen - eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als dreieinhalb Jahren an. Nachdem der Staatsanwalt dies abgelehnt hatte, erklärte der Vorsitzende, dass sich auch ohne eine Absprache ein Geständnis des Angeklagten natürlich strafmildernd auswirken müsste, und sagte sinngemäß, der Angeklagte müsse sich nun überlegen, ob er sich "in die Hände des Gerichts begebe" oder ob eine Verhandlung mit vollständiger Beweisaufnahme durchgeführt werden solle, mit möglicherweise deutlich härteren Rechtsfolgen. Nach Rücksprache teilte der Verteidiger mit, der Angeklagte begebe sich in die Hände des Gerichts, so dass Zeugen nicht benötigt würden. In der Hauptverhandlung, die dem Wunsch des Verteidigers entsprechend erst viele Monate später (Anfang Mai 2005) angesetzt worden war, bestritt der Angeklagte entgegen den Erwartungen des Gerichts die Vorwürfe, so dass die Verhandlung nach einer Stunde unterbrochen wurde. Am zweiten Hauptverhandlungstag wurde ein Beschluss verkündet, dass der Angeklagte auf seine Schuldfähigkeit und im Hinblick auf eine in Betracht kommende Unterbringung nach § 63 StGB durch einen psychiatrischen Sachverständigen untersucht werden solle, und die Hauptverhandlung sodann ausgesetzt. Nachdem der Angeklagte einige Wochen später aufgrund eines Haftbefehls der Strafkammer in Untersuchungshaft genommen worden war, beauftragte er mit seiner Verteidigung Rechtsanwalt B. . Dieser stellte in einem Haftprüfungstermin eine geständige Einlassung des Angeklagten in Aussicht, worauf der Angeklagte vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont wurde. Der Vorsitzende rief in der Folgezeit bei dem Verteidiger an und fragte, ob Zeugen benötigt würden. Dabei sagte er sinngemäß, dass die gegenüber dem früheren Verteidiger gegebene Zusage von dreieinhalb Jahren nicht mehr gelten würde, wies aber darauf hin, dass eine Strafe in dieser Höhe nicht völlig ausgeschlossen sei. Nachdem Rechtsanwalt B. erneut ein Ge-ständnis angekündigt hatte, beraumte der Vorsitzende die Hauptverhandlung auf den 10. Februar 2006 an. Vor diesem Termin teilte Rechtsanwalt B. dem Vorsitzenden telefonisch mit, er wolle die Verteidigung nicht mehr führen, und bat um Beiordnung seines Sozietätskollegen Rechtsanwalt H. . Bei diesem Telefonat, das nach der Erinnerung des Vorsitzenden zwei Tage, nach der des Verteidigers acht Tage vor der Hauptverhandlung stattgefunden hat, bestätigte Rechtsanwalt B. ausdrücklich, dass es bei der getroffenen Absprache - also einer geständigen Einlassung des Angeklagten - bleibe. Im Beistand von Rechtsanwalt H. machte der Angeklagte dann in der Hauptverhandlung keine Angaben zu den Tatvorwürfen. Unmittelbar nach der Sitzung rief der Vorsitzende den bisherigen Verteidiger B. an und erklärte, unter den gegebenen Umständen komme im Falle einer Verurteilung auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sieben bis acht Jahren in Frage. Wenn seitens der Verteidigung Gesprächsbedarf bestünde, sei er hierfür offen. Vier Tage danach wurde der Angeklagte wieder in Untersuchungshaft genommen, nachdem die Strafkammer den Haftverschonungsbeschluss aufgehoben hatte.

Zu dem daraufhin gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsantrag erklärte dieser dienstlich, seine Äußerung sei aus einem Unmut heraus erfolgt. Zudem habe ihm zuvor der Staatsanwalt mitgeteilt, er habe ein weiteres Verfahren gegen den Angeklagten, in dem mit einer Anklage zu rechnen sei.

Das Landgericht hat den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und dazu ausgeführt, eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht, da sich die Erregung in erster Linie gegen den vormaligen Verteidiger gerichtet habe, der ihn wenige Tage vor dem Termin noch die Einhaltung der Absprache zugesichert habe.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts konnte auch ein besonnener Angeklagter bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme haben, der Vorsitzende würde ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Anlass dazu war der Unterschied in den Strafgrenzen, die der Vorsitzende dem Angeklagten über seinen jeweiligen Verteidiger für den Fall eines Ge-ständnisses einerseits (dreieinhalb Jahre) und eines Tatnachweises nach streitiger Hauptverhandlung andererseits (sieben bis acht Jahre) aufgezeigt hat. Zwar ist es dem Gericht erlaubt, dem Angeklagten im Rahmen eines offenen Verhandlungsstils seine vorläufige Einschätzung zur Straferwartung bei einem Geständnis und bei einer Überführung nach durchgeführter Beweisaufnahme mitzuteilen. Es ist darüber hinaus zulässig, dem Angeklagten für den Fall seines Geständnisses eine Strafobergrenze zuzusichern, an die das Gericht im Grundsatz gebunden ist und die es nur bei Eintritt bestimmter Umstände (vgl. BGHSt 50, 40, 50 unter Ausweitung von BGHSt 43, 195, 210) überschreiten kann. Indes bestehen hierbei eindeutige Grenzen: Die Freiheit der Willensentschließung des Angeklagten muss gewahrt bleiben. Er darf weder durch Drohung mit einer höheren Strafe noch durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils - und hierzu gehört auch die schuldunangemessen milde Strafe - zu einem Geständnis gedrängt werden (BGHSt 43, 195, 204, 209; 50, 40, 50). Der Unterschied zwischen den vorliegend genannten Strafgrenzen ist mit der strafmildernden Wirkung eines Geständnisses nicht mehr erklärbar und deshalb als unzulässiges Druckmittel ("Sanktionsschere") zur Erwirkung eines verfahrensverkürzenden Geständnisses zu werten (vgl. NStZ 2004, 577; BGHR StPO § 136 a I Zwang 7).

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob der Vorsitzende bereits mit dem Hinweis, bei einem Geständnis wäre eine Strafe von dreieinhalb Jahren noch im Bereich des Möglichen, eine angesichts des Tatvorwurfs strafzumessungsrechtlich nicht mehr hinnehmbare milde Sanktion angeboten und schon damit einen unzulässigen Druck auf den Angeklagten ausgeübt hat. Jedenfalls dadurch, dass er, nachdem der Angeklagte das in Aussicht gestellte Geständnis erneut nicht abgelegt hatte, bei im Übrigen unveränderter Sachlage ankündigte, dass eine Strafe von sieben bis acht Jahren zu erwarten sei, hat er eine strafzumessungsrechtlich unvertretbare Sanktionsschere gegenüber Rechtsanwalt B. aufgezeigt. Dass dieser zu dem Zeitpunkt die Verteidigung nicht mehr führte, ändert daran nichts. Wie sich aus der Bemerkung des Vorsitzenden, er sei bei entsprechendem Bedarf der Verteidigung für Gespräche offen, ergibt, wollte er damit erreichen, dass seine Drohung dem neuen Verteidiger H. und dem Angeklagten zur Kenntnis gebracht wurden.

In der Anwendung der "Sanktionsschere" liegt ein Verstoß gegen § 136 a StPO. Das Verhalten des Vorsitzenden begründet damit zugleich die Besorgnis der Befangenheit.

3. Soweit das Landgericht bei seiner Entscheidung auf eine Verärgerung des Vorsitzenden gegenüber Rechtsanwalt B. abhebt und den Anruf damit möglicherweise als nach Sachlage noch verständliche - und damit die Besorgnis der Befangenheit nicht auslösende - Unmutsäußerung des Vorsitzenden beurteilt, gibt dies dem Senat Anlass zu folgender Bemerkung: Ein Angeklagter ist in der Entscheidung über die Art seiner Verteidigung frei. Die Verweigerung eines angekündigten Geständnisses kann solche Unmutsäußerungen grundsätzlich nicht rechtfertigen. Wenn sie wie hier - auch mit Blick auf die Handhabung der Untersuchungshaft, die jeweils angeordnet worden ist, nachdem der Angeklagte erwartungswidrig nicht geständig war - den Eindruck erwecken könnten, dass sich ein Gericht nicht mehr in der Lage sieht, das Verfahren ohne ein Geständnis zu beenden, müssen sie Anlass zu ernster Sorge über den Zustand der Strafjustiz geben.

4. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten darzustellen, ohne dazu auf 80 Seiten Kontensalden abzulichten.

5. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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