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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: 3 StR 290/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 154 Abs. 2
StPO § 154 Abs. 1 Nr. 1
StPO § 154 Abs. 5
StPO § 260 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

3 StR 290/06

vom 26. Oktober 2006

in der Strafsache

gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Oktober 2006, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf,

die Richter am Bundesgerichtshof Winkler, Pfister, von Lienen, Hubert als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,

Richter am Landgericht bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 29. März 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.

Das dem Beschluss des Landgerichts vom 28. März 2006 über die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in den Fällen 1 bis 4, 6 bis 9, 13 bis 16, 18, 20 und 22 der Anklage (15 Fälle) nachfolgende Verfahren wird eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.

Im danach verbleibenden Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Mit der zugelassenen Anklage ist dem Angeklagten der sexuelle Missbrauch seiner Tochter in 22 Fällen zur Last gelegt worden. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen in allen Fällen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren jeweils auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens, soweit das angefochtene Urteil die in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Taten zum Gegenstand hat.

1. Der - nach dem Inhalt des angefochtenen Urteils - auch in den Fällen 1 bis 4, 6 bis 9, 13 bis 16, 18, 20 und 22 der Anklage erfolgte Freispruch des Angeklagten kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat das Verfahren hinsichtlich dieser Fälle auf Antrag der Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme gemäß § 154 Abs. 2 StPO - ersichtlich in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO - eingestellt. Deshalb war insoweit das Verfahren vom Erlass des Einstellungsbeschlusses an nicht mehr gerichtlich anhängig (vgl. BGHSt 10, 88; 30, 197; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 154 Rdn. 17 m. w. N.). Da die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Verfahrens nach § 154 Abs. 4 und 5 StPO nicht erfüllt sind, insbesondere der nach § 154 Abs. 5 StPO erforderliche Wiederaufnahmebeschluss nicht vorliegt und eine stillschweigende Wiederaufnahme - was sich bereits aus dem Wortlaut von § 154 Abs. 5 StPO ergibt - zur Fortsetzung des gerichtlichen Verfahrens nicht genügt, bildet der Einstellungsbeschluss vom 28. März 2006 ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das zur Einstellung des dem Beschluss nachfolgenden Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO zwingt (vgl. BGH, Urt. vom 20. März 1980 - 2 StR 5/80; Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 154 Rdn. 82; BayObLG NStZ 1992, 403). Dies hat zur Folge, dass der Einstellungsbeschluss nach wie vor in Kraft ist und die betroffenen Taten (nur) durch einen Wiederaufnahmebeschluss gemäß § 154 Abs. 5 StPO wieder in das Verfahren einbezogen werden könnten.

2. Im Übrigen muss das angefochtene Urteil aufgehoben werden, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlichrechtlicher Prüfung nicht Stand hält. Auf die von beiden Beschwerdeführern erhobenen - inhaltsgleichen - Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.

Das Landgericht hat eine vollständig erfundene Aussage der Nebenklägerin ebenso ausgeschlossen wie eine Falschbelastung des Angeklagten im Rahmen eines Komplotts seiner Familie. Es ist hinsichtlich der Aussage der Geschädigten zu dem Beweisergebnis gelangt, dass sie zu einigen sexuellen Übergriffen "konstant und mit einigen Details angefüllt" berichtet hat. Dies gelte insbesondere für die Vorfälle in der Wohnung in der D. Straße in M. (Fälle 10 und 11 der Anklage), den Vorfall im Ziegenstall in H. (Fall 17 der Anklage) sowie für die sexuellen Handlungen im Hühnerstall in R. (Fall 21 der Anklage). Die unter den Gesichtspunkten von Konstanz und Konkretisierung gegebenen Mängel in den Angaben der Nebenklägerin zu anderen Taten hätten jedoch zu dem Ergebnis führen müssen, dass die Aussage "im Ganzen" nicht ausreichend sei, um konkrete Feststellungen hinsichtlich einzelner begangener Taten mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit treffen zu können.

Dem kann aus rechtlichen Gründen nicht gefolgt werden. Das Landgericht hätte nämlich der Frage näher nachgehen müssen, ob eine Verurteilung des Angeklagten wegen der konstant und konkret geschilderten Taten in Betracht kommt, zumal die Aussagen der Nebenklägerin zu diesen Taten nach Überzeugung der Strafkammer dafür gesprochen haben, dass es in den Jahren des gemeinsamen Zusammenlebens "durchaus zu Übergriffen auch sexueller Art durch den Angeklagten" gekommen ist. Bei der gegebenen Sachlage kann auch der die übrigen Taten betreffende Freispruch nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf vielmehr insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Für den Fall, dass auch der neue Tatrichter die Zuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen für erforderlich halten sollte, was sich jedenfalls mit Blick auf das Alter der Nebenklägerin nicht von selbst versteht, könnte sich die Beauftragung eines anderen Sachverständigen empfehlen.



Ende der Entscheidung

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