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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.10.1998
Aktenzeichen: 3 StR 316/98
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 2 u. 4 | |
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 | |
StGB § 21 | |
StGB § 63 | |
StGB § 20 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
16. Oktober 1998
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 16. Oktober 1998 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 11. März 1998 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Verfahrensrüge ist - weil entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht ausgeführt - unzulässig. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet.
Nach den Feststellungen befand sich der Angeklagte in den frühen Abendstunden des Tattages mit dem Fahrrad auf dem Heimweg, als er in einem Waldgelände auf die Geschädigte traf, die dort wie jeden Abend joggte. Der Angeklagte sprach sie unter einem Vorwand an, weil er mit ihr, notfalls unter Einsatz körperlicher Gewalt, geschlechtlich verkehren wollte, faßte sie am Arm und warf sie zu Boden. Da es dem Angeklagten mangels Erektion nicht gelang, mit der sich wehrenden Zeugin den Geschlechtsverkehr auszuführen, verlangte er von dieser, ihn oral zu stimulieren, was die Geschädigte, der der Angeklagte zuvor mehrere Faustschläge in das Gesicht versetzt hatte, jedoch unter heftiger Gegenwehr verweigerte. Ein weiterer Versuch des Angeklagten, mit der Zeugin gewaltsam geschlechtlich zu verkehren, mißlang ebenfalls. Als sich zwei Spaziergängerinnen dem Geschehen näherten, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab und floh auf dem Fahrrad. Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte bei der Tatausführung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war.
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Durch die rechtsfehlerhafte Feststellungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB und der darauf beruhenden Strafrahmenverschiebung ist der Angeklagte in diesem Zusammenhang nicht beschwert.
2. Die Maßregelanordnung hat dagegen keinen Bestand.
a) Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (BGHSt 34, 22, 26 f.). In diesem Zustand muß der Täter eine rechtswidrige Tat begangen haben, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist, d.h. mit diesem in einem kausalen, symptomatischen Zusammenhang steht (BGHR StGB § 63 Zustand 26; Gefährlichkeit 15 und Tat 5). Zwar geht das sachverständig beratene Gericht davon aus, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat "aufgrund seiner geistigen Subnormalität und einer dissozialen Fehlentwicklung infolge frühkindlicher Vernachlässigung und der dadurch bedingten Störung seiner sexuellen Impulshandlungen erheblich vermindert - jedoch nicht aufgehoben - war" (UA S. 6). Damit wird aber weder eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB noch ein Zustand dargetan, der die Unterbringung des Angeklagten gemäß § 63 StGB rechtfertigen könnte. Die knappen Ausführungen des Urteils im Rahmen der Wiedergabe des Sachverständigengutachtens, denen ergänzend lediglich noch zu entnehmen ist, daß die dissoziale Fehlentwicklung des Angeklagten in emotionalen Defiziten, vor allem mangelnder emotionaler Bindungsfähigkeit ihren Ausdruck finden soll (vgl. UA S. 10), lassen nicht nur eine geschlossene Darstellung der Anknüpfungstatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung des Sachverständigen vermissen; es fehlt insbesondere auch eine Zuordnung der angeblich geistig-seelischen Beeinträchtigungen des Angeklagten zu einem der in § 20 StGB aufgeführten biologischen Merkmale. Eine solche genaue Zuordnung ist rechtlich aber sowohl für die Frage des Ausmaßes einer möglichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als auch für die gemäß § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose von Bedeutung (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 14, 15, 17, 18; BGH, Beschluß vom 14. Februar 1997 - 2 StR 32/97). Ob die dissoziale Fehlentwicklung des Angeklagten einen solchen Schweregrad erreicht, daß sie möglicherweise als andere schwere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB zu werten ist (vgl. zu den Voraussetzungen BGHSt 37, 397, 401; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 31 und § 63 Zustand 24, 26; Jähnke in LK, StGB, 11. Aufl., § 20 Rdn. 68 f.), legt das Landgericht nicht dar und vermag der Senat wegen der unzureichenden Urteilsausführungen auch nicht zu überprüfen.
Welche persönlichen Defizite des Angeklagten sich hinter dem Begriff der "geistigen Subnormalität" verbergen sollen, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Auch führt das Landgericht nicht aus, welche Tatsachen und Lebensumstände des Angeklagten der Wertung des Sachverständigen und - diesem folgend - des Landgerichts zugrundeliegen, der Angeklagte weise eine dissoziale Fehlentwicklung mit emotionalen Defiziten auf. Einer näheren Darlegung der diesem Werturteil zugrundegelegten Eigenschaften und Verhaltensweisen hätte es jedoch bedurft. Denn der Tatrichter ist gehalten, sein Urteil über die Art und den Schweregrad der Störung eines Angeklagten auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit und deren Entwicklung, sowie der Vorgeschichte, des unmittelbaren Anlasses und der Ausführung der Tat, und schließlich des Verhaltens des Angeklagten nach der Tat zu fällen (BGHR StGB § 63 Zustand 24 m.w.N.). Hinzu kommt vorliegend, daß die behauptete mangelnde emotionale Bindungsfähigkeit des Angeklagten mit den Feststellungen, daß der Angeklagte nach eigenen Angaben eine "schöne Kindheit" hatte, seine Beziehungen zu den Eltern nach wie vor intakt sind und er seit mehr als sechs Jahren eine feste Freundin hat, mit der für den Sommer 1998 die Verlobung geplant war, nur schwer zu vereinbaren ist.
b) Im übrigen sind dem Urteil ausreichende Umstände, die die Annahme rechtfertigen könnten, der Angeklagte sei aufgrund seines Zustandes für die Allgemeinheit gefährlich und es bestehe die Gefahr, daß der Angeklagte weitere erhebliche, insbesondere Sexualstraftaten begehen werde, nicht zu entnehmen. Vielmehr findet die nicht näher begründete, vom Sachverständigen aber angenommene "unverkennbar crescendo-hafte Tendenz" der sexualdelinquenten Handlungen des Angeklagten (vgl. UA S. 19) in den Feststellungen keine Stütze. Ausweislich der Urteilsgründe ist der Angeklagte bisher erst dreimal wegen geringerer Delikte - 1991 wegen Beleidigung, 1993 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und 1995 wegen Betruges - zu Geldstrafen verurteilt worden. Für sexualdelinquentes Verhalten des Angeklagten in der Vergangenheit sind jedenfalls bisher keine Anhaltspunkte ersichtlich.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß der Tatrichter, sollte er eine schwere andere seelische Abartigkeit eventuell in Form einer Triebanomalie (vgl. zu den Voraussetzungen BGHSt 14, 30, 32; 23, 176, 190; BGH NStZ 1993, 181) in Betracht ziehen, zu bedenken haben wird, daß eine Unterbringung nach § 63 StGB einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Zustand des Angeklagten und dessen Gefährlichkeit erfordert. Dies setzt voraus, daß sowohl die Anlaßtat - hier die abgeurteilte versuchte Vergewaltigung - als auch die zukünftig zu befürchtenden rechtswidrigen Taten Folge des zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führenden Defekts sind. Zwar hat der bisher gehörte Sachverständige dazu ausgeführt, daß "die sexuellen Impulshandlungen bei dem Angeklagten aus einer sexuellen Gestimmtheit" erwachen, "die durch einförmige, motorisch-sportliche Betätigung (wie Radfahren) gefördert wird, und periodisch bzw. situativ mit einer aggressiv untermengten Dynamik zum Durchbruch kommt" (UA S. 10). Abgesehen davon, daß diese Ausführungen nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind, sind sie jedenfalls ungeeignet, einen solchen erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen geistig-seelischem Defekt und strafbarem Verhalten zu belegen.
Ende der Entscheidung
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