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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 21.03.2002
Aktenzeichen: 3 StR 340/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 265 Abs. 1
StPO § 358 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StGB § 42
StGB § 13 Abs. 2
StGB § 49 Abs. 1
StGB § 40 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 340/01

vom

21. März 2002

in der Strafsache

gegen

wegen fahrlässiger Tötung

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 30. Januar 2001 wird

a) auf die Revisionen der Angeklagten im Schuldspruch dahin geändert, daß diese der fahrlässigen Tötung in vier tateinheitlichen Fällen schuldig sind,

b) auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu Geldstrafen von 240 Tagessätzen zu je 100 DM (P. ) und 180 Tagessätzen zu je 100 DM (N. ) verurteilt. Die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft haben hiergegen Revision eingelegt. Mit dem unbeschränkten Rechtsmittel der Angeklagten wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel auf den Strafausspruch beschränkt und beanstandet die Verhängung von Geldstrafen an Stelle von Freiheitsstrafen. Die Revisionen von beiden Seiten führen zur Aufhebung des Strafausspruchs, dagegen haben die weitergehenden Rechtsmittel der Angeklagten keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen haben die beiden Angeklagten 1993 eine bereits Anfang 1984 errichtete Schießanlage gepachtet und seitdem gemeinsam in Form einer GmbH betrieben, deren gleichberechtigte Gesellschafter sie waren. Der Angeklagte P. , gelernter Büchsenmacher, war dabei überwiegend für den technischen Bereich zuständig, während sich der Angeklagte N. mehr um den kaufmännischen Bereich gekümmert hat. Auf dem 25-Meter-Schießstand für Kurzwaffen befand sich vor dem Schützenstand ein der Schalldämmung dienendes Kiesbett, das entgegen den Genehmigungsauflagen nicht mit einer Abdeckung versehen und auch nicht im vorgeschriebenen Turnus in sachgerechter Weise von Pulverrückständen gereinigt worden war. Im Jahre 1989 waren die Wände des Schießstandes nach einem Brand auf einem benachbarten Schießstand "auf Anraten und Kosten der Versicherung" mit einem Polyurethanschaumstoff verkleidet worden. Bei einem Übungsschießen am 21. April 1995 entstand aus ungeklärter Ursache etwa in der Mitte des Kiesbettes ein kleines Feuer, das sich sogleich in Folge der Pulverablagerungen im Kies nach beiden Seiten ausbreitete und auf die Verkleidung der Wände übergriff. Es entstand eine Feuerwalze mit Verpuffung, die zum Tod von vier Sportschützen führte. Die Strafkammer sieht den Fahrlässigkeitsvorwurf darin, daß die Angeklagten bei der Übernahme der Schießanlage die Auflagen der Genehmigung nicht oder zumindest nicht sorgfältig zur Kenntnis genommen, deshalb den genehmigungswidrigen Zustand des Kiesbettes nicht beseitigt und zudem die vorgeschriebene Reinigung von Pulverrückständen nicht vorgenommen haben. Ferner hätten sie auf Grund von in Fachzeitschriften veröffentlichten - und von ihnen auch gelesenen - Berichten über zwei schwere Brandunfälle im Dezember 1992 und im Januar 1993, bei denen insgesamt zehn Menschen durch das Übergreifen von Feuer auf die leicht brennbaren Polyurethan-Wandverkleidungen ums Leben gekommen seien, die Beschaffenheit der Wandverkleidungen des von ihnen betriebenen Schießstandes überprüfen und den Polyurethanschaumstoff durch ein schwer entflammbares Material ersetzen müssen.

I. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Der Senat hat jedoch die Urteilsformel geändert, weil das Vorliegen gleichartiger Tateinheit durch das schuldhafte Verursachen des Todes von vier Menschen im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 260 Rdn. 26). Dieser Änderung steht weder § 265 Abs. 1 StPO noch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO entgegen.

1. Die Strafkammer hat ohne Rechtsfehler eine vorwerfbare Pflichtwidrigkeit der Angeklagten darin gesehen, daß sie bei der Übernahme des Schießstandes dessen baulichen Zustand nicht auf die Übereinstimmung mit der erteilten Genehmigung überprüft und die Auflage, den Bereich vor dem Schützenstand von Pulverrückständen zu reinigen, nicht ausreichend erfüllt haben. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß neben der Verantwortlichkeit des Angeklagten P. auch eine strafrechtlich relevante Verantwortung des Angeklagten N. angenommen worden ist. Denn dieser war nicht nur gleichberechtigter Mitgesellschafter, sondern nach den Feststellungen neben dem Angeklagten P. immerhin auch - wenngleich in deutlich geringerem Umfang - für die technische Sicherheit mitverantwortlich. Eine eindeutige Übertragung der Mitverantwortung des Angeklagten N. für den technischen Betrieb der Schießanlage auf seinen Partner hat danach nicht stattgefunden. Im übrigen stellt die erstmalige Überprüfung des Zustandes der gefahrenträchtigen Schießanlage an Hand der Genehmigungsunterlagen samt den erteilten Auflagen bei Übernahme des Betriebs eine elementare Verpflichtung dar, deren Delegierbarkeit ohnehin nicht außer Zweifel steht. 2. Soweit die Strafkammer eine zusätzliche Pflichtwidrigkeit darin sieht, daß die Angeklagten es unterlassen haben, die Wandverkleidung auf ihre Brennbarkeit zu untersuchen, hat sie dies unzureichend begründet. Nach ihren - durch konkrete Einzelheiten allerdings nicht belegten - Feststellungen war diese Wandverkleidung aus Polyurethanschaumstoff als schwer entflammbares Material auf "Anraten und Kosten der Versicherung" nach einem Brand auf einem benachbarten Schießstand im Jahr 1989 und damit vor der Übernahme der Anlage durch die Angeklagten eingebaut worden. Die Angeklagten haben sich dementsprechend dahin eingelassen, daß sie von schwer entflammbarem Polyurethan ausgegangen seien. Diese Einlassung hat die Strafkammer nicht als widerlegt angesehen; sie hat insbesondere nicht festgestellt, daß die Angeklagten wußten, daß es gar keinen schwer entflammbaren Polyurethan-Schaumstoff gibt, wie nachträglich der Lieferant der Wandverkleidung in der Hauptverhandlung bekundet hat (UA S. 14). Bei diesem von der Strafkammer angenommenen Kenntnisstand konnte von den Angeklagten nicht erwartet werden, daß sie eine von der zuständigen Versicherung veranlaßte Brandschutzmaßnahme in Zweifel ziehen und eine Überprüfung durch einen dafür erforderlichen Sachverständigen vornehmen lassen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der schweren Brandunfälle in den Jahren 1992 und 1993, die auf Polyurethanschaumstoffe zurückgeführt wurden. Wenn nämlich die Angeklagten - irrig - davon ausgegangen waren, daß es auch schwer entflammbares Polyurethan gebe und dieses bei ihrem Schießstand eingebaut worden ist, mußten sie auch solche Informationen nicht zu einer Überprüfung veranlassen. Denn es ist nicht festgestellt, daß sich aus diesen Berichten ergibt, daß sämtliche Polyurethanschaumstoffe brennbar sind und es schwer entflammbare Verkleidungen aus diesem Material nicht gibt. Allerdings weist der Senat angesichts der bisherigen dürftigen Feststellungen, die nicht erkennen lassen, ob ihnen nicht lediglich die Übernahme unüberprüfter Einlassungen der Angeklagten zugrunde liegt, daraufhin, daß der neue Tatrichter Gelegenheit zu näherer Aufklärung haben wird.

3. Die oben unter I. 1. beschriebene pflichtwidrige Unterlassung der Angeklagten war nach den Feststellungen für die Ausbreitung des Brandes und die eingetretenen Folgen ursächlich, da bei Vornahme der gebotenen Abdeckung und sachgerechter Reinigung das in der Mitte des Kiesbettes entstandene kleine Feuer keine Nahrung in Form unverbrannter Pulverrückstände gefunden, sich nicht weiter hätte ausbreiten und deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf die Wandverkleidung hätte übergreifen können. Gleichzeitig war aber auch voraussehbar, daß die Entstehung und Ausbreitung eines Feuers im Bereich des Kiesbettes, das vorschriftswidrig durch eine erhebliche Menge unverbrannten Nitrocellulosepulvers verunreinigt war, zu schweren Folgen auch für die Benutzer des Schießstandes führen kann. Auch bei einem pflichtwidrigen Verhalten, das nur im Zusammenhang mit einem weiteren, vom Verantwortlichen - möglicherweise nicht zu vertretenden - Mangel zu einem Unfall führt, entfällt die Vorhersehbarkeit nur, wenn das Auftreten des Mangels im Zusammenhang mit dem pflichtwidrigen Verhalten nicht ganz außerhalb des gewöhnlichen Erfahrungsbereichs des Verantwortlichen liegt (BGHSt 12, 75 ff.). Von einem völlig außergewöhnlichem, nicht vorhersehbarem Geschehensablauf kann hier jedoch nicht ausgegangen werden. Es ist bei schweren Brandunfällen nicht ungewöhnlich, daß erst das Vorhandensein weiterer ungünstiger Verhältnisse, wie etwa die Verwendung ungeeigneter Ausbaumaterialien, zu den letztlich eingetretenen schweren Folgen führt.

Hier ist zu berücksichtigen, daß auch bei Zugrundelegung der Vorstellung der Angeklagten das Wandverkleidungsmaterial nicht unbrennbar, sondern nur schwer entflammbar war. Dies schließt die Möglichkeit ein, daß das Material unter ungünstigen Umständen, etwa bei einem mit hohen Flammtemperaturen verbundenen Ausgangsfeuer, doch in Brand geraten konnte. Die Angeklagten wußten weiterhin, daß es nach dem Einbau dieser Wandverkleidung in anderen Schießanlagen zu schweren Brandunfällen wegen Polyurethanschaumstoff-Verkleidungen gekommen war. Bei dieser Sachlage liegt es nicht außerhalb jeglicher Erfahrung, daß eine mehrere Jahre vor diesen Unfällen erteilte Auskunft der Versicherung zwar dem damaligen Kenntnisstand entsprochen haben mag, das verwendete Material sich gleichwohl später als - zumindest auf Dauer - nicht ausreichend flammbeständig erweisen oder durch alterungs- oder verschmutzungsbedingte Veränderungen mangelhaft werden konnte. Immerhin war die Wandverkleidung neben dem Schützenstand ebenso wie das Kiesbett der Verschmutzung durch unverbrannte Pulverrückstände ausgesetzt.

4. Da die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung bereits von der oben unter I. 1. aufgezeigten Pflichtwidrigkeit getragen wird, betrifft die von den Angeklagten erhobene Aufklärungsrüge zur Brennbarkeit des angebrachten Polyurethan-Schaumstoffs nur noch die Frage zusätzlichen, den Schuldumfang gegebenenfalls erhöhenden Fehlverhaltens. Da der Strafausspruch ohnehin auf die Sachrügen aller Beschwerdeführer aufzuheben ist, kann offen bleiben, ob diese Rüge der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht.

Entsprechendes gilt für die Rüge der Angeklagten, in den Urteilsgründen seien die Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung der Sachverständigen unzureichend wiedergegeben. Soweit die - ohnehin auf der Hand liegende - Ursächlichkeit der Durchsetzung des Kiesbettes mit etwa 30 kg Pulverrückständen für die Ausbreitung des Feuers in Frage steht, reichen die - allerdings sehr knappen - Urteilsfeststellungen noch aus, soweit es dagegen um die Beurteilung der Wandverkleidung geht, kommt es aus den aufgezeigten Gründen darauf nicht an.

II. Der Strafausspruch muß auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft aufgehoben werden, da er Rechtsfehler zum Nachteil und zum Vorteil der Angeklagten aufweist.

1. Die unzureichend begründete Annahme der Strafkammer, die Angeklagten wären verpflichtet gewesen, die Wandverkleidung auf ihre Brennbarkeit untersuchen zu lassen, hat zur Folge, daß der Strafzumessung ein zu hoher Schuldumfang zugrunde liegt.

2. Da der unter I. 1. rechtsfehlerfrei festgestellte Fahrlässigkeitsvorwurf in einem Unterlassen liegt, hätte die Strafkammer den Rechtsgedanken des § 13 Abs. 2 StGB bei der Strafzumessung ungeachtet dessen in Erwägung ziehen müssen, daß sie eine Geldstrafe verhängt und deswegen eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB ausscheidet.

3. Die Festsetzung der Tagessatzhöhe für beide Angeklagte auf je 100 DM wird den Anforderungen von § 40 Abs. 2 Satz 1 StGB nicht gerecht. Danach hat das Gericht die Bestimmung unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzunehmen. Diese sind jedoch unzureichend festgestellt. Die Strafkammer teilt hierzu lediglich mit, daß sie "davon ausgehe", daß die Angeklagten aus dem Betrieb ihres Schießstandes "mindestens 3000 DM pro Monat" verdienen. Dies läßt weder erkennen, ob dem Feststellungen oder Schätzungen zugrunde liegen, auf welchen Grundlagen diese getroffen worden sind, ob es sich um Brutto- oder Nettoeinnahmen handelt und welches Vermögen die Angeklagten haben. Ferner sind ersichtlich die Unterhaltsverpflichtungen des Angeklagten N. für seine beiden ehelichen Kinder unberücksichtigt geblieben, da bei gleichem Einkommen der gleiche Tagessatz von je 100 DM wie bei dem kinderlosen Angeklagten P. festgesetzt worden ist.

Schließlich ist auch nicht festgestellt, wie sich der durch den Vorfall entstandene Sachschaden von ca. 250 000 DM auf die Angeklagten ausgewirkt hat, insbesondere inwieweit die von ihnen betriebene Gesellschaft oder sie persönlich unmittelbar geschädigt oder Regreßansprüchen der Eigentümer oder von Versicherungen ausgesetzt sind. Solche Umstände können zum einen das Einkommen der Angeklagten aus der Gesellschaft gemindert haben, zum anderen sind derartige Schulden gegebenenfalls bei der Bemessung der Tagessatzzahl, Tagessatzhöhe und der Prüfung von Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu berücksichtigen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 40 Rdn. 20 m. w. N.).

III. Im Hinblick auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft bemerkt der Senat, daß bei tatzeitnaher Verurteilung und bei Zugrundelegung des vom Landgericht angenommenen Schuldumfanges die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur angemessenen Ahndung des Vorfalles nahegelegen hätte, daß aber nunmehr - unabhängig von der Frage des Schuldumfangs - der lange Zeitraum seit Tatbegehung und die nicht unerhebliche Verfahrensdauer, die durch die notwendige Zurückverweisung weiter verlängert wird, dagegen sprechen werden. Der neue Tatrichter wird darüber hinaus zu prüfen haben, ob es zu einer Verfahrensverzögerung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gekommen ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).

Ende der Entscheidung

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