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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.01.2002
Aktenzeichen: 3 StR 360/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB, WaffG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 1
StPO § 206 a Abs. 1
StPO § 264 Abs. 1
StGB § 69
StGB § 69 a
StGB § 316 Abs. 1
WaffG § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a Buchst. a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 360/01

vom

24. Januar 2002

in der Strafsache

gegen

wegen vorsätzlichen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe u.a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Januar 2002 gemäß § 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1, § 206 a Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 15. Mai 2001 aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit dieser Angeklagte wegen vorsätzlichen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe verurteilt worden ist.

Im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im übrigen wegen "vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladewaffe mit einer Länge von nicht mehr als 60 cm" zu einer Gesamtgeldstrafe von 140 Tagessätzen verurteilt, Anordnungen nach §§ 69, 69 a StGB getroffen und eine Pistole der Marke Ceszka eingezogen. Mit seiner wirksam auf die Verurteilung wegen des Waffendelikts beschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat schon deswegen Erfolg, weil die insoweit von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, daß es für die Aburteilung des Waffendelikts an der Verfahrensvoraussetzung einer zugelassenen Anklage fehlt.

In der - unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen - Anklage war dem Angeklagten versuchter Mord, unerlaubter Erwerb und unerlaubtes Überlassen einer "vollautomatischen Selbstladewaffe" sowie vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr zur Last gelegt worden. Er habe den (rechtskräftig wegen gefährlicher Körperverletzung bzw. Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung abgeurteilten) Mitangeklagten U. und A. am 16. September 2000 eine von ihm zuvor erworbene Pistole Ceszka zur Verfügung gestellt. Alle drei Angeklagten hätten sich dann gegen 22.20 Uhr zu dem Lokal "An. " des Az. in der L. Straße in V. begeben, wo A. in Absprache mit dem Angeklagten und U. von außen acht Schüsse auf das Lokal abgegeben habe, um den Az. aus Rache wegen eines vorangegangenen Streits um Spielschulden zu töten. Az. sei lediglich durch Splitter einer Fensterscheibe verletzt worden. Am 17. September 2000 um 1.10 Uhr habe der Angeklagte M. sodann im Zustand alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit mit einem Kraftfahrzeug die S. straße in V. befahren.

Die Verurteilung des Angeklagten nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a Buchst. a WaffG beruht demgegenüber auf folgenden vom Landgericht getroffenen Feststellungen: Nachdem ein von U. angeworbener unbekannter Dritter mit der Pistole Ceszka, deren Herkunft nicht aufgeklärt werden konnte, nach 22.00 Uhr im Beisein von U. und A. die Schüsse auf das Lokal des Az. abgefeuert hatte, fuhren U. und A. zu der Wohnung des Angeklagten M. im H. 8 in V. , wo sie gegen 22.30 Uhr eintrafen. Sie wollten sich zunächst dort verbergen und auch die Tatwaffe beim Angeklagten lassen. Dieser hatte von den vorausgegangenen Ereignissen keine Kenntnis. Er trank zunächst mit U. und A. bis gegen 23.00 Uhr Alkohol und verließ sodann seine Wohnung, um seinen in der Nachbarschaft wohnenden Bruder aufzusuchen und ihn zu bitten, an einer Tankstelle weiteres Bier zu besorgen, was dieser jedoch ablehnte. Als der Angeklagte in seine Wohnung zurückkehrte, hatte A. die Pistole Ceszka und ein Magazin auf den Wohnzimmertisch gelegt. Um U. und A. gefällig zu sein, war der Angeklagte bereit, die Waffe zunächst bei sich zu behalten. Er versteckte sie auf einem Schrank im Schlafraum. Zum Erwerb weiteren Alkohols fuhr der Angeklagte trotz einer BAK von 1,35 %o mit seinem Pkw schließlich am 17. September 2000 gegen 0.55 Uhr in Begleitung von U. und A. zu der Tankstelle und zurück. Um 1.10 Uhr wurden alle drei festgenommen.

Anklage und Urteil betreffen danach hinsichtlich des Waffendelikts nicht dieselbe Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. Bei dem im Anklagesatz nicht näher beschriebenen Erwerb der Pistole durch den Angeklagten vor deren Einsatz am 16. September 2000, deren Überlassung an U. und A. und dem Abfeuern der Schüsse durch A. im Beisein des Angeklagten handelt es sich um einen geschichtlichen Vorgang, der sich nach Ort, Zeit und Sachverhalt von dem abgeurteilten Ausüben der tatsächlichen Gewalt über die Pistole durch den Angeklagten in dem Zeitraum nach 23.00 Uhr in seiner Wohnung unterscheidet (zum prozessualen Tatbegriff s. allg. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 264 Rdn. 2 m.w.N.). Auch im wesentlichen Ermittlungsergebnis der Anklageschrift wird ein Umgang des Angeklagten mit der Pistole nach Abfeuern der Schüsse auf das Lokal des Az. nicht erwähnt. Allein dadurch, daß in einer dort zitierten schriftlichen Stellungnahme seines Verteidigers davon die Rede ist, der Angeklagte habe keine Kenntnis über die Herkunft der Waffe, die in seiner Wohnung gefunden wurde, wird weder ein solcher Umgang beschrieben, noch könnte er aufgrund dieses Zitats überhaupt in den angeklagten geschichtlichen Lebenssachverhalt eingeführt werden (vgl. BGHSt 32, 146, 149). Die abgeurteilte Tat hätte daher nur im Wege einer Nachtragsanklage (§ 266 StPO) in das Verfahren einbezogen werden können (s. auch BGH NStZ 1981, 299). Eine solche war auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich bei dem in der Anklage umschriebenen und dem der Verurteilung zugrunde liegenden Umgang des Angeklagten mit der Pistole um eine einheitliche Straftat im materiell-rechtlichen Sinne (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a Buchst. a WaffG in der Form der fortdauernden Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Pistole) und daher auch um eine Tat im prozessualen Sinne des § 264 Abs. 1 StPO gehandelt haben könnte (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Rdn. 6, 6 a). Denn da der in der Anklageschrift behauptete Umgang des Angeklagten mit der Pistole nicht erwiesen ist, kann er mit dem abgeurteilten Geschehen keine einheitliche Tat im sachlich-rechtlichen Sinne bilden (vgl. BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 24; für Fortsetzungstaten: BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 13 Nr. 3).

Das Verfahren ist daher einzustellen, soweit der Angeklagte wegen des Waffendelikts verurteilt wurde. Damit entfällt die Gesamtgeldstrafe und die allein auf den Schuldspruch gegen den Angeklagten M. nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a Buchst. a WaffG gestützte Einziehung der Pistole Ceszka, während die Verurteilung des Angeklagten gemäß § 316 Abs. 1 StGB zu einer (Einzel-)Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 DM sowie die daran anknüpfenden Maßregelentscheidungen nach §§ 69, 69 a StGB bestehen bleiben.



Ende der Entscheidung

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