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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.12.2008
Aktenzeichen: 3 StR 453/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 64
StGB § 226 Abs. 1
StPO § 246a
StPO § 261
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

nach Anhörung des Beschwerdeführers und

des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag -

am 16. Dezember 2008

gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO

einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 8. Juli 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung sowie wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

1.

Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem 15. Lebensjahr in zunehmendem Maße Haschisch, Kokain, Heroin und Tabletten. An die dafür notwendigen finanziellen Mittel gelangte er überwiegend durch Straftaten. Nachdem er im Jahre 2004 eine Therapie gemäß § 35 BtMG absolviert hatte, wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt. Während der Bewährungszeit konsumierte er jedoch weiterhin Cannabis. Die erste verfahrensgegenständliche Tat im November 2006 beging er in der Hoffnung, Geld zu finden, um damit u. a. Heroin zu kaufen. Auch zur Zeit der zweiten Tat im Februar 2007 konsumierte der Angeklagte Heroin. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht den Drogenkonsum des Angeklagten strafmildernd gewürdigt. Außerdem hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er unter dem ständigen Druck stand, sich Geld zur Finanzierung seiner Drogen beschaffen zu müssen, was seine Hemmschwelle zur Begehung krimineller Taten tendenziell herabgesetzt habe. Unter diesen Umständen liegt es nahe, dass die Taten auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies drängte zu der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegeben sind.

Die vom Landgericht unterlassene Prüfung erweist sich auch nicht deshalb als entbehrlich, weil nach § 64 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) die Maßregel nicht mehr zwingend anzuordnen ist. Denn das Tatgericht muss das ihm nunmehr eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen kenntlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.). Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregelanordnung jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB).

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf es in der neuen Hauptverhandlung der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO).

Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte.

2.

Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat bemerkt ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift:

a)

Die Strafkammer hat sich hinsichtlich des Raubüberfalls vom 12. Februar 2007 unter anderem deswegen von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt, weil der Zeuge K. als Täter nicht in Betracht komme. Hierzu hat sie sich auch auf eine "Täteranalyse des Landeskriminalamts" gestützt. Danach müsse es sich um "einen strukturiert handelnden Täter gehandelt haben, der erfahren mit Einbruchs- und Raubdelikten" sei (UA S. 22). Die Analyse beschreibe ihn als "Person mit Erfahrungen im Einsatz von körperlicher Gewalt, wobei Körperverletzungs- und Raubdelikte zu vermuten sind, Erfahrung bei der Begehung von Einbruchs- und Diebstahlstaten und sicherer und kontrollierter Bewegung in einem fremden Objekt, fachgerechter Einsatz von Einbruchswerkzeug, gezielter Auswahl des Stehl- und Raubgutes. Dabei wirkt die Tat nicht wie eine Beschaffungskriminalität, sondern eher wie eine kontrollierte Berufsausübung" (UA S. 29). Dem schließe sich die Kammer an. Die Merkmale träfen auf den Angeklagten, nicht dagegen auf den Zeugen K. zu.

Die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es sich ohne eigene Prüfung und Bewertung dem Ergebnis der "Täteranalyse" angeschlossen hat; denn auf welchen Tatsachen und Erfahrungssätzen die Erkenntnis beruht, dass der Täter strukturiert gehandelt habe, er erfahren in der Begehung von Körperverletzungs-, Einbruchs- und Raubdelikten gewesen sein müsse und die Tat nicht wie Beschaffungskriminalität, sondern wie kontrollierte Berufsausübung wirke, lässt sich dem Urteil ebenso wenig entnehmen wie eine eigenständige Überzeugungsbildung des Landgerichts. Eine solche ist jedoch unerlässlich.

Gemäß § 261 StPO entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Es obliegt allein ihm, die für den Urteilsspruch relevanten Tatsachen und Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu bilden. Soweit die Ermittlung der Tatsachen besonderer Sachkunde bedarf, über die das Gericht nicht verfügt, hat es sich diese durch einen Sachverständigen vermitteln zu lassen. Gleiches gilt, soweit die Erfahrungssätze, aufgrund derer die festgestellten Tatsachen zu bewerten sind oder die den Schluss von diesen auf andere Sachverhalte ermöglichen, außerhalb der Sachkunde des Gerichts liegen. Hierauf ist der Sachverständigenbeweis indes beschränkt. Das Gericht verfehlt daher die ihm nach § 261 StPO obliegende Aufgabe, wenn es Feststellungen und Beurteilungen eines Sachverständigen ungeprüft und ohne eigene Bewertung des Beweisergebnisses übernimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Schlussfolgerungen handelt, die nach den zur Anwendung zu bringenden Erfahrungssätzen nicht zwingend sind, sondern nur Wahrscheinlichkeitsaussagen mit mehr oder weniger großer Richtigkeitsgewähr zu liefern vermögen. Ob die Schlussfolgerung aufgrund eines derartigen Erfahrungssatzes zu ziehen ist, entscheidet nur das Gericht.

Hier bedeutet dies: Darüber, ob der Raubüberfall vom 12. Februar 2007 durch einen strukturiert handelnden Täter verübt wurde, der über Erfahrung im Einsatz körperlicher Gewalt und bei der Begehung von Diebstahls-, Einbruchsund Raubdelikten verfügte, ob er sich sicher und kontrolliert in dem ihm fremden Haus des Tatopfers bewegte, ob er Einbruchswerkzeug fachgerecht zum Einsatz brachte und seine Beute gezielt auswählte und ob das Tatbild eher für "kontrollierte Berufsausübung" als für Beschaffungskriminalität spricht, hatte ausschließlich das Gericht auf der Grundlage der Bewertung der für die Beurteilung dieser Fragen maßgeblichen Fakten und Erfahrungssätze zu befinden. Zu deren Ermittlung hatte es sich gegebenenfalls sachverständiger Hilfe zu bedienen. Deren Bewertung konnte ihm dagegen nicht durch eine "Täteranalyse" abgenommen werden, die lediglich das Ergebnis der eigenständigen Beurteilung des Ermittlungsergebnisses durch Mitarbeiter einer Polizeibehörde vermittelt. Derartige Täteranalysen, operative Fallanalysen etc. mögen für die Ermittlungsarbeit der Polizei durchaus hilfreich sein. Im Strafprozess ist ihnen gegenüber jedoch die eigenständige, unabhängige Überzeugungsbildung der Gerichte zu wahren (vgl. auch BGH NStZ 2006, 712 f.).

Im Hinblick auf das sonstige Beweisergebnis und die übrigen Beweiserwägungen des Landgerichts kann der Senat aber ausschließen, dass das Urteil auf der etwaigen fehlerhaften Übernahme der Aussagen der "Täteranalyse" beruht.

b)

Das Landgericht hat den Tatbestand der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 5. Alt. StGB) zu Recht bejaht. Die von der Geschädigten A. durch die Tat vom 12. Februar 2007 erlittene Agnosie (Gesichtsblindheit) stellt eine Behinderung im Sinne dieser Vorschrift dar. Aus dem Wortzusammenhang ("geistige Krankheit oder Behinderung") und der Regelung körperlicher Behinderungen in anderen Merkmalen des Folgenkatalogs folgt, dass hierunter nur eine geistige Behinderung fällt (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 226 Rdn. 13; Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 25 jeweils m. w. N.). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 226 Rdn. 7). Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen erfüllt, da die Geschädigte aufgrund ihrer Beeinträchtigung keine Erinnerung an Personen hat und es ihr nicht möglich ist, Personen, auch wenn diese zum engsten persönlichen Umfeld gehören, an den Gesichtern zu erkennen.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 16. Dezember 2008 hat dem Senat bei der Beschlussfassung vorgelegen.

Ende der Entscheidung

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