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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.09.2003
Aktenzeichen: 3 StR 481/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StGB § 66 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 481/02

vom 11. September 2003

in der Strafsache

gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 11. September 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 16. Juli 2002 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit schwerem Raub, wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen schweren Raubes unter Einbeziehung einer weiteren Strafe wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten, die mehrere Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen erhebt, ist, soweit sie sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch wendet, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug, denen er auch in Ansehung der nunmehr unwesentlich erweiterten Revisionsbegründung folgt. Die Anordnung der Maßregel hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der Angeklagte zwischen Mitte Januar 2000 und Mitte Juni 2000 in acht Fällen jeweils ein Geldinstitut auf und erpreßte dort maskiert und unter Bedrohung des Personals und der Kunden mit einem geladenen Gasrevolver die Herausgabe von Geld bzw. nahm Geld an sich. In einem Fall schlug das Vorhaben fehl, da der Kassierer dem Angeklagten die Waffe, die dieser unbedacht am Bankschalter abgelegt hatte, wegnehmen konnte. In den anderen Fällen erlangte der Angeklagte teilweise erhebliche Geldbeträge. Die Summe der Beute betrug ca. 528.000 DM. Unmittelbar nach der letzten Tat wurde der Angeklagte festgenommen und zu der einbezogenen fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Aufdeckung der gesamten Tatserie erfolgte die hier angefochtene Verurteilung wegen der früheren Überfälle. Dabei hat das Landgericht Einzelfreiheitsstrafen zwischen drei Jahren und sechs Monaten und acht Jahren verhängt.

Der zur Tatzeit 35 Jahre alte Angeklagte war vor dieser Verurteilung lediglich wegen eines Urkunds- und eines Straßenverkehrsdelikts jeweils zu Geldstrafen und am 29. Februar 2000 - nach Begehung des zweiten hier verfahrensgegenständlichen Raubüberfalls - wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie wegen Begünstigung in Tateinheit mit Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Diese ist inzwischen widerrufen und die Vollstreckung der Strafe in Unterbrechung der Untersuchungshaft erledigt worden.

Beruflich hatte sich der Angeklagte 1993 als Maler selbständig gemacht und beschäftigte in seinem Betrieb, der in den erfolgreichsten Jahren 18 Mitarbeiter umfaßt und einen Jahresumsatz von zwei bis drei Millionen DM erreicht hatte, zuletzt durchschnittlich 12 Mitarbeiter. Die Straftaten beging der Angeklagte vor dem Hintergrund einer Spielleidenschaft. Er hatte - angeregt durch einen großen Gewinn bei seinem ersten Besuch in einer Spielbank - bereits Ende der 80er Jahre häufig Spielbanken aufgesucht und zur Deckung der dann erlittenen, erheblichen Verluste teilweise Darlehen aufgenommen, deren Tilgung ihm allerdings unter Einsatz seiner Arbeitskraft immer wieder gelang. Im Sommer 1992 ließ er sich, um nicht weiter Geld zu verspielen, freiwillig bei den niedersächsischen Spielbanken sperren und hielt sich für zwei bis drei Jahre vom Spiel fern, ehe er sich den Zutritt wieder erschlich und im April 1998 seine Eigensperre aufheben ließ. In der Folgezeit verlor er erneut hohe Summen. Zur Finanzierung seiner Verluste verwendete er im Sommer 1999, Ende 1999 und im Frühjahr 2000 die Abschlags- und Schlußzahlungen eines Auftrags für seinen Malerbetrieb in Höhe von insgesamt 200.000 DM. Um die Insolvenz seines Betriebes abzuwenden und um weiterhin seinen aufwendigen Lebenswandel finanzieren zu können, beschloß der Angeklagte spätestens Anfang 2000, Geldinstitute zu überfallen. Die Idee hierzu hatte er von seinem Bruder, der im Frühjahr 1999 neun solche Überfälle begangen hatte.

Das Landgericht hat sachverständig beraten festgestellt, daß beim Angeklagten eine "narzißtische Persönlichkeitsstörung" und eine Spielsucht vorgelegen haben. Eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit hat das Landgericht verneint, da das "pathologische Spielen" nicht zu einem Persönlichkeitswandel und einer Verarmung in anderen Lebensbereichen geführt habe und nicht zum zentralen Lebensinhalt des Angeklagten geworden sei. Dabei hat das Landgericht darauf abgestellt, daß es dem Angeklagten bei der Erlangung von Geld durch Raubüberfälle nicht allein um die Fortsetzung des Spielens, sondern auch um den Erhalt seines Betriebes und die Fortführung seines auch sonst aufwendigen Lebensstils gegangen ist.

2. Als Grundlage für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kam nach der zutreffenden Auffassung des Landgerichts nur § 66 Abs. 2 StGB in Betracht. Danach liegt die Unterbringung im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Ordnet er die Unterbringung nach § 66 Abs. 2 StGB an, so müssen die Urteilsgründe nicht nur erkennen lassen, daß er sich seiner Entscheidungsbefugnis bewußt war; sie müssen auch darlegen, aus welchen Gründen er von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (st. Rspr.; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2; BGH NStZ 1996, 331; 1999, 473; BGH NStZ-RR 1996, 196 jeweils m. w. N.). Nur so ist dem Revisionsgericht die (eingeschränkte - vgl. BGH NStZ 1999, 473) Nachprüfung der tatrichterlichen Ermessensentscheidung möglich.

Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 StGB ist der Tatrichter "strikt an die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes gebunden" (BGH NStZ 1985, 261). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll er die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, daß sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen läßt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, daß Absatz 2 - im Gegensatz zu Absatz 1 - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 173, 50 ff. unter Hinweis auf die Berichte des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform).

Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind (BGH NStZ 1984, 309; 1996, 331; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 1); soweit es in anderen Entscheidungen heißt, sie dürften berücksichtigt werden (BGH NStZ 1985, 261; 1989, 67; 2002, 30; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3, 6), besagt dies inhaltlich nichts anderes. Dabei besteht freilich keine Vermutung dafür, daß langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird. Je länger die verhängte Freiheitsstrafe und je geringer die bisherige Erfahrung des Täters mit Verurteilung und Strafvollzug ist, desto mehr muß sich der Tatrichter aber mit diesen Umständen auseinandersetzen (vgl. BGH NStZ 1996, 331).

Gemessen an diesen Grundsätzen hält die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zur Ermessensausübung lediglich ausgeführt (UA S. 93): "Auch im Rahmen des auszuübenden Ermessens kam die Kammer nicht umhin, die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Es ist nicht zu erwarten, daß schon allein die Höhe der Strafe eine Besserung des Täters erwarten läßt." Diese Begründung läßt besorgen, daß das Landgericht die besonderen Umstände des Falles außer acht gelassen hat: Der Angeklagte ist mit einer Strafe belegt worden, die sechs Monate unter der höchsten zeitigen Freiheitsstrafe liegt. Er wird bei vollständiger Verbüßung erst im Alter von 51 Jahren und auch bei einer vorzeitigen Entlassung nicht vor dem Alter von 46 Jahren entlassen werden. Diese Zeitspanne ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Angeklagte erstmals im Zusammenhang mit diesem Strafverfahren inhaftiert worden ist, was eine erhöhte Strafempfindlichkeit des Angeklagten nahelegt. Zudem war er, als er mit der mehrmonatigen Tatserie begann, nur zweimal (allem Anschein nach im Strafbefehlsverfahren) zu Geldstrafen verurteilt worden und hatte somit keine nennenswerten Vorstrafen und Erfahrungen mit der Strafjustiz. Die jeglicher Begründung entbehrende Festlegung der Strafkammer, es handele sich bei dem Angeklagten um einen auch durch diese erhebliche Sanktion nicht zu beeindruckenden Täter, läßt darüber hinaus noch besorgen, daß dabei der Tathintergrund, nämlich eine Serie von acht Überfällen in einem überschaubaren Zeitraum, verursacht durch die Spielsucht des ansonsten in Beruf und Gesellschaft integrierten Angeklagten, nicht in die Abwägung eingeflossen ist.



Ende der Entscheidung

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