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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 06.03.2008
Aktenzeichen: 3 StR 514/07
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 51 Abs. 1 Satz 1 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 6. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. März 2008, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Becker als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, von Lienen, Hubert, Dr. Schäfer als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 18. Juni 2007 im Strafausspruch mit den Feststellungen zu Art, Grund und Ausmaß einer Verfahrensverzögerung aufgehoben; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen" unter Einbeziehung von Vorstrafen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revision des Angeklagten und die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte und im Ergebnis vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachbeschwerde.
I. Revision der Staatsanwaltschaft
Das Rechtsmittel hat vollen Erfolg.
1. Zwar zeigt die Staatsanwaltschaft keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf, soweit sie beanstandet, das Landgericht habe einzelne Strafzumessungsgesichtspunkte nicht berücksichtigt oder in die Straffindung einbezogene Aspekte nicht in hinreichendem Maße strafschärfend gewichtet; denn es ist weder ersichtlich, dass das Landgericht einen bestimmenden und daher im Urteil notwendig zu erörternden (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) Zumessungsgrund außer Betracht gelassen hätte, noch wird erkennbar, dass es einen von ihm zur Bestimmung der Strafe herangezogenen Aspekt in rechtlich relevanter Weise fehlbewertet hätte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin haben sich auch weder die Einzelstrafen noch die Gesamtstrafe, die das Landgericht - ohne Berücksichtigung der Verfahrensverzögerung - für schuldangemessen erachtet hat, nach unten von ihrer Bestimmung gelöst, gerechter Schuldausgleich zu sein.
2. Jedoch begegnet die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) vorgenommene Kompensation durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Strafkammer hat an sich Einzelstrafen von zweimal drei Jahre, einmal zwei Jahre und neun Monate, zweimal zwei Jahre und sechs Monate, zweimal ein Jahr und sechs Monate sowie - unter Einbeziehung von zwei Vorstrafen (drei Monate Freiheitsstrafe und 40 Tagessätze zu je 20 € Geldstrafe) - eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten als verwirkt angesehen. Es hat sodann zum Ausgleich der festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von insgesamt 24 Monaten von allen eigentlich als schuldangemessen erachteten Einzelstrafen einen bezifferten Strafabschlag von jeweils sechs Monaten vorgenommen und unter Einbeziehung der beiden Vorstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verhängt.
Dies hält sachlichrechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Kompensation in rechtsfehlerhafter Weise nur unzureichende Feststellungen zu Grunde gelegt hat. Es hat die gesamte Verfahrensdauer vom Abschluss der Vernehmungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren (April 2005) bis zum Beginn der - nach Aussetzung neu terminierten - Hauptverhandlung (4. Mai 2007) uneingeschränkt und pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angesehen. Die gebotenen konkreten Feststellungen zu Art, Ausmaß und Ursachen der in verschiedenen Verfahrensabschnitten aufgetretenen Verzögerungen hat es damit nicht getroffen. Es hat insbesondere auch nicht berücksichtigt, dass in dem herangezogenen Gesamtzeitraum notwendige, den Fortgang des Verfahrens fördernde Tätigkeiten vorgenommen wurden, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen und dauern durften, ohne dass darin eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesehen werden könnte. Dies gilt etwa für die Bearbeitung der Ermittlungsakte nach Übersendung durch die Polizei an die Staatsanwaltschaft sowie die sich anschließende Abfassung der Anklageschrift, deren gerichtlichen Prüfung und Zustellung sowie die Durchführung des Zwischenverfahrens einschließlich der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Zu berücksichtigen waren ferner die zur Vorbereitung und Terminierung der ersten sowie für die Neuterminierung der zweiten Hauptverhandlung erforderlichen Zeitspannen.
Zudem entspricht das vom Landgericht angewandte Kompensationsverfahren ("Strafabschlagslösung") nicht der - nach dem angefochtenen Urteil - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860). All dies führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruches.
II. Revision des Angeklagten
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Insbesondere die vom Beschwerdeführer im Einzelnen beanstandete Verurteilung wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sind noch ausreichende Feststellungen zum Vorliegen einer Bandenabrede zwischen dem Angeklagten, seinem Cousin und dem weiteren Beteiligten K. für die letzten drei Drogenlieferungen nach V. zu entnehmen. Die Bandenabrede muss nicht ausdrücklich getroffen werden; vielmehr genügt jede Form auch stillschweigender Vereinbarung (vgl. BGH NStZ 2001, 35, 37). Eine solche hat das Landgericht ersichtlich aus dem - konkret festgestellten - wiederholten deliktischen Zusammenwirken des Angeklagten mit den beiden anderen Personen hergeleitet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH NStZ 2002, 318 f.).
Für das Vorliegen einer Bande wäre es - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - im Übrigen rechtlich ohne Belang, wenn die Mitwirkung des als Transporteur des Rauschgifts tätigen Bandenmitglieds K. an den unter die Bandenabrede fallenden drei Taten - was das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt hat - jeweils als Beihilfe und nicht als Täterschaft anzusehen wäre (vgl. BGH aaO).
2. Die Anwendung der Strafabschlagslösung zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (s. o. Ziffer I. 2.) führt hier indessen auch auf die Revision des Angeklagten zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
III. Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells hat der neue Tatrichter Folgendes zu beachten:
1. In der neuen Hauptverhandlung sind zunächst Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. In deren Rahmen ist in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer gegebenenfalls ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht.
2. Hieran anschließend ist zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall, so muss diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten. Reicht sie - was hier nahe liegen dürfte - dagegen als Entschädigung nicht aus, so hat das Gericht festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe - hier der aus mehreren Einzelstrafen zu bildenden Gesamtstrafe - zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es etwa aus, den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
Danach war der - gemessen an der fiktiven Gesamtfreiheitsstrafe vom Landgericht vorgenommene - Strafabschlag bei der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr - selbst bei Zugrundelegung der rechtsfehlerhaft festgestellten Verzögerung von zwei Jahren - zumindest rechtlich bedenklich. Ein solch erheblicher Abschlag hätte - auch im Hinblick darauf, dass keine durch die Verfahrensdauer bedingten individuellen Belastungen des Angeklagten festgestellt oder sonst ersichtlich sind, er lebt - nach rund drei Monaten Untersuchungshaft - seit der Haftverschonung im Februar 2005 wieder in geordneten Verhältnissen - ein erheblich gewichtigeres Ausmaß des Verstoßes gegen das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgestellte Gebot erfordert (vgl. BGH wistra 2006, 428).
Ende der Entscheidung
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