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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.02.1999
Aktenzeichen: 3 StR 613/98
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 130 Abs. 3 Alt 1
StGB § 140 Nr. 2
StGB § 130 Abs. 3 Alt. 1; § 140 Nr. 2

Bei der Billigung von dem unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord an Juden tritt § 140 Nr. 2 StGB hinter § 130 Abs. 3 Alt. 1 StGB als der spezielleren Vorschrift zurück.

BGH, Beschluß vom 26. Februar 1999 - 3 StR 613/98 - Landgericht Wuppertal


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 613/98

vom

26. Februar 1999

in der Strafsache

gegen

wegen Volksverhetzung u.a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Februar 1999 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. April 1998 im Schuldspruch dahin abgeändert, daß die Verurteilung wegen Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) entfällt.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Volksverhetzung in Form des Aufstachelns zum Haß gegen Teile der Bevölkerung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB) und des Leugnens einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 220 a StGB bezeichneten Art (§ 130 Abs. 3 Alt. 2 StGB) in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Beleidigung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Billigung von Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu einer geringfügigen Abänderung des Schuldspruchs, im übrigen hat es keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen war der einschlägig vorbestrafte Angeklagte Sänger der in der rechtsradikalen Szene bekannten Gruppe "K. ". Er trat als "Stargast" bei einer Veranstaltung auf, die im September 1996 in einer Gaststätte in S. stattfand. Dabei trug er Lieder vor, die teilweise indiziert waren und einen vor allem ausländer- sowie judenfeindlichen Inhalt hatten. So wurde unter anderem auch der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des Dritten Reiches in den Texten geleugnet oder gebilligt. Außerdem brüllte der Angeklagte nationalsozialistische Parolen, zeigte den Hitlergruß und animierte das Publikum zu ebensolchen Tätigkeiten.

Die Verurteilung wegen der Billigung der NS-Judenmorde kann nicht auf die allgemeine Strafvorschrift des § 140 Nr. 2 StGB gestützt werden, vielmehr wird dieser Sachverhalt von der ohnehin schon angewandten Spezialvorschrift des § 130 Abs. 3 Alt. 1 StGB miterfaßt. Der Schuldspruch mußte daher dahin berichtigt werden, daß der Tatbestand der Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) entfällt.

Der Angeklagte hat durch die Darbietung des Liedes "Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um" den durch die Massenvernichtung der Bürger jüdischen Glaubens durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft begangenen Völkermord in einer Weise gebilligt, die geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören. Damit sind nicht nur die Voraussetzungen des § 140 Nr. 2 StGB, sondern zugleich diejenigen der Volksverhetzung in Form der Billigung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 220 a StGB bezeichneten Art gemäß § 130 Abs. 3 Alt. 1 StGB verwirklicht. Diese Vorschrift stellt im Verhältnis zu § 140 Nr. 2 StGB das speziellere Gesetz dar, so daß § 140 Nr. 2 StGB bei Billigung der NS-Judenmorde hinter § 130 Abs. 3 Alt. 1 StGB zurücktritt (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, 25. Aufl. § 130 Rdn. 27).

Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, daß es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfaßt (vgl. Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. vor §§ 52 ff. Rdn. 73 m.w.Nachw.). Diese Voraussetzungen sind, was das Verhältnis zwischen § 130 Abs. 3 Alt. 1 StGB und § 140 Nr. 2 StGB bei Billigung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen an Juden angeht, gegeben. Während § 140 Nr. 2 StGB i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB das Billigen jeden Völkermordes gemäß § 220 a StGB erfaßt, betrifft § 130 Abs. 3 Alt. 1 StGB mit der Billigung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 220 a StGB bezeichneten Art und Weise speziell die NS-Judenmorde. Die durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) geschaffene Neuregelung des § 130 Abs. 3 StGB umfaßt somit nicht nur, wovon das Landgericht auszugehen scheint, das Leugnen und Verharmlosen, sondern auch das Billigen der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen an der jüdischen Bevölkerung und bedroht eine solche Tat mit höherer Strafe als § 140 StGB. Der Wille des Gesetzgebers, mit § 130 Abs. 3 StGB eine spezielle Vorschrift zu schaffen, läßt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm ersehen. So ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, daß die neue Formulierung des § 130 Abs. 3 StGB im Kern auf Vorschläge zurückgreift, die in früheren Gesetzesentwürfen für ein 21. Strafrechtsänderungsgesetz bereits enthalten waren. Im Unterschied zu den damaligen Vorschlägen, die eine Ergänzung des § 140 StGB vorsahen, wurde der neue Tatbestand wegen der sachlichen Nähe zu den dort bereits erfaßten Sachverhalten jedoch in § 130 StGB eingestellt (vgl. BTDrucks. 12/8588 S. 8).

§ 265 StPO steht der Entscheidung nicht entgegen. Der Senat schließt aus, daß der hinsichtlich des äußeren, auf Videoaufnahmen festgehaltenen Geschehens geständige, hinsichtlich des Unrechtsgehalts seines Tuns aber uneinsichtige Angeklagte sich auf einen entsprechenden Hinweis hätte anders verteidigen können. Ebenfalls auszuschließen ist, daß die Strafe bei richtiger Rechtsanwendung geringer ausgefallen wäre.

Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Ende der Entscheidung

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