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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.04.1998
Aktenzeichen: 3 StR 643/97
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 247 Satz 1
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 338 Nr. 5
StPO § 247 Satz 1 StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO § 338 Nr. 5

Hat sich der Angeklagte nach seiner Unterrichtung über den Inhalt einer in seiner Abwesenheit erfolgten Zeugenaussage hierzu geäußert, muß die Revision zur Begründung einer Rüge nach § 247 Satz 1, § 338 Nr. 5 StPO den wesentlichen Inhalt dieser Äußerung vortragen, wenn die nahe Möglichkeit besteht, der Angeklagte habe auf weitere Fragen an den zuvor in seiner Abwesenheit entlassenen Zeugen verzichtet.

BGH, Urteil vom 8. April 1998 - 3 StR 643/97 - LG Duisburg


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 643/97

vom

8. April 1998

in der Strafsache

gegen

wegen Mißbrauchs eines Schutzbefohlenen u.a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. April 1998, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Kutzer,

Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan,

die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Blauth, Dr. Miebach, Pfister als beisitzende Richter,

Richter am Amtsgericht als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 9. Juli 1997 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Körperverletzung, wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt in dreifacher Hinsicht die Verletzung der §§ 247, 338 Nr. 5 StPO und erhebt die allgemeine Sachrüge. Sie hat keinen Erfolg.

1. Die Entscheidung über den Ausschluß des Angeklagten nach § 247 Satz 2 StPO ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Annahme des Landgerichts, für das Wohl des fünfeinhalbjährigen Zeugen Z. sei bei einer Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten ein erheblicher Nachteil zu befürchten, ist angesichts der massiven Mißhandlungen, die der Angeklagte an dem Zeugen sowie vor dessen Augen an dessen Mutter vorgenommen hatte, nicht zu beanstanden (vgl. BGHR StPO § 247 Satz 2 Begründungserfordernis 1). Das Gericht war im Freibeweisverfahren nicht gehalten, auch die Sachverständige G. -S. zu den Voraussetzungen des Ausschlusses zu befragen.

2. Die Rüge, während des Ausschlusses des Angeklagten habe eine Augenscheinseinnahme stattgefunden, ist jedenfalls unbegründet. Wie sich bereits aus der negativen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift ergibt, hat eine förmliche Augenscheinseinnahme nicht stattgefunden. Der Zeuge hat lediglich im Verlauf seiner Vernehmung zur Erläuterung seiner Aussage seinen Körper spontan entblößt. In der Beweiswürdigung hat das Landgericht dementsprechend auch nur das Aussageverhalten des Zeugen und nicht Einzelheiten seines Erscheinungsbildes, wie etwa ein Vorhandensein von Verletzungsspuren am Körper zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen herangezogen.

3. Auch die Rüge, über die Entlassung des Zeugen Z. sei rechtsfehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt und entschieden worden, bleibt ohne Erfolg.

a) Die Revision trägt die den Mangel begründenden Tatsachen nicht vollständig vor und ist deshalb nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung, so daß regelmäßig der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben ist, wenn der Angeklagte dabei nicht anwesend ist (BGH NJW 1986, 267; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 3; BGH, Beschl. vom 22. Mai 1996 - 3 StR 142/96). Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof darauf abgehoben, daß dadurch das Fragerecht des Angeklagten gesichert werde: Er habe so die Möglichkeit, Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen, ehe dieser entlassen werde (BGH NStZ 1983, 181; 1997, 402; NJW 1986, 267; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1, 15); der Angeklagte sei insbesondere nicht darauf angewiesen, zum Zwecke der Befragung einen besonderen Anforderungen genügenden Beweisantrag zu stellen (BGH NJW 1986, 267; vgl. BGHR StPO § 244 VI Beweisantrag 16; BGH NStZ 1983, 375, 376; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 244 Rdn. 26 m.w.Nachw.). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch dem Umstand, daß der Angeklagte, nachdem er über den Inhalt der Zeugenaussage informiert worden war, auf Fragen an den Zeugen verzichtet hatte, Bedeutung beigemessen: In diesem Fall ist die Entlassung kein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung (BGH, Beschl. vom 10. August 1995 - 5 StR 272/95); der Beschwerdeführer muß eine solche Erklärung des Angeklagten als im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO wesentliche Verfahrenstatsache mitteilen (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 16). Gleiches gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte nach seiner Unterrichtung über den Inhalt einer in seiner Abwesenheit erfolgten Zeugenaussage hierzu geäußert hat und die nahe Möglichkeit besteht, der Angeklagte habe auf weitere Fragen an den zuvor in seiner Abwesenheit entlassenen Zeugen verzichtet. So liegt es hier.

Nach dem Vortrag der Revision wurde der Zeuge in Abwesenheit des Angeklagten durch den Vorsitzenden zur Sache vernommen, sodann blieb der Zeuge "auf Anordnung des Vorsitzenden im allseitigen Einvernehmen gem. § 60 Nr. 1 StPO als unter 16 Jahren unbeeidigt" und wurde entlassen. Nach Rückkehr des Angeklagten in die Hauptverhandlung wurde erneut und in gleicher Weise über die Vereidigung des Zeugen entschieden. Sodann teilte der Vorsitzende dem Angeklagten "den wesentlichen Inhalt der Aussage des Zeugen mit; der Angeklagte äußerte sich dazu."

Danach steht fest, daß sich der Angeklagte, nachdem er über die Aussage des Zeugen unterrichtet worden war, hierzu geäußert hat. Davor hatte er schon der Entscheidung über die Nichtvereidigung des Zeugen zugestimmt. Gegen die Entlassung des Zeugen hatte schon zuvor der Verteidiger des Angeklagten keine Einwände erhoben. Damit liegt es nahe, daß der Angeklagte bei seiner Äußerung auch zum Ausdruck gebracht hat, keine Fragen mehr an den Zeugen stellen lassen zu wollen. Die Rüge ist daher mangels Vortrags hierzu unzulässig.

b) Der Senat hätte im übrigen Bedenken, bei einer insoweit zulässig erhobenen Verfahrensrüge den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO anzunehmen und das Urteil, dem im übrigen Rechtsbedenken nicht entgegenstehen, ohne weiteres aufzuheben. Er neigt unter Berücksichtigung des Zeugen- und Opferschutzes vielmehr dazu, die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen generell nicht mehr als wesentlichen Teil der Hauptverhandlung anzusehen, weil es der Anwesenheit des Angeklagten dabei nicht bedarf, um das Fragerecht zu sichern. Das gilt nicht nur, wenn der Angeklagte nach seiner Unterrichtung über die Zeugenaussage auf weitere Fragen an den Zeugen verzichtet (BGH, Beschl, vom 10. August 1995 - 5 StR 272/95), sondern auch dann, wenn der Angeklagte noch zulässige Fragen hat, die er an den Zeugen stellen lassen will, Zur Sicherung dieses Fragerechts wäre das Gericht, nachdem es den Zeugen prozeßordnungswidrig ohne Anhörung des Angeklagten entlassen hat, verpflichtet, den Zeugen wieder herbeizuschaffen, ohne den Angeklagten auf die Stellung eines Beweisantrags zu verweisen (vgl. Basdorf in FS für Salger S. 203, 209). Ein Verstoß hiergegen wäre dann ggf. mit der Revision als Verletzung des Fragerechts zu rügen.

4. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Ende der Entscheidung

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