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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.04.2008
Aktenzeichen: 4 StR 136/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 2 | |
StPO § 349 Abs. 4 | |
StGB § 20 | |
StGB § 21 | |
StGB § 63 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 22. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 22. April 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 22. November 2007 mit den Feststellungen - ausgenommen diejenigen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben - aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte der schweren Körperverletzung und der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden und sie zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Die zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte wuchs in ungünstigen Verhältnissen auf. Bereits frühzeitig zeigten sich deutliche Entwicklungsrückstände im Hinblick auf Sprachentwicklung und geistige Fähigkeiten. Schon während ihrer Schulzeit zeigte sie auch deutliche Verhaltensauffälligkeiten. So neigte sie zu heftigen plötzlichen Zornausbrüchen, in deren Folge sie ohne erkennbaren Anlass zu Hause Mobiliar und sonstige Gegenstände beschädigte oder zerstörte. Zudem hat sie zunehmend das Gefühl, von anderen Personen beobachtet, ausgelacht oder gar bedroht zu werden. Sie vermeidet deshalb auch die Nähe zu ihr unbekannten Menschen. Vor diesem Hintergrund lernte sie 2002 ihren späteren Ehemann, einen aus Indien stammenden Asylbewerber, kennen, der ihr erster Freund und Sexualpartner war und von dem sie im Herbst 2003 schwanger wurde. Ihre gemeinsame Tochter Melanie-Gritt wurde am 24. Juni 2004 geboren. Am 3. Juli 2004 wurde die Angeklagte mit dem gesunden Mädchen aus der Klinik nach Hause entlassen.
Drei Tage später, am 6. Juli 2004, war die Angeklagte mit ihrer Tochter allein in ihrer Wohnung und wollte das Kind füttern. Als sie es in den Armen hielt, kam ihr - ohne dass es hierfür einen äußeren Anlass gab - der Gedanke, das Kind auf den Boden zu werfen. In einem von ihr selbst als Wut beschriebenen Zustand schleuderte sie es auf den Fußboden. Nach kurzer Zeit hatte sie sich aber wieder gefasst und erkannte, dass das Mädchen "ganz gelb" im Gesicht wurde und keine Luft mehr bekam. Der wenig später in die Wohnung zurückkehrende Kindesvater rief sogleich den Notarzt, der das Kind in lebensbedrohlichem Zustand in das Krankenhaus einlieferte. Dort wurde als Folge der Tat ein Schädelbruch mit ausgedehnten Einblutungen und hochgradiger Hirnwassersucht festgestellt. Durch die schwere Schädigung ist das Mädchen erblindet und leidet es an einer spastischen Lähmung der Gliedmaßen. Es ist auf Dauer auf fremde Pflege und Hilfe angewiesen und wird das Sprechen nicht erlernen.
Zu der zweiten Tat kam es in den Mittagsstunden des 27. Juli 2005. Die Angeklagte war gerade damit beschäftigt, mit einem auf höchster Heizstufe stehenden Bügeleisen Wäsche zu bügeln. Dabei überkam sie der Gedanke auszuprobieren, was geschehe, wenn sie das heiße Bügeleisen auf den Körper des Kindes stelle, das zu diesem Zeitpunkt auf dem Fußboden lag. Die Angeklagte kniete sich über das Mädchen und setzte das Bügeleisen auf dessen blanke Wangenhaut. Hierbei beobachtete sie das Kind, das kurz zusammenzuckte, aber nicht schrie. Es hatte eine Verbrennung zweiten Grades im Gesicht erlitten. Wie bereits nach der ersten Tat, versuchte die Angeklagte auch dieses Geschehen Dritten gegenüber zunächst als Unfall darzustellen.
2. Die Angeklagte hat die Taten im Sinne der getroffenen Feststellungen eingeräumt. Sie hat angegeben, sie habe eine Stimme - ihre eigene - gehört, die gesagt habe, sie solle ihre Tochter auf den Boden werfen bzw. ihr ein Bügeleisen auf das Gesicht setzen. Ihre eigene innere Stimme höre sie seit Längerem. Mit Ausnahme dieser beiden Fälle habe sie ihrer eigenen Stimme jedoch nicht Folge geleistet, auch wenn ihr diese gesagt habe, die Tochter zu schädigen.
Das Landgericht hat angenommen, dass die Schuldfähigkeit der Angeklagten zwar im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert, jedoch nicht vollständig aufgehoben gewesen sei. Es ist darin dem gehörten Sachverständigen gefolgt, der bei der Angeklagten eine schizotype Störung diagnostiziert und diese als eine eng mit der Schizophrenie korrelierende schwere psychiatrische Erkrankung eingestuft hat, die zu einer erheblichen Störung im Hinblick auf vorhandene rationale Kontrollmechanismen geführt habe. Die im Zusammenhang mit den Taten bei der Angeklagten aufgetretenen Gedanken, das Kind zu schädigen, seien die Folge ungewöhnlicher Denkinhalte. Trotz dieser Gedanken sei die Angeklagte aber zur Beherrschung ihrer Eingebungen in der Lage gewesen. Dazu heißt es im Urteil weiter: "Denn die Angeklagte hatte vielfach derartige Gedanken in Beziehung auf ihr Kind Melanie-Gritt. Sie hat die zerstörerischen Ideen in allen anderen Fällen trotz ihrer nur unzureichenden Fähigkeit zur adäquaten emotionalen Beziehung zu ihrem Kind beherrscht".
Eine Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht - ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen - mit der Begründung abgelehnt, die Angeklagte sei nicht mehr gefährlich. Sie verhüte, möchte keine Kinder mehr und werde seit etwa zwei Jahren mit antipsychotischen Medikamenten behandelt, die sie regelmäßig einnehme und die zu einer Verbesserung ihres Krankheitsbildes geführt hätten.
3. Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Schuldfähigkeitsbeurteilung und die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.
a) Auch wenn grundsätzlich die Diagnose einer psychischen Störung und deren Einordnung unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB nicht offen bleiben darf (vgl. speziell zur schizotypen Störung BGHSt 37, 397; 49, 347, 355), hat das Landgericht überzeugend dargelegt, dass die Angeklagte an einem tatrelevanten krankhaften psychiatrischen Zustand leidet, wie dies §§ 20, 21 StGB voraussetzen. Doch vermag der Senat dem Landgericht nicht ohne Weiteres darin zu folgen, dass die Angeklagte "bei Begehung der Taten", d.h. in den konkreten Tatsituationen noch in der Lage gewesen sei, ihre Eingebungen zu beherrschen, und sie deshalb noch - wenn auch erheblich vermindert - schuldfähig gewesen sei. Soweit das Landgericht zur Begründung darauf verwiesen hat, die Angeklagte habe sich selbst nicht darauf berufen, dass ihre eigene "innere Stimme" bei Begehung der Taten stärker als in anderen Fällen gewesen sei und sie ihrer inneren Stimme nicht habe widerstehen können, ist dies von vornherein nicht geeignet, einen für die Angeklagte unwiderstehlichen Impuls zur Tatbegehung zu widerlegen. Der Schluss auf eine bei der Tatbegehung noch erhaltene Steuerungsfähigkeit lässt sich aber auch nicht ohne Weiteres daraus herleiten, dass die Angeklagte - wie das Landgericht ausgeführt hat - in allen anderen Fällen ihre zerstörerischen Ideen beherrscht habe. Insoweit mangelt es bereits an einer nachvollziehbaren Darlegung der äußeren und inneren Umstände jener "anderen Fälle". Diese Darlegung wäre aber erforderlich gewesen, um dem Senat die Überprüfung zu ermöglichen, ob die Umstände bei jenen Vorfällen mit den Tatsituationen vergleichbar waren und ob deshalb das Landgericht zu Recht aus jenen Vorfällen auf den innerpsychischen Zustand der Angeklagten im Zeitpunkt der Taten schließen durfte. Zudem könnte gerade der Umstand, dass sich die Angeklagte in anderen vergleichbaren Situationen zu beherrschen vermochte, dafür sprechen, dass sie bei den hier abgeurteilten Taten ihren "Stimmen" gerade nicht widerstehen konnte. Über diese Frage ist nach dem Zweifelsgrundsatz zu entscheiden (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 20 Rdn. 67 m.N.).
Kommt danach in Betracht, dass die Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig war, bedarf die Sache schon deshalb neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Von dem aufgezeigten Rechtsfehler unberührt bleiben jedoch die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt, die deshalb bestehen bleiben können.
b) Auch die Nichtanordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Gefährlichkeitsprognose unzureichend begründet ist.
Die Annahme, die Angeklagte sei nicht mehr gefährlich, weil eine Gefährdung sich nur auf ein Kind der Angeklagten auswirken könnte, sie aber verhüte, wird den besonderen Umständen in der Person der Angeklagten nicht gerecht. Denn auch wenn das geschädigte Mädchen nunmehr in einer Pflegefamilie lebt und die Angeklagte gegenwärtig den Willen haben mag, kein Kind mehr zu bekommen, bietet dies zumal angesichts ihrer unterdurchschnittlichen Intelligenz und überdauernden Persönlichkeitsstörung keine Gewähr, dass sie nicht in absehbarer Zeit erneut schwanger werden oder auf sonstige Weise wieder in näheren Kontakt mit Kleinstkindern kommen kann, die dann ihren zerstörerischen Impulsen ausgesetzt sind. Entgegen der Auffassung der Strafkammer kann der Annahme einer solchen - vor dem Hintergrund der abgeurteilten Straftaten nicht nur theoretischen - Gefahr nicht mit der Erwägung begegnet werden, dass die zunehmend sensibilisierten Jugendämter und Familiengerichte das Erforderliche veranlassen würden, falls die Angeklagte wider Erwarten erneut Mutter werden würde. Denn wie sich angesichts der Taten gezeigt hat, waren diese Stellen gerade nicht in der Lage, die schwerwiegenden Übergriffe der Angeklagten zu verhindern.
Auch über die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist deshalb neu zu befinden. Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer Nachholung der Maßregelanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 StPO).
4. Wegen der besonderen Schwierigkeiten der hier für die Schuldfähigkeitsbeurteilung und die Frage der Maßregelanordnung maßgebenden Grundlagen wird es sich empfehlen, für die neue Hauptverhandlung einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.
Ende der Entscheidung
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