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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 21.10.2004
Aktenzeichen: 4 StR 166/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil

4 StR 166/04

vom 21. Oktober 2004

in der Strafsache

gegen

1.

2.

wegen Vergewaltigung

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Oktober 2004, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Athing, Dr. Ernemann, Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible als beisitzende Richter,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt für den Angeklagten Sch. , Rechtsanwalt für den Angeklagten E. , als Verteidiger,

Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revisionen der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 9. Dezember 2003 werden verworfen.

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Die Angeklagten sind Brüder. Ihnen liegt zur Last, in drei Fällen (Angeklagter Andreas XX. ) bzw. in zwei Fällen (Angeklagter Thomas E. ) mit der Nebenklägerin, ihrer am 21. Oktober 1979 geborenen Nichte Doreen L. , gewaltsam den Geschlechtsverkehr vollzogen zu haben. Die Nebenklägerin wendet sich mit ihren Revisionen gegen die Freisprechung der Angeklagten. Sie rügt in allgemeiner Form die Verletzung sachlichen Rechts.

Das zulässige (vgl. Senge in KK 5. Aufl. § 400 Rdn. 1) Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. a) Mit der zugelassenen Anklage ist dem Angeklagten Sch. zur Last gelegt worden, in der Zeit zwischen dem 14. Juli 1997 und dem 28. September 1997 mit der damals 17jährigen Nebenklägerin in deren Zimmer in der elterlichen Wohnung sowie an einem nicht näher feststellbaren Tag im Herbst 1997 zunächst in seinem Fahrzeug auf einem Feldweg und anschließend im Keller der elterlichen Wohnung unter Anwendung von Gewalt den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben. Der Angeklagte Thomas E. habe seine Nichte nach seiner Geburtstagsfeier am 1. Juni 1996 im Kinderzimmer und am darauf folgenden Abend in der Toilette seiner Wohnung zum Geschlechtsverkehr gezwungen.

b) Das Landgericht hat den Angeklagten Sch. , der lediglich einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin im Herbst 1996 eingeräumt, die Taten jedoch bestritten hat, und den in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten E. von diesen Vorwürfen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Es hat zwar festgestellt, daß Doreen L. , ebenso wie ihre Mutter, die geistig behinderte Angelika Sch. , in der Zeit zwischen 1992 und Herbst 1997 Opfer eines vielfachen sexuellen Mißbrauchs durch Familienangehörige war. Doreen L. und ihre Mutter wurden von ihrem Großonkel und ihrer Großmutter, den früheren Mitangeklagten Klaus-Dieter J. und Ursula Sch. , zu sexuellen Handlungen gezwungen, wobei die Großmutter der Nebenklägerin Geld dafür erhielt, daß sie ihre Enkelin und ihre Tochter Klaus-Dieter J. zu sexuellen Handlungen "zur Verfügung" stellte. Klaus-Dieter J. und Ursula Sch. hatten die ihnen zur Last gelegten Taten im Ermittlungsverfahren "überwiegend" eingeräumt. Das Strafverfahren gegen sie wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.

Von den den Angeklagten zur Last gelegten Tatvorwürfen hat sich die Strafkammer hingegen nicht zu überzeugen vermocht, da sie insoweit Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben der Nebenklägerin hat. Doreen L. habe zwar in der Hauptverhandlung den der Anklageschrift zugrundeliegenden Sachverhalt im wesentlichen so geschildert, wie im Rahmen ihrer polizeilichen bzw. richterlichen Vernehmungen. Jedoch habe sie bei der Exploration durch den Sachverständigen zu Kernbereichen der Tatvorwürfe hiervon abweichende Angaben gemacht und früher geschilderte Details nicht wiedergegeben. Die Widersprüche in Kernbereichen in der Exploration und die Rückkehr in der Hauptverhandlung zu den ursprünglichen Angaben seien gedächtnispsychologisch nicht erklärbar. Das Landgericht hat deshalb hinsichtlich der die Angeklagten belastenden Angaben nicht auszuschließen vermocht, daß "eine durch einen Dritten induzierte Lüge vorliegt oder aber Doreen bei ihrer konkreten Aussage aufgrund der langjährigen und vielfältigen Mißbrauchserfahrungen Irrtümern unterliegt oder Überlagerungen aufgrund von Parallelerlebtem stattgefunden" haben.

2. Die Freisprechung der Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene, wenn auch nur geringe Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13 und Überzeugungsbildung 33).

3. Einen derartigen durchgreifenden Rechtsfehler weist das angefochtene Urteil nicht auf. Das Landgericht hat eine eingehende Prüfung aller die Angeklagten be- und entlastenden Indizien vorgenommen und diese in ihrer Gesamtheit gewürdigt. Daß es sich im Ergebnis nicht von der Zuverlässigkeit der belastenden Angaben der Nebenklägerin zu überzeugen und deshalb Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten nicht zu überwinden vermocht hat, ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Das Landgericht hat bei der Würdigung der Angaben der Nebenklägerin nicht, wie der Generalbundesanwalt meint, einen überspannten und deshalb rechtsfehlerhaften Maßstab zugrundegelegt. Zwar wiegen Schwächen einer Aussage, auch eine fehlende Konstanz und Genauigkeit, dann weniger schwer, wenn sie nur das Randgeschehen und nicht den Kernbereich des Vorwurfs betreffen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 332; BGH StraFo 2004, 134). Das Landgericht geht jedoch zu Recht davon aus, daß jedenfalls die - jeweils anschaulich und mit subjektiver Sicherheit vorgetragenen - erheblich voneinander abweichenden Schilderungen der Nebenklägerin zu den Umständen der Gewaltanwendung durch den Angeklagten Sch. bei dem Vorfall im Keller und durch den Angeklagten E. bei dem Vorfall auf der Toilette seiner Wohnung zentrale Bereiche der Aussage und Kernbereiche der Vorwürfe betreffen. Anhaltspunkte dafür, daß den Angaben der Nebenklägerin bei der Exploration durch den Sachverständigen deshalb geringere Bedeutung beizumessen ist, weil, wie der Generalbundesanwalt meint, die Explorationssituation nicht die Gewähr für die Gewinnung einer "verläßlichen Tatsachengrundlage zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung" bot, ergeben die Urteilsgründe nicht. Es ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer zu der Überzeugung gelangt ist, daß die Nebenklägerin in der Lage ist, auch Nichterlebtes glaubhaft zu schildern, und deshalb wegen der festgestellten Aussageände-rungen und unter Berücksichtigung des emotional unbeteiligten Aussageverhaltens der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Angaben gehabt hat.

b) Das Landgericht hat auch nicht verkannt, daß diese Zweifel durch außerhalb der Aussage der Nebenklägerin liegende Indizien überwunden werden können. Es hat die in Betracht kommenden Umstände ausführlich dargelegt und sie in sachlich-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandender Weise dahin gewürdigt, daß sie nicht geeignet sind, die Zweifel an den Schilderungen der Nebenklägerin zu überwinden.

aa) Auch soweit die Strafkammer der Einlassung des Angeklagten E. bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung keinen die Aussage der Nebenklägerin bestätigenden Beweiswert beigemessen hat, begegnen die Ausführungen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Der Angeklagte E. hat zwar im Ermittlungsverfahren den von Doreen L. geschilderten Vorfall im Kinderzimmer teilweise bestätigt: Er habe sich bereits sexuell erregt ins Kinderzimmer begeben und seine Nichte zunächst gestreichelt. Ob sie sich gewehrt habe, könne er nicht mehr sagen. "Er habe das Empfinden gehabt, daß Doreen dies nicht gewollt habe ... Er habe sich auf Doreen gelegt und mit ihr den ungewollten Geschlechtsverkehr vollzogen" (UA 20).

Das Landgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, daß diese Angaben möglicherweise nicht auf der eigenen Erinnerung des Angeklagten beruhen und deshalb nicht geeignet sind, die belastenden Aussagen der Nebenklägerin zu bestätigen. Diese Schlußfolgerung hat die Strafkammer nachvollziehbar dargelegt. Sie ist insoweit der Aussage des Betreuers des Angeklagten E. , des Zeugen C. , der bei der polizeilichen Vernehmung des Angeklagten anwesend war, gefolgt. Der Zeuge hat angegeben, der Angeklagte E. , der im vorgeworfenen Tatzeitraum schwerer Alkoholiker gewesen sei, habe seine Aussage bei der Polizei mit der Maßgabe gemacht, "eigentlich keine Erinnerung" zu haben. Um sich "kooperativ" zu verhalten, habe der Angeklagte jedoch auf konkrete Vorhalte aus der Ermittlungsakte hin ihm möglich Erscheinendes eingeräumt. Die von dem Zeugen geschilderten Zweifel an der Erinnerungsfähigkeit des Angeklagten E. hat die Strafkammer auch dadurch bestätigt gesehen, daß bei der polizeilichen Vernehmung des Angeklagten noch von einer gänzlich anderen Tatzeit (Geburtstag im Jahre 1993) ausgegangen und dieser Zeitpunkt der Befragung des Angeklagten zugrunde gelegt worden war.

bb) Die Strafkammer hat im Rahmen ihrer Würdigung schließlich auch berücksichtigt, daß der Angeklagte Sch. einen - einvernehmlichen - sexuellen Kontakt mit der Nebenklägerin nicht in Abrede gestellt hat. Sie hat ferner in Betracht gezogen, daß es in der Nacht nach der Geburtstagsfeier möglicherweise auch zwischen dem Angeklagten E. und der Nebenklägerin zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs gekommen ist. Gleichwohl hat das Landgericht Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben der Nebenklägerin zumindest im Hinblick auf eine Gewaltanwendung durch die Angeklagten nicht zu überwinden vermocht. Auch dies stellt eine mögliche tatrichterliche Würdigung dar. Doreen L. hat zu den Umständen der Gewaltanwendung sich teilweise erheblich widersprechende Angaben gemacht. Sie war langjährig vielfaches Opfer von Mißbrauchshandlungen durch andere Familienangehörige. Wenn das Landgericht deswegen nicht ausschließen kann, daß die Nebenklägerin möglicherweise Parallelerlebnisse auf die verfahrensgegenständlichen Sachverhalte überlagert hat, und deshalb insgesamt keine Feststellungen zu einem gewaltsamen Vorgehen der Angeklagten zu treffen vermag, ist dies vom Revisionsgericht hinzunehmen.

Ende der Entscheidung

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