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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.09.2002
Aktenzeichen: 4 StR 168/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 168/02

vom

26. September 2002

in der Strafsache

gegen

wegen Raubes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 26. September 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 5. November 2001 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit die Angeklagten im Fall II 2 der Urteilsgründe verurteilt worden sind;

b) in den Aussprüchen über die gegen den Angeklagten A. verhängte Gesamtstrafe und über die gegen den Angeklagten W. verhängte Einheitsjugendstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten A. und W. werden verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagten - die Angeklagten A. , T. und W. unter Freisprechung im übrigen - wie folgt verurteilt:

- den Angeklagten A. wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung, versuchter räuberischer Erpressung, versuchter Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren;

- den Angeklagten T. wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und drei Monaten;

- den Angeklagten S. wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren;

- den Angeklagten W. wegen Raubes in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung, Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Jugendstrafe von acht Jahren.

Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts; die Angeklagten A. , T. und S. beanstanden darüber hinaus das Verfahren.

Die Rechtsmittel der Angeklagten T. und S. haben Erfolg. Die Rechtsmittel der Angeklagten A. und W. haben einen Teilerfolg; im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Die Verurteilung der Angeklagten im Fall II 2 der Urteilsgründe jeweils wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand; einer Erörterung der insoweit von den Angeklagten A. , T. und S. erhobenen Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.

1. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen wurde Alexander F. von dem Angeklagten S. unter Drohungen aufgefordert, Andreas G. , der ein Geschäft betrieb, Zigaretten zu einem billigen Preis anzubieten und ihn in eine als Werkstatt angemietete Halle zu locken, wo er ausgeraubt werden sollte. Andreas G. zeigte Interesse am Ankauf von Zigaretten, wies Alexander F. aber darauf hin, daß er aus Geldmangel keine große Menge abnehmen könne, sich jedoch nach anderen Interessenten umsehen wolle. Im Einvernehmen mit dem Angeklagten S. vereinbarte Alexander F. mit Andreas G. für den 23. Juni 1999 die angebliche Übergabe von Zigaretten. Alexander F. fuhr in den früheren Morgenstunden des 23. Juni 1999 mit einem zuvor angemieteten Kleinlastwagen zu der Halle. Nachdem Andreas G. dort eingetroffen war, folgte er Alexander F. , der mit dem Lkw in die Halle fuhr. Dort hielten sich - "sämtlich maskiert" - außer den Angeklagten noch zwei weitere Männer aus Minsk auf, von denen einer Andreas G. mit gestrecktem Bein ins Gesicht sprang, so daß dieser besinnungslos zu Boden fiel. Als er wieder bei Bewußtsein war, wurde er von den herumstehenden Männern durchsucht. Seine Geldbörse mit 1.200 DM wurde ihm weggenommen. Andreas G. , der erklärt hatte, andere Personen, die auch zur Halle kommen wollten, hätten mehr Geld, wurde durch Drohungen veranlaßt, einen Mann mit dem Vornamen Erik oder Edik herbeizurufen. Als dieser Mann erschien, wurde er von den Männern aus Minsk und von dem Angeklagten T. geschlagen und mit Klebeband an Händen und Füßen gefesselt. In dem Auto dieses Mannes wurden von einem der Männer aus Minsk 7.000 DM gefunden, die dieser dem Angeklagten S. übergab. Der Angeklagte T. und einer der Männer aus Minsk nahmen dem Opfer, das von einem der unbekannten Täter durch Drohungen u.a. mit einem Messer zur Preisgabe der Geheimnummer veranlaßt wurde, seine Geldkarte weg.

2. Die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Angeklagten haben eine Beteiligung an der Tat bestritten. Das Landgericht stützt seine Überzeugung vom Hergang der Tat und der Täterschaft der Angeklagten im Fall II 2 der Urteilsgründe auf die "insoweit zum Teil übereinstimmenden und zum Teil sich ergänzenden Angaben der Zeugen F. und G. " (UA 19). Zwar seien zwischen den Bekundungen dieser Zeugen eine Reihe von Unstimmigkeiten aufgetreten. So habe der Zeuge F. bei seiner polizeilichen Vernehmung abweichend von dem Zeugen G. , der von nur zwei Opfern berichtet hat, ausgesagt, insgesamt seien vier Männer in die Halle gelockt und beraubt worden. Er und der "dicke Alexander" hätten drei der Tatopfer, die gefesselt gewesen seien, mit dem Lkw in einen Wald verbracht. In der Hauptverhandlung habe der Zeuge F. ausgesagt, die Opfer seien von anderen Tatbeteiligten in den Wald gefahren worden, während er den Lkw zurückgegeben habe. Trotz dieser "erheblichen Unstimmigkeiten" sei den Angeklagten die Tat so, wie festgestellt, nachgewiesen. Die Diskrepanzen zwischen den Zeugenaussagen beruhten entweder auf dem langen Zeitraum von mehr als zehn Monaten zwischen dem Tatgeschehen und den Vernehmungen und weiteren Monaten bis zur Hauptverhandlung oder darauf, daß der "sehr ängstlich wirkende Zeuge G. " einen Teil des Tatgeschehens verdrängt oder verschwiegen habe. Jedenfalls könne den Aussagen "im Kern als glaubhaft" gefolgt werden. Zu Gunsten der Angeklagten seien nur Feststellungen getroffen worden, die "den Gemeinsamkeiten in den Aussagen" entsprächen, so daß Irrtümer der Zeugen ausgeschlossen seien (UA 21).

a) Die Beweiswürdigung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Abweichungen in den Aussagen der beiden Zeugen nicht lediglich das Rand-, sondern das Kerngeschehen betreffen. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen waren sowohl die Angeklagten als auch die beiden Männer aus Minsk maskiert, so daß der Zeuge G. keinen der Täter identifizieren konnte. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten mithin allein auf die Aussage des Zeugen F. gestützt, der jedoch auch insoweit widersprüchliche Angaben gemacht hat. Nach seinen Bekundungen bei seiner polizeilichen Vernehmung waren alle Täter außer ihm bei den Überfällen maskiert. In der Hauptverhandlung hat der Zeuge F. dagegen ausgesagt, der Angeklagte S. "sei in der ganzen Zeit in der Werkstatt unmaskiert gewesen" (UA 20). Die Urteilsausführungen verhalten sich weder zu den das Kerngeschehen betreffenden widersprüchlichen Angaben zur Maskierung noch dazu, woher der Zeuge F. wußte, wer die Maskierten waren.

b) Soweit das Landgericht im Hinblick darauf, daß die Angeklagten A. und W. nach Angaben des Zeugen F. , ausgesprochen gewalttätig und gefährlich gewesen seien, davon ausgegangen ist, der Zeuge F. , hätte selbst dann, wenn er - wie von dem Angeklagten S. behauptet - wegen eines gescheiterten Zigarettenschmuggels ein Rachemotiv gehabt habe, nicht gewagt, die Angeklagten zu Unrecht zu belasten, läßt das Urteil die gebotene Gesamtwürdigung (vgl. BGH NJW 1980, 2423; BGHR StPO § 261 Indizien 7) aller für und gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage sprechenden Umstände vermissen. Insbesondere hätte der Erörterung bedurft, daß auch die - rechtsfehlerfrei festgestellte - Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen F. und das weitere den Angeklagten A. , T. und W. im einzelnen nicht zuzuordnende Tatgeschehen zum Nachteil des Zeugen am 28. Juni 1999 (Fall II 3 der Urteilsgründe) als Motiv für eine Falschbelastung in Betracht kommt. Zudem hätte in die Würdigung einbezogen werden müssen, daß sich nach Auffassung des Landgerichts die Aussage des Zeugen F. als unzutreffend erwiesen hat, der Angeklagte S. habe ihm erklärt, er, S. , habe die Position eines Mitglieds der kriminellen Organisation eingenommen, für dessen Verhaftung der Zeuge die Schuld trage (UA 20).

c) Durchgreifenden Bedenken begegnet schließlich die Erwägung, den Angeklagten A. und W. , die sich von den Abendstunden des 22. Juni 1999 bis zum Nachmittag des 23. Juni 1999 mit einem Reisebus auf der Rückreise von einem Urlaubsaufenthalt in Spanien befunden haben wollen, sei der Alibibeweis mißglückt. Dies kann für sich allein, das heißt ohne Rücksicht auf seine Gründe und Begleitumstände, noch kein Beweisanzeichen für die Täterschaft sein, denn ein Angeklagter ist nicht gehalten, sein Alibi zu beweisen. Das Scheitern des Alibibeweises bedeutet nur, daß gegebenenfalls eine schon anderweit gewonnene Überzeugung des Tatrichters nicht erschüttert wird (vgl. BGHSt 41, 151, 154 m. N).

Die der Annahme, der Alibibeweis sei gescheitert, zugrundeliegende Beweiswürdigung ist zudem rechtsfehlerhaft, denn die Urteilsausführungen lassen nicht erkennen, ob das Landgericht die Beweistatsachen erschöpfend ausgewertet hat (vgl. dazu Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 49 m.N.).

Das Landgericht hält es für nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte A. über ein Reisebüro ein Doppelzimmer in dem von ihm genannten Hotel in Spanien gebucht und sich dort mit einem Begleiter jedenfalls bis zum Mittag des 22. Juni 1999 aufgehalten hat. Auch die Einlassung der Angeklagten A. und W. , in dem Hotel sei dem Angeklagten A. auf Veranlassung des Reiseveranstalters ein Geldbetrag für die Entrichtung des Fahrpreises für die Rückreise mit dem Bus ausgehändigt worden, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht widerlegt. Vielmehr ist sie, soweit es die Auszahlung eines Geldbetrages an einen Hotelgast auf Veranlassung des Reiseunternehmens betrifft, durch Aussagen der Ehefrau des Hotelinhabers und der an der Durchführung der Reise beteiligten Zeugen B. und St. bestätigt worden. Der Zeuge St. hat zudem ausgesagt, er habe auf Veranlassung der Angeklagten A. und W. deren Rückreise am 22. Juni 1999 mit einem Bus der Firma Fr. vermittelt. Das Landgericht ist jedoch der Auffassung, diesem Zeugen könne nicht geglaubt werden. Er sei mit den Angeklagten A. und W. befreundet. Für eine Falschaussage zugunsten der Angeklagten aus Freundschaft, Solidarität unter Landsleuten oder Angst spreche zudem, daß er Computerausdrucke mit unterschiedlichen Abreiseterminen vorgelegt habe, was auf eine Manipulation hindeute. Insoweit hätte das Landgericht aber, was ebenso naheliegt, auch in Betracht ziehen müssen, daß diese unterschiedlichen Angaben für die von den Angeklagten behauptete Umbuchung sprechen können. Zudem hätte es die Aussage dieses Zeugen nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den anderen Erkenntnissen, die für die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage sprechen können, würdigen müssen. In die Gesamtwürdigung hätten insbesondere die auf eine Teilnahme der Angeklagten an der Busfahrt am 22. und 23. Juni 1999 hindeutenden Aussagen der Zeugen H. , M. und Be. , die in dem Reisebus der Firma Fr. mitgefahren waren, einbezogen werden müssen.

II.

Die danach gebotene Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten im Fall II 2 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der gegen den Angeklagten A. verhängten Gesamtfreiheitsstrafe sowie der gegen den Angeklagten W. verhängten Einheitsjugendstrafe.

Ende der Entscheidung

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