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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.07.1998
Aktenzeichen: 4 StR 273/98
Rechtsgebiete: StPO 1975
Vorschriften:
StPO 1975 § 225a |
Legt das Amtsgericht eine Sache gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 1 StPO dem Landgericht vor, setzt der Übergang der Rechtshängigkeit den Erlaß eines Übernahmebeschlusses nach § 225 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO voraus.
BGH, Beschluß vom 14. Juli 1998 - 4 StR 273/98 - Landgericht Dessau
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
14. Juli 1998
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 14. Juli 1998 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 30. März 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Köthen - Strafrichter - verwiesen.
Gründe:
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Sachrüge gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Verweisung der Sache an das Amtsgericht - Strafrichter -, weil das Landgericht zu Unrecht seine sachliche Zuständigkeit angenommen hat.
2. Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage zum Strafrichter erhoben. Nach Vorlage der Akten gemäß § 209 Abs. 2 StPO eröffnete das Schöffengericht das Hauptverfahren vor sich. Die Hauptverhandlung setzte es zur Einholung eines Gutachtens zu den Voraussetzungen der §§ 20, 21 und 63 StGB aus. nachdem der psychologische Sachverständige die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB empfohlen hatte, erließ das Schöffengerichts am 8. September 1997 außerhalb der Hauptverhandlung einen Beschluß, in dem es "die Sache gemäß § 270 StPO an die Strafkammer des Landgerichts Dessau" verwies. Die Berichterstatterin der zuständigen Strafkammer führte in einem Vermerk vom 26. September 1997 aus, daß "der Verweisungsbeschluß Bindungswirkung (entfaltet), obgleich er fehlerhaft (ist). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn er auf Willkür beruht oder offensichtlich gesetzwidrig ist", was im Hinblick auf das eingeholte Gutachten verneint wurde.
3. Die Annahme des Landgerichts, es sei infolge des Beschlusses des Schöffengerichts vom 8. September 1997 zuständig geworden, war rechtsfehlerhaft. Das Schöffengericht konnte die Sache nicht nach § 270 StPO an das Landgericht Dessau verweisen, da diese Bestimmung - auch nach vorangegangener Aussetzung - erst nach Beginn der Hauptverhandlung anwendbar ist (vgl. BGHSt 29, 341, 344 f.; 42, 39, 40; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 225 a Rdn. 4; § 270 Rdn. 7; Schlüchter in SK/StPO § 225 a Rdn. 3). Nach der verfahrensrechtlichen Situation (vgl. BGHSt 38, 172, 174) handelte es sich vielmehr um einen Vorlegungsbeschluß nach § 225 a Abs. 1 StPO (vgl. zum umgekehrten Fall OLG Hamm MDR 1993, 1002). Einen - die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung erst begründenden (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 225 a Rdn. 17; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 225 a Rdn. 31; Schlüchter aaO Rdn. 30) - Übernahmebeschluß gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO, der erst nach Einhaltung des Verfahrens gemäß § 225 a Abs. 2 StPO und nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten gemäß § 33 Abs. 2 und 3 StPO hätte ergehen können sowie dem Angeklagten entsprechend § 215 StPO förmlich hätte zugestellt werden müssen (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO), hat das Landgericht jedoch nicht erlassen.
Ob der Übernahmebeschluß auch stillschweigend ergehen kann (so KMR-Paulus StPO 8. Aufl. § 225 a Rdn. 24), obwohl er "in zweifelsfreier Form erkennen lassen (muß), welches Gericht welchen Tatvorwurf mit welcher (vorläufigen) rechtlichen Würdigung abzuurteilen hat" (BT-Drucks. 8/976 S. 49), bedarf hier keiner Entscheidung: Da das Landgericht sich, wie der Vermerk der Berichterstatterin vom 26. September 1997 belegt, an den Beschluß des Schöffengerichts vom 8. September 1997 gebunden glaubte, scheidet eine konkludente Übernahmeentscheidung - etwa durch den Erlaß der Beschlüsse nach §§ 126 a, 246 a StPO sowie § 76 Abs. 2 GVG - aus (vgl. auch BGH NStZ 1988, 236). Aus diesem Grunde kommt ferner eine stillschweigende Übernahme der Sache in der vom Landgericht durchgeführten Hauptverhandlung (vgl. BGHSt 25, 309, 312; Gollwitzer aaO Rdn. 19) von vornherein nicht in Betracht, zumal nicht einmal der Beschluß des Schöffengerichts vom 8. September 1997 verlesen worden ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 243 Rdn. 14).
Der Senat vermag nicht der vom 2. Strafsenat in seinem Urteil BGHSt 18, 290, 294 vertretenen (allerdings auch nicht in den Leitsatz der Entscheidung aufgenommenen und nicht näher begründeten) Auffassung zu folgen, nach der der Angeklagte durch die irrige Annahme der Strafkammer, an einen außerhalb der Hauptverhandlung ergangenen (fälschlich so bezeichneten) "Verweisungsbeschluß" des Amtsgerichts gebunden zu sein, nicht beschwert sei. Zwar liegt der Gedanke, daß die Verhandlung vor einem Gericht höherer Ordnung den Angeklagten nicht benachteiligt, der Vorschrift des § 269 StPO zugrunde (RGSt 62, 265, 271; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 269 Rdn. 1). Weil das Landgericht aber - ohne Übernahmebeschluß - überhaupt nicht zur Sache verhandeln durfte, steht § 269 StPO der Feststellung der Unzuständigkeit nicht entgegen. Vielmehr setzt die Bestimmung voraus, daß die Sache nicht mehr beim Gericht niederer Ordnung anhängig, sondern die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung prozeßordnungsgemäß begründet worden ist (BGHSt 37, 15, 20; 38, 172, 176). Das war hier jedoch - wie dargelegt - nicht der Fall. Auch im übrigen Vermag das Fehlen einer Beschwer eine sonst nicht gegebene Zuständigkeit nicht zu begründen.
So wie geschehen zu erkennen, ist der Senat nicht durch die genannte Entscheidung des 2. Strafsenats gehindert, da diese zu dem Rechtszustand vor Einfügung des § 225 a StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl I 1645) ergangen ist (vgl. Salger in KK/StPO 3. Aufl. § 132 GVG Rdn. 8).
4. Das Fehlen der sachlichen Zuständigkeit führt zwar - im Gegensatz zu anderen Prozeßhindernissen - nicht zur Einstellung des Verfahrens, aber gemäß § 355 StPO zur Verweisung der Sache an das zuständige Gericht. Das Landgericht hat sich im Sinne der Vorschrift zu Unrecht für zuständig erachtet, weil es bei objektiver Beurteilung nicht zuständig war (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 355 Rdn. 3; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 355 Rdn. 7). Zuständig ist der Strafrichter (§ 25 Nr. 2 GVG) beim Amtsgericht Köthen. Dies entspricht dem jetzigen Verfahrensstand (vgl. Hanack aaO Rdn. 8): Nach dem in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht erstattenen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen kommt eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht in Betracht. Da die Voraussetzungen des § 355 StPO vorliegen, ist der Senat an der Verweisung nicht durch die zunächst fortbestehende Rechtshängigkeit des Verfahrens beim Schöffengericht gehindert.
Ende der Entscheidung
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