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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.10.1999
Aktenzeichen: 4 StR 308/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB, BGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StGB § 63
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 67 b
BGB § 1896 ff
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 308/99

vom

8. Oktober 1999

in der Strafsache

gegen

wegen Körperverletzung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Oktober 1999 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 3. März 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung in zwei Fällen, des Hausfriedensbruchs und der Bedrohung wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die nur den Maßregelausspruch betreffende, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB setzt neben der positiven Feststellung einer auf einem länger andauernden, nicht nur vorübergehenden geistigen Defekt beruhenden Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) voraus, daß die unterzubringende Person eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der sich die Störung manifestiert. Weiterhin muß die Gesamtwürdigung von Tat und Täter ergeben, daß aufgrund des zur Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderten Schuldfähigkeit führenden Zustandes eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (std. Rspr., vgl. nur BGHSt 34, 22, 26/27). Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in dem angefochtenen Urteil nicht gerecht.

a) Das Landgericht geht dem Gutachten der angehörten Sachverständigen folgend davon aus, daß bei dem Angeklagten eine "erhebliche Persönlichkeitsveränderung auf Grund einer Organschädigung oder Funktionsstörung des Gehirns" vorliegt. Die Persönlichkeit des Angeklagten zeichne sich durch "emotionale Instabilität sowie geringe Frustrationstoleranz" aus, wodurch er zu "aggressiven Impulshandlungen sowie ungesteuertem Verhalten auf Frustrationssituationen" neige. Weiterhin bestehe bei dem Angeklagten eine Wesensveränderung dahingehend, daß ihm "jegliches Schuldbewußtsein" fehle. Diese Darlegungen ergeben weder einen hinreichend konkreten Befund, noch eine klare medizinische Diagnose und lassen darüber hinaus offen, welchem der in § 20 StGB beschriebenen Merkmale die angenommene Störung zuzuordnen ist. Unklar bleibt danach auch, ob das Landgericht von einer fehlenden Unrechtseinsichtigkeit oder Steuerungsfähigkeit ausgeht (vgl. hierzu BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1 und 3; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 20 Rdn. 5)

b) Die Urteilsgründe belegen auch nicht zur Genüge, daß vom Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang darauf abstellt, "man könne künftig ernsthafte Verletzungen Dritter durch den Angeklagten nicht ausschließen" (UA 14), ist die vom Gesetz vorausgesetzte Wahrscheinlichkeit nicht dargetan. Die einfache Möglichkeit künftiger erheblicher rechtswidriger Taten genügt nicht. In Anbetracht der eher im unteren bis mittleren Bereich der Kriminalität liegenden Anlaßtaten hätte es hierzu jedoch besonders sorgfältiger Darlegung bedurft (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8; BGH NStZ 1986, 237; BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 1999 - 4 StR 269/99 und vom 21. September 1999 - 4 StR 408/99), zumal die beiden Körperverletzungsdelikte (Tatzeiten: 10. März 1995 und 28. Juni 1997) bereits längere Zeit zurückliegen und der von der Strafkammer angeführte weitere Vorfall vom 29. Mai 1998 wiederum nur geringer zu gewichtende Straftaten der Beleidigung und der Sachbeschädigung betrifft.

2. Über die Unterbringungsanordnung ist daher neu zu befinden. Es erscheint zweckmäßig, daß sich die nunmehr entscheidende Strafkammer für die Beurteilung des Zustands des Angeklagten und die anzustellende Prognose der Hilfe eines neuen Sachverständigen versieht. Sie wird, sollte sie die Voraussetzungen des § 63 StGB wiederum bejahen, auch erneut Gelegenheit zu der Prüfung haben, ob - insbesondere im Hinblick auf das bestehende umfassend ausgestaltete (vgl. UA 4) Betreuungsverhältnis (§§ 1896 ff BGB) - eine Aussetzung der Unterbringungsvollstreckung (§ 67 b StGB) in Betracht kommt (vgl. BGH NStZ 1992, 538; BGH, Beschluß vom 19. Februar 1998 - 5 StR 17/98).

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